Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückwirkung des Gewerbesteueränderungsgesetzes 1963
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Zulässigkeit der Rückwirkung von Steuergesetzen.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; GewStG 1963 § 11 Abs. 2, § 36; GewStÄndG 1963 Art. 1 Nr. 7
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Vorlegungsbeschluss vom 09.04.1964; Aktenzeichen VI Kö 22/64) |
Gründe
A. – I.
1. Die Vorschrift des Artikels 6 Nr. 9 Buchst.a des Steueränderungsgesetzes 1961 vom 13. Juli 1961 (BGBl. I S. 981) – StÄndG – faßte § 11 Abs. 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) neu. Es bezog die Kapitalgesellschaften im Sinne des § 19 Abs. 1 Ziff. 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) in die Vergünstigung des Staffeltarifs ein, der bisher den natürlichen Personen und den Personengesellschaften im Sinne des § 2 Abs. 2 Ziff. 1 GewStG vorbehalten war. Unter „personenbezogenen” Kapitalgesellschaften versteht das Körperschaftsteuergesetz solche unbeschränkt steuerpflichtigen Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Kolonialgesellschaften und bergrechtliche Gewerkschaften, deren bei der letzten Veranlagung zur Vermögensteuer zugrunde gelegtes Vermögen zuzüglich des Wertes der Beteiligung im Sinne des § 60 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) den Betrag von 5 Millionen DM nicht übersteigt, und bei denen seit Beginn des Wirtschaftsjahres ununterbrochen die Anteile zu mindestens 76 v.H. des Nennkapitals natürlichen Personen gehören und die Nennwerte der zum Betriebsvermögen gehörenden Beteiligungen das Nennkapital nicht übersteigen. Bei Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien müssen die Aktien auf Namen lauten und dürfen nicht zum Handel an einer Börse oder im geregelten Freiverkehr zugelassen sein. Das Gesetz zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes vom 30. Juli 1963 (BGBl. I S. 563) – GewStÄndG – beseitigte wieder für die personenbezogenen Kapitalgesellschaften die Vorteile des Staffeltarifs. Das Gesetz trat nach Art. 3 am 3. August 1963 in Kraft. Art. 1 Nr. 7 GewStÄndG änderte § 36 Abs. 1 Ziff. 1 GewStG 1962 dahin, daß die Neufassung des Gewerbesteuergesetzes bei der Gewerbesteuer nach dem Gewerbeertrag und dem Gewerbekapital bereits für den Erhebungszeitraum 1962 anzuwenden ist.
2. Das Gesetz zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes vom 30. Juli 1963 lautet in den hier entscheidenden Stellen:
Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Das Gewerbesteuergesetz in der Fassung vom 13. September 1961 (Bundesgesetzbl. I S. 1730) wird wie folgt geändert und ergänzt:
- …
- …
- In § 11 Abs. 2 Ziff. 1 werden die Worte ‚und bei Kapitalgesellschaften im Sinn des § 19 Abs. 1 Ziff. 2 des Körperschaftsteuergesetzes’ gestrichen.
- …
- …
- …
§ 36 erhält folgende Fassung:
§ 36
Zeitlicher Geltungsbereich
(1) Die vorstehende Fassung dieses Gesetzes ist erstmals anzuwenden
- bei der Gewerbesteuer nach dem Gewerbeertrag und dem Gewerbekapital für den Erhebungszeitraum 1962,
- bei der Lohnsummensteuer auf Lohnsummen, die nach dem 31. Dezember 1961 gezahlt werden.
(2) Abweichend von Absatz 1 sind § 8 Ziff. 3 und 4 von dem Erhebungszeitraum 1949 an, § 9 Ziff. 1 Satz 4 von dem Erhebungszeitraum 1957 an anzuwenden. § 8 Ziff. 5 und 6 und § 31 Ziff. 3 des Gewerbesteuergesetzes in den jeweils angewendeten Fassungen sind vom Erhebungszeitraum 1949 an nicht mehr anzuwenden.
- …
II.
1. Gegen die Firma…, eine personenbezogene Kapitalgesellschaft im Sinne des § 19 Abs. 1 Ziff. 2 KStG, setzte das Finanzamt Hannover-Nord am 10. September 1963 für den Erhebungszeitraum 1962 einen einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag fest. Dieser wurde bezüglich des in ihm enthaltenen Steuermeßbetrags nach dem Gewerbeertrag nach der Vorschrift des § 11 Abs. 2 GewStG 1962 in der Fassung des Gewerbesteueränderungsgesetzes vom 30. Juli 1963 ermittelt.
