Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlass einer einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Außervollzugsetzung der für das Beitrittsgebiet anzuwendenden Regelungen über den Erwerb von derzeit noch unter staatlicher Treuhandverwaltung stehenden land- und forstwirtschaftlichen Flächen abgelehnt
Leitsatz (amtlich)
Die Folgenabwägung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG führt nicht dazu, das Flächenerwerbsprogramm nach § 3 des Ausgleichsleistungsgesetzes außer Vollzug zu setzen.
Leitsatz (redaktionell)
Im Ergebnis wiegen die Nachteile, die bei einer Aussetzung des Flächenerwerbsprogramms drohen, schwerer als die nachteiligen Folgen, die auf Seiten der Beschwerdeführer eintreten, wenn die einstweilige Anordnung nicht erlassen wird. Zur Entscheidung in der Hauptsache vgl. das Urteil des BVerfG vom 22.11.2000, 1 BvR 2307/94 u.a..
Normenkette
BVerfGG § 32 Abs. 1; AusglLeistG § 3 Abs. 2 S. 3, Abs. 5, 7-8; EALG; FlErwV
Nachgehend
Tatbestand
Gegenstand des Verfahrens ist ein Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung von Betroffenen der sogenannten demokratischen Bodenreform (Enteignungen im Bereich der Landwirtschaft in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands) mit dem Ziel, die Regelung über den Erwerb von derzeit noch unter staatlicher Treuhandverwaltung stehenden land- und forstwirtschaftlichen Flächen vorläufig außer Vollzug zu setzen.
I.
1. Nach Nr. 1 Satz 1 der Gemeinsamen Erklärung der Regierungen der beiden deutschen Staaten zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990, die gemäß Art. 41 Abs. 1 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag – vom 31. August 1990 (BGBl II S. 889) Bestandteil dieses Vertrages geworden ist, sind die Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage (1945 bis 1949) nicht mehr rückgängig zu machen. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, daß dieser Restitutionsausschluß, der unter anderem die Enteignungen im Rahmen der Bodenreform betrifft, von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden ist (vgl. BVerfGE 84, 90; Beschluß vom 18. April 1996, ZIP 1996, S. 886). In Nr. 1 Satz 4 der Gemeinsamen Erklärung hat die Regierung der Bundesrepublik Deutschland ihre Auffassung bekräftigt, daß einem künftigen gesamtdeutschen Parlament eine abschließende Entscheidung über etwaige staatliche Ausgleichsleistungen vorbehalten bleiben muß.
2. Dementsprechend hat der Gesetzgeber das Gesetz über die Entschädigung nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen und über staatliche Ausgleichsleistungen für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage (Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz – EALG) vom 27. September 1994 (BGBl I S. 2624, ber. BGBl 1995 I S. 110) erlassen. In ihm sind mehrere Gesetze zusammengefaßt, darunter – als Art. 1 – das Gesetz über die Entschädigung nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Entschädigungsgesetz – EntschG) und – als Art. 2 – das Gesetz über staatliche Ausgleichsleistungen für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können (Ausgleichsleistungsgesetz – AusglLeistG).
Das Ausgleichsleistungsgesetz sieht im Grundsatz vor, daß die Berechtigten eine aus einem Entschädigungsfonds zu erbringende Ausgleichsleistung in Geld erhalten, die durch Zuteilung von Schuldverschreibungen erfüllt wird; insoweit und wegen Einzelheiten der Berechnung verweist das Gesetz auf die §§ 1 bis 9 EntschG (vgl. § 2 Abs. 1 AusglLeistG). In § 3 AusglLeistG ist der Erwerb von land- und forstwirtschaftlichen Flächen geregelt, die von der Treuhandanstalt zu privatisieren sind. Die Vorschrift lautet:
§ 3
Flächenerwerb
(1) Wer am 1. Oktober 1996 ehemals volkseigene, von der Treuhandanstalt zu privatisierende landwirtschaftliche Flächen langfristig gepachtet hat, kann diese Flächen nach Maßgabe der folgenden Absätze 2 bis 4 und 7 erwerben.
(2) Berechtigt sind natürliche Personen, die auf den in Absatz 1 genannten Flächen ihren ursprünglichen Betrieb wieder eingerichtet haben und ortsansässig sind (Wiedereinrichter) oder einen Betrieb neu eingerichtet haben und am 3. Oktober 1990 ortsansässig waren (Neueinrichter) und diesen Betrieb allein oder als unbeschränkt haftender Gesellschafter in einer Personengesellschaft selbst bewirtschaften. Dies gilt auch für juristische Personen des Privatrechts, die ein landwirtschaftliches Unternehmen betreiben, die Vermögensauseinandersetzung gemäß den §§ 44 ff. des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Juli 1991 (BGBl I S. 1418), das zuletzt durch Gesetz vom 31. März 1994 (BGBl I S. 736) geändert worden ist, nach Feststellung durch die zuständige Landesbehörde ordnungsgemäß durchgeführt haben und deren Anteilswerte zu mehr als 75 vom Hundert von natürlichen Personen gehalten werden, die bereits am 3. Oktober 1990 ortsansässig waren. Wiedereinrichter im Sinne des Satzes 1 sind auch solche natürlichen Personen, bei denen die Rückgabe ihres ursprünglichen land- und forstwirtschaftlichen Betriebs aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen ausgeschlossen ist, sowie natürliche Personen, denen land- und forstwirtschaftliche Vermögenswerte durch Enteignung auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage entzogen worden sind. Berechtigt sind auch Gesellschafter der nach Satz 2 berechtigten juristischen Personen, die am 3. Oktober 1990 ortsansässig waren, hauptberuflich in dieser Gesellschaft tätig sind und sich verpflichten, den von ihrer Gesellschaft mit der für die Privatisierung zuständigen Stelle eingegangenen Pachtvertrag bis zu einer Gesamtlaufzeit von 18 Jahren zu verlängern und mit diesen Flächen für Verbindlichkeiten der Gesellschaft zu haften.
