Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Beschluss vom 26.02.1998; Aktenzeichen 3 Qs 34/98) |
Tenor
Der Beschluß des Landgerichts Saarbrücken vom 26. Februar 1998 – 3 Qs 34/98 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 in Verbindung mit Artikel 13 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Saarbrücken zurückverwiesen.
Das Land Saarland hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen eine Rechtsmittelentscheidung des Landgerichts, mit der die Beschwerde gegen eine amtsrichterliche Durchsuchungsanordnung und Beschlagnahmebestätigung verworfen worden ist.
I.
1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt und nimmt verschiedene Mandate im Zusammenhang mit Korruptionsvorwürfen gegen Polizeibeamte wahr. Im März 1997 bot er eine Zeugin auf, die bei ihrer anschließenden staatsanwaltlichen Vernehmung namentlich benannte Polizisten beschuldigte, von Prostituierten Geld unter dem Versprechen verlangt zu haben, von Anzeigen abzusehen. In dem daraufhin gegen sie eingeleiteten Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der falschen Verdächtigung gab die Zeugin im September 1997 anläßlich ihrer polizeilichen Vernehmung an, zuvor wahrheitswidrig ausgesagt zu haben, wiederholte ihre Vorwürfe aber in einem Mitte Oktober 1997 ausgestrahlten Fernsehinterview. Nachdem die Zeugin bei einer richterlichen Vernehmung im Januar 1998 wiederum bestätigt hatte, daß die von ihr zunächst geäußerten Beschuldigungen falsch seien, leitete die Staatsanwaltschaft gegen den Beschwerdeführer ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Anstiftung zur falschen Verdächtigung ein.
2. Das Amtsgericht ordnete mit Beschluß vom 19. Januar 1998 auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Durchsuchung der Wohnung und der Kanzleiräume des Beschwerdeführers mit dem Ziel an, Terminkalender, Unterlagen “bezüglich der N.N.(namentlich genannte Zeugin und Mandant des Beschwerdeführers) sowie die Sendung Fakt” aufzufinden; der Tatverdacht ergebe sich aus der richterlichen Vernehmung der Zeugin. Bei der tags darauf durchgeführten Durchsuchung wurden in den Kanzleiräumen verschiedene Unterlagen und Schriftstücke beschlagnahmt. Das Amtsgericht bestätigte mit Beschluß vom 28. Januar 1998 die Beschlagnahme.
3. Der Beschwerdeführer legte gegen beide Beschlüsse des Amtsgerichts Beschwerde ein: Der Durchsuchungsbeschluß sei rechtswidrig. Die Zeugenaussage enthalte keinerlei Verdachtsmomente gegen ihn. Die Durchsuchung habe allein der Ausforschung gedient. Der Beschluß bezeichne zudem die gesuchten Gegenstände nicht hinreichend konkret. Ferner seien Schriftstücke und Verteidigerunterlagen entgegen dem Verbot des § 97 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 StPO beschlagnahmt worden. Schließlich hätten bei der Durchsuchung Polizeibeamte seine Handakten durchgesehen, obwohl dies nach § 110 StPO allein der Staatsanwaltschaft zustehe. Das Landgericht verwarf die Beschwerde mit Beschluß vom 26. Februar 1998. Soweit sie sich gegen die Bestätigung der Beschlagnahme wende, sei sie unbegründet, da die beschlagnahmten Gegenstände für das Verfahren als Beweismittel von Bedeutung seien und in dieser Funktion für das Strafverfahren weiterhin benötigt würden. Die gegen die erledigte Durchsuchungsanordnung gerichtete Beschwerde sei zu verwerfen, da eine Beschwerde zur Feststellung der Rechtswidrigkeit einer erledigten richterlichen Anordnung der Strafprozeßordnung fremd und damit unzulässig sei.
II.
Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluß des Landgerichts vom 26. Februar 1998. Er rügt die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2, 12 und 13 des Grundgesetzes. Als Rechtsanwalt habe er sehr wohl ein schutzwürdiges Interesse daran, die Rechtswidrigkeit der Durchsuchungs- und Beschlagnahmeaktion feststellen zu lassen. Beschlagnahme und Durchsicht seiner Handakten gefährdeten seine Verteidigungsstrategie für den betroffenen Mandanten und hätten allein der unzulässigen Ausforschung gedient.
Das saarländische Ministerium der Justiz hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.
III.
1. Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung von Grundrechten des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 lit. b BVerfGG). Die Kammer ist zur Sachentscheidung berufen, da die Verfassungsbeschwerde zulässig und offensichtlich begründet ist; die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§§ 93b Satz 1, 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
a) Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat mit Beschluß vom 30. April 1997 (2 BvR 817/90 u.a. – BVerfGE 96, 27) seine frühere Rechtsprechung, wonach Art. 19 Abs. 4 GG bei erledigten Grundrechtseingriffen in der Regel eine nachträgliche gerichtliche Prüfung durch die Fachgerichte nicht verlange (vgl. BVerfGE 49, 329 ff.), aufgegeben. Die von Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistete Effektivität des Rechtsschutzes verbietet es nämlich den Rechtsmittelgerichten, ein von der jeweiligen Prozeßordnung eröffnetes Rechtsmittel ineffektiv zu machen und für den Beschwerdeführer “leerlaufen” zu lassen. Hiervon muß sich das Rechtsmittelgericht bei der Antwort auf die Frage leiten lassen, ob im jeweiligen Einzelfall für ein nach der Prozeßordnung statthaftes Rechtsmittel ein Rechtsschutzinteresse besteht. Mit dem Gebot, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, ist es zwar grundsätzlich vereinbar, wenn die Gerichte ein Rechtsschutzinteresse nur solange als gegeben ansehen, als ein gerichtliches Verfahren dazu dienen kann, eine gegenwärtige Beschwer auszuräumen, einer Wiederholungsgefahr zu begegnen oder eine fortwirkende Beeinträchtigung durch einen an sich beendeten Eingriff zu beseitigen. Darüber hinaus ist ein Rechtsschutzinteresse aber auch in Fällen tiefgreifender Grundrechtseingriffe gegeben, in denen die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozeßordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann. Effektiver Grundrechtsschutz gebietet es in diesen Fällen, daß der Betroffene Gelegenheit erhält, die Berechtigung des schwerwiegenden – wenn auch tatsächlich nicht mehr fortwirkenden – Grundrechtseingriffs gerichtlich klären zu lassen. Tiefgreifende Grundrechtseingriffe kommen vor allem bei Anordnungen in Betracht, die das Grundgesetz – wie im Fall des Art. 13 Abs. 2 GG – vorbeugend dem Richter vorbehalten hat. Zu der Fallgruppe tiefgreifender Grundrechtseingriffe, die ihrer Natur nach häufig vor möglicher gerichtlicher Überprüfung schon wieder beendet sind, gehört die Durchsuchung von Wohn- und Geschäftsräumen aufgrund richterlicher Durchsuchungsanordnung einschließlich der in diesem Rahmen erfolgenden Beschlagnahmeanordnungen.
b) Gemäß §§ 304 ff. StPO ist gegen die richterliche Durchsuchungsanordnung ebenso wie gegen die Bestätigung der nicht richterlichen Beschlagnahmeanordnung die Beschwerde statthaft. Die Zulässigkeit einer solchen Beschwerde ist von den angerufenen Fachgerichten unter Beachtung der dargelegten verfassungsrechtlichen Anforderungen zu beurteilen. Danach darf die Beschwerde nicht allein deswegen, weil die richterliche Anordnung vollzogen worden sei und die Maßnahme sich deshalb erledigt habe, unter dem Gesichtspunkt prozessualer Überholung als unzulässig verworfen werden. Bei Durchsuchungen von Wohn- und Geschäftsräumen ist vielmehr schon wegen des Eingriffs in das Grundrecht des Art. 13 Abs. 1 GG ein Rechtsschutzinteresse des Betroffenen zu bejahen.
c) Die angegriffene Rechtsmittelentscheidung des Landgerichts wird diesem verfassungsrechtlichen Maßstab nicht gerecht. Indem sie die Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung wegen prozessualer Überholung verworfen hat, verletzt sie Art. 19 Abs. 4 GG in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 GG. Diese Grundrechtsverletzung setzt sich in der weiteren Entscheidung des Landgerichts fort, die Beschwerde gegen die richterliche Bestätigung der Beschlagnahme sei unbegründet. Denn es ist nicht auszuschließen, daß das Landgericht nach der gebotenen inhaltlichen Überprüfung der Durchsuchungsanordnung auch bei der Beurteilung der Beschlagnahme zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis gelangt wäre. Zwar steht der Beschlagnahme eines Gegenstandes regelmäßig nicht entgegen, daß er aufgrund einer rechtsfehlerhaften Durchsuchung erlangt worden ist; etwas anderes kann jedoch bei einem besonders schwerwiegenden Verstoß gelten (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Aufl., 1997, § 94 Rn. 21). Deshalb ist der angegriffene Beschluß in vollem Umfang aufzuheben; die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen.
2. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Limbach, Kruis, Winter
Fundstellen
Haufe-Index 1276513 |
NJW 1999, 273 |