Gegen den Bescheid des Finanzamts legte die Firma… – mit Zustimmung des Vorstehers des Finanzamts – Sprungberufung zum Niedersächsischen Finanzgericht ein. Sie machte geltend, Art. 1 Nr. 3 GewStÄndG sei insoweit verfassungswidrig, als nach Art. 1 Nr. 7 GewStÄndG der Wegfall des Staffeltarifs nach § 11 Abs. 2 Ziff. 1 GewStG für personenbezogene Kapitalgesellschaften für den bereits abgeschlossenen Erhebungszeitraum 1962 gelten solle. Ihr hätte ein Degressionsfreibetrag von 600 DM für den Erhebungszeitraum 1962 zugestanden, der nun weggefallen sei.
2. Mit Beschluß vom 9. April 1964 setzte das Niedersächsische Finanzgericht – VI. Kammer – das Berufungsverfahren aus, um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, ob die durch Art. 1 Nr. 7 GewStÄndG bewirkte Geltung der Vorschrift des Art. 1 Nr. 3 GewStÄndG vom 30. Juli 1963 für den Erhebungszeitraum 1962 mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Das Finanzgericht ist der Auffassung, Art. 1 Nr. 7 GewStÄndG ordne eine verfassungswidrige Rückwirkung an. Von der Entscheidung der verfassungsrechtlichen Frage, ob Art. 1 Nr. 7 GewStÄndG mit dem Grundgesetz vereinbar sei, hänge der Ausgang des Berufungsverfahrens ab. Je nachdem man § 11 Abs. 2 GewStG in der Fassung des Gesetzes vom 13. September 1961 oder in der Fassung des Gesetzes vom 31. Juli 1963 auf den Streitfall anwende, ergebe sich ein unterschiedlicher Steuermeßbetrag nach dem Gewerbeertrag in Höhe von 600 DM.
Bei der Gewerbesteuer nach dem Gewerbeertrag und dem Gewerbekapital entstehe die Steuerschuld nach § 3 Abs. 5 StAnpG mit Ablauf des Erhebungszeitraums, also für 1962 am 31. Dezember 1962. Zu diesem Zeitpunkt habe § 11 Abs. 2 GewStG noch in der Fassung des Gesetzes vom 13. September 1961 gegolten. Der Steuertatbestand sei also noch unter der Fassung des Gewerbesteuergesetzes vom Jahre 1961 verwirklicht worden. Der Staatsbürger könne darauf vertrauen, daß ein Abgabengesetz nicht rückwirkend zu seinem Nachteil geändert und damit auf einen Sachverhalt erstreckt werde, der zur Zeit des Inkrafttretens der Gesetzesänderung bereits abgeschlossen gewesen sei. Es liege nicht einer der Ausnahmefälle vor, in denen dieses Vertrauen nicht geschützt sei. Die Änderung des § 11 Abs. 2 GewStG 1961 zum Nachteil des Staatsbürgers sei für die Firma… nicht voraussehbar gewesen. Die Nichtigerklärung der Vorschrift des § 8 Ziff. 6 GewStG durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Januar 1962 (BVerfGE 13, 331) habe dem unbefangenen Staatsbürger den Glauben und das Vertrauen in die Rechtsbeständigkeit dieser Vorschrift nicht nehmen können. § 11 Abs. 2 GewStG 1961 habe als eine Tarifvorschrift in keinem sachlichen Zusammenhang zu der Regelung des früheren § 8 Ziff. 6 GewStG gestanden. Die Bestimmung sei auch nicht unklar oder verworren gewesen. Sie habe vielmehr in zulässiger Weise – ebenso wie § 19 Abs. 1 Ziff. 2 KStG – die personenbezogenen Kapitalgesellschaften im Vergleich zu den Publikumsgesellschaften begünstigt und damit ihre steuerliche Belastung der der Personengesellschaften angeglichen. Einer rückwirkenden Klarstellung habe es daher nicht bedurft. § 11 Abs. 2 GewStG 1961 sei schließlich nicht verfassungswidrig gewesen und habe deshalb nicht nur einen Rechtsschein erzeugt. Der Gesetzgeber hätte ihn sonst nicht für den Erhebungszeitraum 1961 weitergelten lassen dürfen. Endlich seien auch keine zwingenden Gründe des gemeinen Wohls zu erkennen, die – als dem Gebot der Rechtssicherheit übergeordnet – die Rückwirkung hätten rechtfertigen können. Etwaige fiskalische Interessen rechtfertigen die Preisgabe der Rechtssicherheit ohnehin nicht.