(3) Nach Absatz 2 Satz 1 bis 3 Berechtigte können vorbehaltlich der Sätze 2 bis 4 bis zu 600 000 Ertragsmeßzahlen erwerben. Soweit die Flächen von einer Personengesellschaft langfristig gepachtet sind, können die nach Absatz 2 berechtigten Gesellschafter insgesamt Flächen bis zur Obergrenze nach Satz 1 erwerben. Soweit eine nach Absatz 2 berechtigte juristische Person die Obergrenze nach Satz 1 nicht ausgeschöpft hat, können deren nach Absatz 2 Satz 4 berechtigten Gesellschafter die verbleibenden Ertragsmeßzahlen nach näherer Bestimmung durch die Gesellschaft erwerben. Die Erwerbsmöglichkeit nach Absatz 1 besteht, soweit ein Eigentumsanteil von 50 vom Hundert der landwirtschaftlich genutzten Fläche nicht überschritten wird; auf den Eigentumsanteil sind die einer Gesellschaft und ihren Gesellschaftern gehörenden Flächen anzurechnen; auch nach Absatz 5 zustehende oder bereits erworbene Flächen werden auf den Vomhundertsatz und auf die Ertragsmeßzahlen angerechnet.
(4) Berechtigte nach Absatz 2 Satz 1 bis 3 können ehemals volkseigene, von der Treuhandanstalt zu privatisierende Waldflächen bis zu 100 ha zusätzlich zu landwirtschaftlichen Flächen erwerben, falls dies unter Berücksichtigung des vorgelegten Betriebskonzepts eine sinnvolle Ergänzung des landwirtschaftlichen Betriebsteils darstellt und nachgewiesen wird, daß der landwirtschaftliche Betrieb im wesentlichen auf eigenen oder für mindestens zwölf Jahre gepachteten Flächen wirtschaftet.
(5) Natürliche Personen, denen land- oder forstwirtschaftliches Vermögen entzogen worden ist und bei denen die Rückgabe ihres ursprünglichen Betriebes aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen ausgeschlossen ist oder denen solche Vermögenswerte durch Enteignung auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage entzogen worden sind und die nicht nach den Absätzen 1 und 2 berechtigt sind, können ehemals volkseigene, von der Treuhandanstalt zu privatisierende landwirtschaftliche Flächen und Waldflächen erwerben, die nicht für einen Erwerb nach den Absätzen 1 bis 4 in Anspruch genommen werden. Landwirtschaftliche Flächen können nur bis zur Höhe der halben Ausgleichsleistung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 des Entschädigungsgesetzes, höchstens aber bis zu 300 000 Ertragsmeßzahlen, Waldflächen bis zur Höhe der verbleibenden Ausgleichsleistung erworben werden. Dies gilt nicht, soweit die Ausgleichsleistung zum Erwerb gemäß den Absätzen 1 bis 4 verwendet werden kann. Ist ein Erwerb des ehemaligen Eigentums nicht möglich, sollen Flächen aus dem ortsnahen Bereich angeboten werden. Ein Anspruch auf bestimmte Flächen besteht nicht. Ein Berechtigter nach Satz 1, dem forstwirtschaftliches Vermögen entzogen worden ist, kann landwirtschaftliche Flächen nicht oder nur in einem bestimmten Umfang erwerben. Will der Berechtigte nach Satz 1 seine Erwerbsmöglichkeit wahrnehmen, hat er dies der für die Privatisierung zuständigen Stelle innerhalb einer Ausschlußfrist von sechs Monaten nach Bestandskraft des Ausgleichsleistungs- oder Entschädigungsbescheides zu erklären. Wird dem nach den Absätzen 1 bis 4 Berechtigten von der für die Privatisierung zuständigen Stelle mitgeteilt, daß von ihm bewirtschaftete Flächen von einem nach diesem Absatz Berechtigten beansprucht werden, muß er innerhalb einer Frist von sechs Monaten der für die Privatisierung zuständigen Stelle mitteilen, welche Flächen er vorrangig erwerben will. Die Erwerbsmöglichkeit nach diesem Absatz kann der Berechtigte auf den Ehegatten, an Verwandte in gerader Linie sowie an Verwandte zweiten Grades in der Seitenlinie übertragen. Soweit eine Erbengemeinschaft berechtigt ist, kann die Erwerbsmöglichkeit auf ein Mitglied übertragen oder auf mehrere Mitglieder aufgeteilt werden.
(6) Gegenüber einem Pächter muß sich der Erwerber nach Absatz 5 bereit erklären, bestehende Pachtverträge bis zu einer Gesamtlaufzeit von 18 Jahren zu verlängern. Ist die für die Privatisierung zuständige Stelle gegenüber dem Pächter verpflichtet, die verpachteten Flächen an ihn zu veräußern, so sind diese Flächen in den Grenzen der Absätze 1 bis 4 für einen Erwerb nach Absatz 5 nur mit Zustimmung des Pächters verfügbar.
(7) Der Wertansatz für landwirtschaftliche Flächen ist vorbehaltlich des Satzes 2 das Dreifache des Einheitswerts der jeweiligen Fläche, der nach den Wertverhältnissen am 1. Januar 1935 festgestellt ist oder noch ermittelt wird (Einheitswert 1935). Werden aufstehende Gebäude miterworben, können unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles, insbesondere des Zustands des Gebäudes Zu- oder Abschläge aufgrund einer Empfehlung des Beirats nach § 4 Abs. 1 festgelegt werden; hierbei soll der Verkehrswert des Gebäudes mitberücksichtigt werden. Für Waldflächen mit einem Anteil hiebsreifer Bestände von weniger als zehn vom Hundert ist der Wertansatz auf der Grundlage des dreifachen Einheitswerts 1935 unter Beachtung des gegenwärtigen Waldzustandes zu ermitteln. Werden Waldflächen in den Jahren 1995 und 1996 erworben, können Abschläge bis zu 200 Deutsche Mark pro Hektar vorgenommen werden. Beträgt der Anteil hiebsreifer Bestände zehn vom Hundert oder mehr, ist insoweit der Verkehrswert anzusetzen. Die für die Privatisierung zuständige Stelle kann im Einzelfall verlangen, daß der Berechtigte anderweitig nicht verwertbare Restflächen zum Verkehrswert mitübernimmt.
(8) Natürliche Personen, die
- ihren ursprünglichen, im Beitrittsgebiet gelegenen forstwirtschaftlichen Betrieb wiedereinrichten und ortsansässig sind oder im Zusammenhang mit der Wiedereinrichtung ortsansässig werden oder
- einen forstwirtschaftlichen Betrieb neu einrichten und am 3. Oktober 1990 ortsansässig waren oder
- nach Absatz 5 Satz 1 zum Erwerb berechtigt sind und einen forstwirtschaftlichen Betrieb neu einrichten und diesen Betrieb allein oder als unbeschränkt haftender Gesellschafter in einer Personengesellschaft selbst bewirtschaften, können ehemals volkseigene, von der Treuhandanstalt zu privatisierende Waldflächen bis zu 1000 ha erwerben, wenn sie keine landwirtschaftlichen Flächen nach den Absätzen 1 bis 7 erwerben. Als forstwirtschaftlicher Betrieb im Sinne des Satzes 1 gilt auch der forstwirtschaftliche Teil eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes. Absatz 2 Satz 3 gilt entsprechend. Die Berechtigten müssen für die gewünschte Erwerbsfläche ein forstwirtschaftliches Betriebskonzept vorlegen, das Gewähr für eine ordnungsgemäße forstwirtschaftliche Bewirtschaftung bietet. Der Betriebsleiter muß über eine für die Bewirtschaftung eines Forstbetriebes erforderliche Qualifikation verfügen. Absatz 7 gilt entsprechend.
(9) Sind ehemals volkseigene, von der Treuhandanstalt zu privatisierende landwirtschaftliche Flächen bis zum 31. Dezember 2003 nicht nach den Absätzen 1 bis 5 veräußert worden, können sie von den nach diesen Vorschriften Berechtigten erworben werden. Der Kaufantrag muß bis spätestens 30. Juni 2004 bei der für die Privatisierung zuständigen Stelle eingegangen sein. Absatz 7 gilt entsprechend. Erwerb nach Absatz 3 und Satz 1 ist nur bis zu einer Obergrenze von insgesamt 800 000 Ertragsmeßzahlen, Erwerb nach Absatz 5 und Satz 1 ist nur bis zu einer Obergrenze von insgesamt 400 000 Ertragsmeßzahlen möglich.
(10) Die nach dieser Vorschrift erworbenen land- und forstwirtschaftlichen Flächen dürfen vor Ablauf von 20 Jahren ohne Genehmigung der für die Privatisierung zuständigen Stelle nicht veräußert werden. Eine Genehmigung darf nur unter der Voraussetzung erteilt werden, daß der den Erwerbspreis übersteigende Veräußerungserlös der Treuhandanstalt oder deren Rechtsnachfolger zufließt. Das Veräußerungsverbot nach Satz 1 bedarf zu seiner Wirksamkeit der Eintragung im Grundbuch; das Nähere regelt die Rechtsverordnung nach § 4 Abs. 3.