III.
1. Der Bundesminister der Finanzen hält Art. 1 Nr. 3 GewStÄndG vom 30. Juli 1963, soweit sich die Vorschrift auf den Erhebungszeitraum 1962 bezieht (Art. 1 Nr. 7), für mit dem Grundgesetz vereinbar.
Er führt aus:
Die Einführung der Tarifdegression des § 11 Abs. 2 Ziff. 1 GewStG durch Art. 6 Nr. 9 StÄndG 1961 habe eine steuerliche Besserstellung für die personenbezogenen gegenüber den nichtpersonenbezogenen Kapitalgesellschaften herbeigeführt, bei denen die Steuermeßzahl für den Gewerbeertrag (ohne Degression) durchgehend 5 v.H. betrage (§ 11 Abs. 2 Ziff. 2 GewStG).
Durch Art. 1 Nr. 3 und Nr. 7 GewStÄndG vom 30. Juli 1963 sei diese Besserstellung der personenbezogenen Kapitalgesellschaften, erstmals für den Erhebungszeitraum 1962, wieder beseitigt worden.
Von der beabsichtigten Herausnahme der personenbezogenen Kapitalgesellschaften aus der Tarifdegression des § 11 Abs. 2 Ziff. 1 GewStG sei die Öffentlichkeit bereits im Jahre 1962 durch die Presse unterrichtet worden. Die betreffenden Steuerpflichtigen hätten daher mit der Rechtsänderung rechnen müssen.
- Die Tarifdegression des § 11 Abs. 2 Ziff. 1 GewStG sei ursprünglich nur den Einzelunternehmen und Personengesellschaften gewährt worden, denen es nach den einkommensteuerrechtlichen Vorschriften verwehrt sei, irgendwelche Vergütungen für die Tätigkeit des Unternehmers abzusetzen. Es habe dabei der Gedanke eine Rolle gespielt, daß bei personenbezogenen Kapitalgesellschaften, die in der Hauptsache mittelständische Unternehmen seien, unter dem Gesichtspunkt der Mittelstandsförderung ein besonderes Schutzbedürfnis anerkannt werden müsse.
Durch Urteil vom 24. Januar 1962 habe das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 13, 331) die Vorschrift des § 8 Ziff. 6 GewStG für nichtig erklärt. Damit habe die Einbeziehung der personenbezogenen Kapitalgesellschaften in die Tarifdegression nicht mehr mit der Erwägung aufrechterhalten werden können, die personenbezogene Kapitalgesellschaft komme ihrer inneren Struktur nach dem Personenunternehmen gleich. Die Eliminierung der personenbezogenen Kapitalgesellschaften aus der Tarifdegression des § 11 Abs. 2 Ziff. 1 GewStG habe sich als eine notwendige Folge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergeben. Spätestens seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Januar 1962 zu § 8 Ziff. 6 GewStG hätten daher die durch § 11 Abs. 2 Ziff. 1 GewStG 1961 begünstigten Kreise bei „verständiger Vorausschau im privaten und beruflichen Bereich” (vgl. BVerfGE 8, 274 [304]) damit rechnen müssen, daß der Gesetzgeber die Tarifvergünstigung für personenbezogene Kapitalgesellschaften wieder aufheben werde.
Dazu sei der Gesetzgeber aus Gründen der Steuergerechtigkeit verpflichtet gewesen.