(11) …
Ergänzend dazu ist die Verordnung über den Erwerb land- und forstwirtschaftlicher Flächen, das Verfahren sowie den Beirat nach dem Ausgleichsleistungsgesetz (Flächenerwerbsverordnung – FlErwV) vom 20. Dezember 1995 (BGBl I S. 2072) ergangen, deren § 1 Abs. 2 Satz 1 lautet:
(2) Flächen im Sinne des § 3 Abs. 1, 4, 5, 8 und 9 des Ausgleichsleistungsgesetzes sind land- und forstwirtschaftliche Flächen einschließlich Öd- und Unland, die der Treuhandanstalt nach der 3. Durchführungsverordnung zum Treuhandgesetz vom 29. August 1990 (GBl I S. 1333) zugewiesen worden sind, einschließlich der Flächen der ehemals volkseigenen Güter, deren Vermögen der Treuhandanstalt nach § 1 der 3. Durchführungsverordnung zum Treuhandgesetz zur treuhänderischen Verwaltung übertragen worden ist. …
3. Die Aufgabe der Privatisierung ehemals volkseigener land- und forstwirtschaftlicher Flächen wird seit der Umbenennung der durch Beschluß des Ministerrats der Deutschen Demokratischen Republik vom 1. März 1990 (GBl I S. 107) gegründeten Treuhandanstalt von der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben wahrgenommen (vgl. § 1 der Verordnung über die Umbenennung und die Anpassung von Zuständigkeiten der Treuhandanstalt vom 20. Dezember 1994, BGBl I S. 3913). Für diese wird die Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft mbH tätig. Sie entscheidet über die Verwertung und Verwaltung der Flächen und kann dabei an Richtlinien gebunden werden. Eine solche Bindung enthält die Richtlinie der Treuhandanstalt für die Durchführung der Verwertung und Verwaltung volkseigener land- und forstwirtschaftlicher Flächen vom 26. Juni 1992 (abgedruckt in: VIZ 1993, S. 347 ff.) in der Fassung der Anpassungsrichtlinie vom 22. Juni 1993 (zum Inhalt vgl. BTDrucks 12/7588 S. 15 ff.). Die Anpassungsrichtlinie sieht in Nr. 2.4.5 unter anderem vor, daß bei der Entscheidung über die Verpachtung von Grundstücken zu landwirtschaftlichen Zwecken Betroffene der Bodenreform und ihre Erben – innerhalb der vorrangigen Gruppe der Wiedereinrichter und ihnen gleichgestellter Neueinrichter und bei gleichwertigem Betriebskonzept – „im Sinne eines Interessenausgleichs zu berücksichtigen” sind. Das Land Brandenburg hat im Rahmen eines Antrags nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG gerügt, daß diese Regelung eine unzulässige generelle Bevorzugung der Bodenreformopfer enthalte. Der Antrag ist vom Bundesverfassungsgericht mit Beschluß vom 29. April 1996 – 2 BvG 1/93 – gemäß § 24 BVerfGG verworfen worden. In den Gründen ist unter anderem ausgeführt, aus der „Berücksichtigungspflicht” folge weder ein Anspruch der Betroffenen der Bodenreform auf bestimmte Flächen oder Flächengrößen noch eine Pflicht, ihren Pachtanträgen stets zu entsprechen.
Entscheidungsgründe
II.
1. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wenden sich die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer gegen verschiedene Vorschriften des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes. Sie machen im wesentlichen geltend, daß das Ausgleichsleistungsgesetz, soweit es in § 2 Abs. 1 wegen der maßgeblichen Bemessungsgrundlage, der Kürzungsbeträge, des Lastenausgleichsabzugs und des Leistungszeitpunkts auf das Entschädigungsgesetz verweise, gegen Art. 3 Abs. 1 GG, das Rechts- und Sozialstaatsprinzip sowie gegen die Grundsätze des deutschen Entschädigungsrechts (Art. 20 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG) verstoße. Das gleiche gelte für die Regelungen über den Flächenerwerb (§ 3 AusglLeistG) und über die Rückgabe von Kulturgütern (§ 5 Abs. 2 AusglLeistG). Ziel der Verfassungsbeschwerde ist es, eine gesetzliche Neuregelung zu erreichen, die höhere Ausgleichsleistungen vorsieht und die Möglichkeiten der Betroffenen der Bodenreform verbessert, ihr früheres land- und forstwirtschaftliches Eigentum wiederzuerlangen.
2. Die Beschwerdeführer zu 1) bis 27) und 31) bis 33), nach ihrem Vortrag alle Bodenreformopfer, begehren den Erlaß einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, die Regelungen über den Erwerb von derzeit noch unter staatlicher Treuhandverwaltung stehenden land- und forstwirtschaftlichen Flächen vorläufig außer Vollzug zu setzen. Sie beantragen, bis zur Verkündung einer Entscheidung in der Hauptsache
- die Anwendung von § 3 AusglLeistG auszusetzen,
- die Verfügung über Flächen ehemaliger volkseigener Güter, die § 1 Abs. 2 Satz 1 FlErwV unterfallen, zu untersagen.
Zur Begründung tragen sie im wesentlichen vor:
Die nicht selbstwirtschaftenden Alteigentümer würden gegenüber den nach § 3 Abs. 1 bis 4 AusglLeistG berechtigten Pächtern in vielfältiger Weise benachteiligt, insbesondere weil sie gegenüber diesem Personenkreis nachrangig behandelt würden (§ 3 Abs. 5 Satz 1 AusglLeistG) und infolge des Pächtervorrangs im Regelfall nur die „schlechteren” Flächen erwerben könnten. Die Pächter würden unberechtigterweise in das Flächenerwerbsprogramm einbezogen und bevorzugt, obwohl sie gar nicht unter den Regelungsauftrag des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes fielen, weil ihnen Eigentum nicht entzogen worden sei. Die Beschwerdeführer sehen ferner eine verfassungswidrige Verkürzung ihrer Rechte darin, daß ihr Flächenerwerb seinem Umfang nach gemäß § 3 Abs. 5 Satz 2 AusglLeistG auf die Hälfte ihrer Ausgleichsleistung begrenzt ist sowie Nutzung und Veräußerung erworbener Flächen langfristig beschränkt sind.
Ergehe die einstweilige Anordnung nicht, erweise sich die Verfassungsbeschwerde aber hinsichtlich § 3 AusglLeistG später als begründet, bestehe die Gefahr, daß über die nur begrenzt zur Verfügung stehenden Flächen zu ihren Lasten verfügt und ihnen damit die Möglichkeit genommen werde, ihr früheres Alteigentum oder sonstige Flächen – zumindest teilweise – zurückzuerhalten. Diese Gefahr sei besonders groß bei hochwertigen Flächen; daß diese – bezogen auf ihren Verkehrswert – zum halben Preis erworben werden könnten, sei ein intensiver Kaufanreiz zu ihren Lasten. Aufgrund der Kombination von Kaufanreizen und politischem Willen sei es naheliegend, von einer raschen und nach Umschreibung des Eigentums im Grundbuch irreversiblen Umsetzung des Flächenerwerbsprogramms auszugehen. Dies werde belegt durch ihre vergeblichen Versuche, den Zuschlag für die Anpachtung geeigneter Flächen zu erhalten.
Auf der anderen Seite würden keine Gemeinwohlbelange beeinträchtigt, wenn eine einstweilige Anordnung erginge, die Verfassungsbeschwerde sich jedoch später als unbegründet erwiese. Das Flächenerwerbsprogramm sei kein unverzichtbarer Bestandteil des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes. Auch sie träten für eine Umstrukturierung der Land- und Forstwirtschaft im Beitrittsgebiet zugunsten von mehr (Privat-)Eigentum ein; dieses Ziel legitimiere es aber keineswegs, Nichtbetroffene vor den Alteigentümern zum Eigentumserwerb zuzulassen. Sie nähmen es in Kauf, wenn sich aufgrund ihres Eilantrags der Vollzug des Flächenerwerbsprogramms, das sie als unzureichende Kompensation ansähen, verschiebe. Dies sei für sie kein Nachteil, weil nach ihrer Rechtsauffassung das Flächenerwerbsprogramm nur zu ihren Gunsten korrigiert werden dürfe.
III.
Zu dem Antrag haben die Bundesregierung und die Regierungen der Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg- Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Stellung genommen.
1. Die Landesregierungen halten den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung bereits für unzulässig. Den Beschwerdeführern stehe der Rechtsweg offen, wenn sie gemäß § 10 Abs. 1 Satz 3 FlErwV von der Privatisierungsstelle die Mitteilung über die Ablehnung ihres Erwerbsantrags und den Termin für den Kaufvertragsabschluß mit dem berücksichtigten Erwerber erhielten. Zulässigkeitsbedenken bestünden zudem insoweit, als die Beschwerdeführer mit ihrer Verfassungsbeschwerde die Rückgabe ihrer enteigneten Objekte anstrebten, obwohl das Bundesverfassungsgericht entschieden habe, daß das Grundgesetz eine solche Rückgabe nicht verlange. Außerdem würden sie mit dem von ihnen angestrebten Wegfall des Flächenerwerbsprogramms, das auch sie in gewissem Umfang begünstige, diese Begünstigung verlieren. Dies führe zu dem Bedenken, daß der Verfassungsbeschwerde gegen § 3 AusglLeistG bereits das Rechtsschutzinteresse fehle.
2. Zur Begründetheit des Antrags führen die Bundesregierung und die Landesregierungen im wesentlichen übereinstimmend aus:
Da der Ausschluß der Restitution von auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage entzogenem Eigentum nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu beanstanden und auch die Gewährung von Rückerwerbsrechten verfassungsrechtlich nicht geboten sei, seien die Erfolgsaussichten der Beschwerdeführer in der Hauptsache begrenzt. Es könne ausgeschlossen werden, daß sie einen verfassungskräftigen Eigentumsrückgewähranspruch hätten. Bei dem Flächenerwerb gemäß § 3 AusglLeistG handele es sich um eine Zugabe im Ausgleichsleistungsgesetz, die verfassungsrechtlich nicht geboten sei. Der Gesetzgeber hätte von Verfassungs wegen den begünstigten Erwerb auf Wieder- und Neueinrichter beschränken oder auf eine begünstigte Flächenerwerbsregelung generell verzichten können. Ergebnis der Verfassungsbeschwerde könne im Erfolgsfall nur das Gebot an den Gesetzgeber sein, die Materie neu zu regeln, nicht jedoch ein vom Gericht angeordnetes konkretes, für die Beschwerdeführer günstigeres Programm. Soweit die Verfassungsbeschwerde darauf gerichtet sei, sei sie offensichtlich unbegründet.