2. Der Bundesfinanzhof hat ausgeführt:
Die Beantwortung der Frage, ob die durch Art. 1 Nr. 7 GewStÄndG vom 30. Juli 1963 verfügte Rückwirkung der Vorschrift des Art. 1 Nr. 3 GewStÄndG auf das Jahr 1962 mit dem Grundgesetz vereinbar sei, hänge davon ab, ob die Begünstigung der personenbezogenen Kapitalgesellschaften durch Art. 6 Nr. 9 Buchst. a StÄndG vom 13. Juli 1961 im Hinblick auf die Nichtigkeit des § 8 Ziff. 6 GewStG verfassungswidrig gewesen sei. Dazu sei zu bemerken:
- Die Begünstigung der „personenbezogenen Kapitalgesellschaften” durch Art. 6 Nr. 9 Buchst. a StÄndG 1961 sei u.a. damit begründet worden, daß ihre Gewerbebetriebe „zwar in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft geführt werden, aber ihrer inneren Struktur nach mehr einer Personengesellschaft entsprechen”. Die sachliche Begründung der Privilegierung könne aber ebenso in dem „besonderen Schutzbedürfnis” der kapitalschwächeren Kapitalgesellschaften gesehen werden.
Eine andere Frage sei, ob die personenbezogenen Kapitalgesellschaften nicht den Personengesellschaften gegenüber einen ungerechtfertigten Vorteil hätten, wenn beide im Tarif des Gewerbesteuergesetzes gleichgestellt seien.
Die Bevorzugung der personenbezogenen Kapitalgesellschaften gegenüber den Personengesellschaften könne aus dem Gewerbesteuerrecht allein nicht gerechtfertigt werden. Es frage sich jedoch, ob die personenbezogenen Kapitalgesellschaften und die Personengesellschaften wegen der Unterschiede in der Gesamtbesteuerung überhaupt im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG vergleichbar seien; denn das Einkommen der Kapitalgesellschaften unterliege der Körperschaftsteuer (§ 1 Abs. 1 Ziff. 1 KStG); die Einkünfte der Personengesellschaften würden dagegen – auf Grund einer einheitlichen Gewinnfeststellung (§ 215 Abs. 2 AO) – den Gesellschaftern unmittelbar zugerechnet und unterlägen dort, wenn die Gesellschafter natürliche Personen seien, der Einkommensteuer. Nach dem sogenannten Grundsatz der Doppelbesteuerung seien aber auch die Einkünfte natürlicher Personen aus der Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft einkommensteuerpflichtig (§ 20 Abs. 1 Ziff. 1 EStG); die Einkommensteuer des Gesellschafters werde also durch die von der Gesellschaft bezahlte Körperschaftsteuer nicht abgegolten.
- Würde man gleichwohl zu dem Ergebnis kommen, daß die durch Art. 6 Nr. 9 Buchst. a StÄndG vom 13. Juli 1961 eingeführte Begünstigung der personenbezogenen Kapitalgesellschaften im Hinblick auf die schon damals gegebene Verfassungswidrigkeit des § 8 Ziff. 6 GewStG verfassungswidrig gewesen sei, so enthielte Art. 1 Nr. 7 GewStÄndG insoweit, als die Bestimmung die Anwendung des Art. 1 Nr. 3 dieses Gesetzes bereits für den Erhebungszeitraum 1962 vorschreibe, materiell überhaupt keine Rückwirkung. Denn dann hätte Art. 1 Nr. 7 GewStÄndG nur eine ohnehin schon nichtige Vorschrift auch formell außer Kraft gesetzt.
B.
1. Es kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da dem Verfahren kein Verfassungsorgan beigetreten ist.
2. Die Vorlage ist zulässig.
Nach der vertretbaren Auffassung des vorlegenden Gerichts hängt die Entscheidung über die bei ihm anhängige Sprungberufung davon ab, ob das Gesetz zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes vom 30. Juli 1963 durch Art. 1 Nr. 3 und 7 ohne Verstoß gegen das Grundgesetz anordnen konnte, daß für personenbezogene Kapitalgesellschaften im Sinne des § 19 Abs. 1 Ziff. 2 KStG die Steuermeßzahl für den Gewerbeertrag auch für den abgelaufenen Erhebungszeitraum 1962 nicht nach dem Staffeltarif des § 11 Abs. 2 Ziff. 1 GewStG, sondern nach § 11 Abs. 2 Ziff. 2 GewStG zu berechnen ist. Sei diese Frage zu bejahen, so will das Gericht die Sprungberufung zurückweisen. Es hält aber Art. 1 Nr. 3 in Verbindung mit Art. 1 Nr. 7 GewStÄndG vom 30. Juli 1963 für verfassungswidrig und will deshalb dem Rechtsmittel stattgeben. Die vorgelegte Frage ist demnach entscheidungserheblich.
C.
Art. 1 Nr. 7 GewStÄndG ist, soweit er die Anwendung des Art. 1 Nr. 3 dieses Gesetzes auf den Erhebungszeitraum 1962 anordnet, mit dem Grundgesetz vereinbar.
1. Die Bestimmung wirkt allerdings auf einen in der Vergangenheit unter einem anderen Recht abgeschlossenen und verwirklichten Tatbestand rechtlich verändernd ein. Nach dem Gewerbesteuergesetz ist Erhebungszeitraum das Kalenderjahr. In dem Jahre 1962 entstand die Gewerbesteuerschuld für personenbezogene Kapitalgesellschaften nach § 11 Abs. 2 Ziff. 1 GewStG, der ihnen im Gegensatz zu anderen Kapitalgesellschaften bei der Feststellung des Steuermeßbetrags für den Gewerbeertrag die Staffelung der Steuermeßzahlen zubilligte. Durch die am 30. Juli 1963 erlassene Vorschrift des Art. 1 Nr. 7 GewStÄndG ist dieses Privileg zum Nachteil der personenbezogenen Kapitalgesellschaften auch für den schon abgelaufenen Erhebungszeitraum 1962 geändert worden. Für die personenbezogenen Kapitalgesellschaften waren damit nicht mehr die Meßzahlen des günstigen Steuertarifs nach § 11 Abs. 2 Ziff. 1 GewStG maßgebend, die während des Ablaufs des Erhebungszeitraums für sie gegolten hatten, sondern sie unterlagen dem Tarif des § 11 Abs. 2 Ziff. 2 wie alle anderen Kapitalgesellschaften. Die Anordnung des Art. 1 Nr. 7 GewStÄndG, daß die Vorschrift des Art. 1 Nr. 3 dieses Gesetzes auch für den Erhebungszeitraum 1962 Geltung haben solle, enthält daher eine echte Rückwirkung (BVerfGE 11, 139 [145 f.]).
2. Gesetze, die dem Bürger rückwirkend eine öffentlich-rechtliche Leistungspflicht gegenüber dem Staat auferlegen oder erhöhen, sind grundsätzlich unzulässig. Sie zerstören das Vertrauen in die bestehende Rechtsordnung (vgl. BVerfGE 11, 64 [72 f.]; 11, 139 [145]; 13, 206 [212 f.]; 13, 215 [221 f.]; 13, 261 [270 f.]). Der Grundsatz der Unzulässigkeit rückwirkender belastender Normsetzung läßt jedoch Ausnahmen zu, die mit der Tragweite des Vertrauensschutzes für den Bürger zusammenhängen. Eine solche Ausnahme ist hier gegeben.
a) Das Vertrauen ist nicht schutzwürdig, wenn der Bürger nach der rechtlichen Situation in dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge zurückbezogen wird, mit dieser Regelung rechnen mußte (BVerfGE 8, 274 [304]; 13, 261 [272]). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Nach dem Bekanntwerden des Urteils des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Januar 1962 (BVerfGE 13, 331 f.), das die Nichtigkeit von § 8 Ziff. 6 GewStG vom 1. Dezember 1936 in der Fassung vom 30. April 1952 feststellte, soweit er die in § 2 Abs. 2 Ziff. 2 und Abs. 3 bezeichneten juristischen Personen betraf, konnte und durfte man auf die Rechtsbeständigkeit des § 11 Abs. 2 Ziff. 1 GewStG in der Fassung des Steueränderungsgesetzes vom 13. Juli 1961 jedenfalls insoweit nicht mehr vertrauen, als er personenbezogene Kapitalgesellschaften betraf.
Nach § 8 Ziff. 6 GewStG in den früheren Fassungen waren bei der Ermittlung des Gewerbeertrages auch Gehälter und sonstige Vergütungen jeder Art hinzuzurechnen, die von einer Kapitalgesellschaft, einer Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft oder einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit an wesentlich Beteiligte oder an ihre Ehegatten für eine Beschäftigung im Betrieb gewährt wurden. Das gleiche galt für solche Personen, die an sonstigen juristischen Personen des privaten Rechts oder an nicht rechtsfähigen Vereinen, die einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb außerhalb einer land- und forstwirtschaftlichen Betätigung unterhielten, wesentlich beteiligt waren.