Bliebe es beim Vollzug des § 3 AusglLeistG, hätte die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg, könnte dies nur dann einen nicht wiedergutzumachenden Schaden für die Beschwerdeführer verursachen, wenn zwischenzeitlich über konkrete Landflächen verfügt würde, auf die sie einen Anspruch hätten. Gerade dies könne jedoch nicht das Ergebnis des Hauptsacheverfahrens sein. Die Verwirklichung nachgebesserter Flächenerwerbsmöglichkeiten, deren genaue Ausgestaltung dem Gesetzgeber überlassen bleiben müsse, wäre nur gefährdet, wenn in nächster Zeit alle in Betracht kommenden Flächen veräußert würden. Dies sei jedoch nicht zu befürchten. Bis zum voraussichtlichen Ende des Hauptsacheverfahrens bleibe noch so viel Land in Händen des Bundes, daß auch ein verbessertes Flächenerwerbsprogramm durchgeführt werden könne.
Hinsichtlich des Verkaufs ehemals volkseigener Güter gingen die Beschwerdeführer teilweise von tatsächlich nicht bestehenden Voraussetzungen aus. Ihre Chancen, an diesem Privatisierungsprozeß teilzunehmen, seien wesentlich besser als von ihnen dargestellt. Auch Alteigentümer könnten sich an der Ausschreibung der Verkaufslose beteiligen. Bei annähernd gleichwertigen Angeboten würden Wiedereinrichter, so auch Interessenten aus der Gruppe der Beschwerdeführer, sowie am 3. Oktober 1990 ortsansässige Neueinrichter vorrangig berücksichtigt. Es sei davon auszugehen, daß sich um den Kauf dieser größeren Verwertungseinheiten in erster Linie Neueinrichter, die ortsansässig werden wollten, sowie gelegentlich LPG-Nachfolgeunternehmen bewerben würden. Da diese nach der Treuhandrichtlinie in der Fassung vom 22. Juni 1993 nachrangig seien, dürften frühere Eigentümer bei einem annähernd gleichwertigen Angebot regelmäßig den Zuschlag erhalten. Da die ausgeschriebenen Güter-Lose nicht langfristig verpachtet seien, hätten die früheren Eigentümer hier keinen Pächtervorrang zu überwinden.
Würde das Flächenerwerbsprogramm nicht vollzogen, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde später aber als unbegründet, hätte dies gravierende Nachteile für andere Bürger sowie für die Interessen der Allgemeinheit. Nachteile für andere Bürger entstünden in erster Linie für die betroffenen Pächter, denen der Gesetzgeber vorrangige Erwerbsrechte habe einräumen wollen, die durch die einstweilige Anordnung blockiert würden. Eine Außervollzugsetzung von § 3 AusglLeistG hätte zudem nachteilige Auswirkungen auf die Investitionsbereitschaft der Pächter und auf ihre Kreditfähigkeit; für manche Pächter könnte dies zur Aufgabe der erhofften selbständigen landwirtschaftlichen Existenz führen. Zu berücksichtigen sei ferner, daß beim Erlaß der einstweiligen Anordnung auch Erwerbsmöglichkeiten für (andere) Bodenreformbetroffene blockiert würden. Gleiches gelte für die Erwerbsmöglichkeiten von Entschädigungsberechtigten nach Art. 1 EALG.
Mit Blick auf die betroffenen Allgemeininteressen hätte der Erlaß einer einstweiligen Anordnung gewichtige negative Auswirkungen für den wirtschaftlichen Aufbau in den neuen Ländern. Die Schaffung neuer Eigentumsstrukturen auch in der Land- und Forstwirtschaft sei dringend geboten. Die Verzögerung dieser zentralen Aufgabe im Prozeß der Wiedervereinigung hätte schwerwiegende fiskalische, wirtschaftliche und politische Folgen. Die fiskalischen Folgen lägen vor allem darin, daß die Erträge aus der angelaufenen Privatisierung zur Entlastung des Bundeshaushalts dringend benötigt würden. Außerdem entstünden dem Bund durch jede Verzögerung weitere Kosten.
Auch die wirtschafts- und strukturpolitischen Folgen eines Gesetzesaufschubs wären schädlich. Die gesamte wirtschaftliche Entwicklung in den betroffenen ländlichen Regionen sei von einem zügigen und erfolgreichen Vollzug der Privatisierung abhängig. Das Programm habe bereits jetzt zu vielfältigen wirtschaftlichen Initiativen geführt. Die mit ihm sichtbar gewordene Perspektive gesicherter Eigentumstitel habe Investitionen angestoßen und Kredite mobilisiert.
Schließlich drohe bei einem Erlaß der beantragten einstweiligen Anordnung gewichtiger politischer Schaden. In den landwirtschaftlichen Regionen der neuen Bundesländer herrsche die einheitliche Stimmung vor, daß man endlich die Chance zu eigenverantwortlicher Land- und Forstwirtschaft erhalten wolle. Die nunmehr gefundene Lösung sei ein schwierig ausgehandelter Kompromiß, der im Konsens von Bund und Ländern, Regierung und Opposition zustande gekommen sei. Seine Infragestellung durch eine einstweilige Anordnung könnte den Prozeß der Herstellung der inneren Einheit in den neuen Ländern nachhaltig belasten.