§ 8 Ziff. 6 GewStG wollte die personenbezogenen Kapitalgesellschaften für die Festsetzung des Steuermeßbetrags den natürlichen Personen und den Personengesellschaften gleichstellen, die zwar die Einkünfte der Betriebsinhaber und ihrer Ehefrauen bei der Ermittlung des Gewerbeertrags nicht absetzen können, dafür aber den günstigen Staffeltarif beanspruchen können. Zusammen mit der Vorschrift entfiel der Grund, auch für die personenbezogenen Kapitalgesellschaften das Privileg des Staffeltarifs gemäß § 11 Abs. 2 Ziff. 1 GewStG aufrechtzuerhalten. Die entsprechende Vorschrift widersprach nach Wegfall des § 8 Abs. 6 GewStG dem System des Gewerbesteuergesetzes. Man mußte nun damit rechnen, daß sie aufgehoben werde, weil sie nunmehr den personenbezogenen Kapitalgesellschaften einen ungerechtfertigten steuerlichen Vorteil verschaffte. Auf die Beständigkeit der Einbeziehung der personenbezogenen Kapitalgesellschaften in die Vorschrift des § 11 Abs. 2 Ziff. 1 GewStG bestand daher während der Dauer des Erhebungszeitraums 1962 kein Anspruch auf Vertrauensschutz. Dabei ist unerheblich, ob die Bundesregierung die beabsichtigte Änderung der Vorschrift angekündet hat oder nicht.
b) Das Vertrauen des Staatsbürgers ist nicht schutzwürdig, wenn es sich auf eine ungültige Norm bezieht, die nur einen Rechtsschein erzeugt hat (BVerfGE 13, 261 [272]). Dasselbe muß aber auch gelten, wenn eine Norm infolge des Wegfalls einer anderen Norm in der gesetzlichen Gesamtregelung sich offenbar als systemwidrig und ungerecht herausstellt, so daß ernsthafte Zweifel an ihrer Verfassungsmäßigkeit entstehen müssen. Dem Gesetzgeber ist deshalb nicht verwehrt, die Rechtslage rückwirkend zu ändern. Er kann und wird dies gerade deshalb tun, weil er mit Rücksicht auf die Forderung der Rechtsstaatlichkeit statt anfechtbarem unanfechtbares Recht setzen will, um die Rechtssicherheit wiederherzustellen (vgl. auch BVerfGE 13, 215 f.). So liegt der Fall hier.
Nach dem Wegfall der Vorschrift des § 8 Ziff. 6 GewStG waren die personenbezogenen Kapitalgesellschaften sowohl gegenüber den Personengesellschaften und Einzelunternehmern als auch gegenüber den übrigen Kapitalgesellschaften in einer Weise begünstigt, die mit dem System des Gewerbesteuergesetzes unvereinbar war. Gegenüber den Personengesellschaften und Einzelunternehmern lag diese Begünstigung darin, daß sie bei der Ermittlung des Gewerbeertrags die von ihnen für eine Beschäftigung an wesentlich beteiligte Gesellschafter bezahlten Vergütungen abziehen konnten. Ein solcher Abzug ist den Personengesellschaften und Einzelunternehmern nicht gestattet. Gegenüber den anonymen Kapitalgesellschaften waren die personenbezogenen Kapitalgesellschaften privilegiert, weil für sie der Staffeltarif des § 11 Abs. 2 Ziff. 1 GewStG galt; die anonymen Kapitalgesellschaften hingegen unterlagen ohne Rücksicht auf die Höhe des Gewerbeertrags dem Tarif des § 11 Abs. 2 Ziff. 2. Für diese Bevorzugung im Gewerbesteuerrecht gegenüber zwei verschiedenen Gruppen von Steuerpflichtigen läßt sich schwerlich ein aus der Sache herzuleitender Grund finden. Es bestanden deshalb ernsthafte Zweifel, ob nicht § 11 Abs. 2 Ziff. 1 in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 1961 wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig ist. In einem solchen Fall ist dem Gesetzgeber gestattet, die Rechtslage rückwirkend zu klären. Er braucht nicht abzuwarten, ob das Bundesverfassungsgericht die Nichtigkeit der Norm feststellt.
Fundstellen
BVerfGE, 187 |
NJW 1966, 293 |