IV.
Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, aber unbegründet.
1. Das Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführer wird nicht durch die Unsicherheit in Frage gestellt, ob die Regelungen über den Flächenerwerb im Fall eines Erfolgs der gegen § 3 AusglLeistG gerichteten Verfassungsbeschwerde zu ihren Gunsten geändert werden. Insoweit reicht es aus, daß die Möglichkeit einer solchen Änderung nicht ausgeschlossen werden kann.
Der Zulässigkeit des Antrags steht auch nicht entgegen, daß die Beschwerdeführer zunächst fachgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen könnten. Die unmittelbare Anrufung des Bundesverfassungsgerichts mit der Verfassungsbeschwerde ist hier jedenfalls deshalb zulässig, weil sie im Sinne des insoweit entsprechend anwendbaren § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG von allgemeiner Bedeutung ist. Die Frage, ob die Eigentumslage, die durch die angegriffenen Regelungen geschaffen werden soll, Bestand hat, betrifft eine Vielzahl von Fällen und hat erheblichen Einfluß auf den Wiederaufbau der Land- und Forstwirtschaft in den neuen Bundesländern. Eine Vorabentscheidung des Bundesverfassungsgerichts schafft insoweit eine im Allgemeininteresse liegende Klarheit.
2. In der Sache hat der Antrag keinen Erfolg.
Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erwiese sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Kann letzteres nicht festgestellt werden, muß der Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens also als offen angesehen werden, sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde später aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde der Erfolg aber zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 91, 70 ≪74 f.≫; 92, 126 ≪129 f.≫; 93, 181 ≪186 f.≫; stRspr). Dabei ist ein besonders strenger Maßstab anzulegen, wenn – wie hier – eine gesetzliche Regelung außer Vollzug gesetzt werden soll (vgl. BVerfGE 93, 181 ≪186≫ m.w.N.).
Die Verfassungsbeschwerde ist, jedenfalls soweit sie sich auf § 3 AusglLeistG bezieht, weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Sie wirft klärungsbedürftige verfassungsrechtliche Fragen auf. Die danach gebotene Folgenabwägung fällt zuungunsten der Beschwerdeführer aus.
a) Ergeht die einstweilige Anordnung nicht, erweist sich die Verfassungsbeschwerde hinsichtlich der Flächenerwerbsregelung jedoch später als begründet, besteht die Gefahr, daß durch den grundbuchmäßigen Vollzug zwischenzeitlich abgeschlossener Kaufverträge vollendete Tatsachen geschaffen werden und danach für ein den Beschwerdeführern günstigeres Erwerbsprogramm weniger Fläche vorhanden ist. Nach den von den Beschwerdeführern nicht bestrittenen Angaben der Bundesregierung und der Landesregierungen ist allerdings davon auszugehen, daß selbst dann, wenn alle bevorrechtigten Pächter in vollem Umfang von den ihnen in § 3 AusglLeistG eingeräumten Flächenerwerbsmöglichkeiten Gebrauch machen würden, noch genügend Flächen auch für ein zugunsten der Alteigentümer verbessertes Flächenerwerbsprogramm vorhanden wären. Deshalb sind die Folgen eines ungehinderten Vollzugs des Flächenerwerbsprogramms für die Beschwerdeführer nicht derart gravierend, daß dessen Durchführung ohne Rücksicht auf andere Belange ausgesetzt werden müßte. Dies gilt auch, wenn zugunsten der Beschwerdeführer weiter angenommen wird, daß sich aufgrund der Beschränkung des Flächenerwerbs auf die Hälfte ihrer Ausgleichsleistung und auf höchstens 300 000 Ertragsmeßzahlen (§ 3 Abs. 5 Satz 2 AusglLeistG) Betriebsgrößen bilden können, die nach dem Vollzug des Flächenerwerbsprogramms vielfach nicht mehr erweitert werden können.
Es kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, daß Flächen, an deren Erwerb die Beschwerdeführer – insbesondere als frühere Eigentümer – besonders interessiert sind, für einen Rückerwerb nicht mehr zur Verfügung stehen werden. Bei der Gewichtung dieses Nachteils ist indessen zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber nicht verpflichtet war, den Opfern der Bodenreform eine Wiedergutmachung in Form einer Rückgabe der enteigneten Vermögenswerte in Natur zu gewähren (vgl. BVerfGE 84, 90 ≪126 f.≫).
Bei dem Verkauf von Flächen ehemals volkseigener Güter, auf den sich der Antrag Nr. 2 bezieht, sind – wie die Bundesregierung und die Landesregierungen im einzelnen dargelegt haben – die Erwerbschancen der Beschwerdeführer keineswegs so gering, wie es von diesen angenommen wird. Insbesondere ist hier kein Vorrang selbstwirtschaftender Pächter zu überwinden und sind LPG-Nachfolgeunternehmen gegenüber Alteigentümern nur nachrangig zu berücksichtigen.
Soweit die Beschwerdeführer schließlich befürchten, schon bei der Entscheidung über die Verpachtung von nach dem Flächenerwerbsprogramm begünstigten Flächen gegenüber Mitbewerbern benachteiligt zu werden, betrifft dies nicht den Inhalt und die Anwendung der von den Beschwerdeführern angegriffenen Regelungen. Abgesehen davon könnte gegen eine derartige Praxis fachgerichtlicher Rechtsschutz in Anspruch genommen werden.
b) Ergeht die einstweilige Anordnung, bleibt die Verfassungsbeschwerde in bezug auf § 3 AusglLeistG aber später erfolglos, ergeben sich erhebliche Nachteile sowohl für die nach der bestehenden Gesetzeslage Begünstigten als auch für das allgemeine Wohl.
aa) Von den Begünstigten nachteilig betroffen wären vor allem die selbstwirtschaftenden Pächter, deren vorrangige Erwerbsrechte durch den mit der einstweiligen Anordnung bewirkten Programmaufschub vorläufig blockiert würden. Auch deren Belange sind berücksichtigungsfähig, obwohl es sich nicht um Wiedergutmachungsberechtigte handelt. Ungeachtet der grundsätzlich auf Wiedergutmachung gerichteten Zielrichtung des Ausgleichsleistungsgesetzes werden in dessen § 3 zwei unterschiedliche Regelungsbereiche zusammengefaßt (vgl. dazu auch schon § 3 ≪Landerwerb≫ und § 4 ≪Siedlungskauf≫ des Entwurfs eines Ausgleichsleistungsgesetzes in der Fassung der Beschlußempfehlung des BT-Finanzausschusses vom 18. Mai 1994 nebst Begründung, BTDrucks 12/7588, S. 12 ff., 41 ff.). Die Vorschrift enthält neben einem Wiedergutmachungsprogramm für Alteigentümer (Absatz 5) ein eigenständiges Förderprogramm zum Aufbau der Land- und Forstwirtschaft in den neuen Bundesländern (Absätze 1 bis 4, 7 und 8). Mit letzterem verfolgt § 3 AusglLeistG das Ziel, für den Bereich der ostdeutschen Land- und Forstwirtschaft neue Eigentumsstrukturen und damit funktionsfähige Grundlagen für Erhalt und Fortentwicklung dieses Erwerbszweigs zu schaffen. Dabei hat der Gesetzgeber primär die selbstwirtschaftenden Pächter im Blick, ohne die Alteigentümer auszuschließen. Auch sie können am begünstigten Flächenerwerb teilnehmen und damit zum strukturellen Neuaufbau in den neuen Ländern beitragen, wenn sie ortsansässige, selbstwirtschaftende Pächter sind (§ 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG). Angesichts dieser doppelten Zielrichtung der Vorschrift sind im Rahmen der Folgenabwägung neben den Belangen der Beschwerdeführer auch diejenigen der selbstwirtschaftenden Pächter zu berücksichtigen.
bb) Auch das Interesse der Allgemeinheit an einem weiteren, möglichst zügigen wirtschaftlichen Aufbau – hier speziell der Land- und Forstwirtschaft – in den ostdeutschen Bundesländern würde bei einer Außervollzugsetzung des Flächenerwerbsprogramms nachhaltig betroffen. Der Erlaß der einstweiligen Anordnung wäre geeignet, die vom Gesetzgeber als förderungswürdig angesehene Investitionstätigkeit in den neuen Bundesländern im Bereich der Land- und Forstwirtschaft zu hemmen und in der Öffentlichkeit, namentlich in den betroffenen Kreisen der ostdeutschen Land- und Forstwirte, Unsicherheit über den Fortgang der Privatisierung der in Rede stehenden Flächen hervorzurufen. An der Vermeidung eines solchen Zustandes besteht, wie das Bundesverfassungsgericht für vergleichbare Sachlagen bereits entschieden hat (vgl. BVerfGE 85, 130 ≪133≫; 89, 113 ≪118≫), ein erhebliches öffentliches Interesse. Es ist ohne weiteres einsichtig, daß ein Eigentümer von Grund und Boden wesentlich bessere Möglichkeiten hat, Investitionen zu tätigen und die dafür erforderlichen Kredite zu erhalten, als jemand, der das von ihm bewirtschaftete Land lediglich gepachtet hat. Auch die Bereitschaft, solche Eigeninitiativen zu entwickeln, wird bei einem Eigentümer in aller Regel stärker ausgeprägt sein. Entscheidend aber ist der Bündelungseffekt der durch das Flächenerwerbsprogramm primär intendierten verbreiterten Eigentumsbildung. Durch die Förderung und Bildung von mehr Privateigentum soll sich die Investitionstätigkeit eines jeden Einzelnen im gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang zum erstrebten Aufbau einer insgesamt lebens- und leistungsfähigen Land- und Forstwirtschaft summieren und potenzieren.
Die Förderung dieser Entwicklung ist auch aus finanziellen Gründen dringlich. Die Erträge aus der Privatisierung des von der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben gehaltenen land- und forstwirtschaftlichen Vermögens werden benötigt, um den Bundeshaushalt von Folgekosten der deutschen Wiedervereinigung zu entlasten, wie sie in den Stellungnahmen der Äußerungsberechtigten genannt sind und von den Beschwerdeführern der Höhe nach nicht in Frage gestellt werden. Durch jede Verzögerung der Privatisierung entstehen dem Bund zusätzliche Kosten.
c) Nach allem wiegen die Nachteile, die bei einer Aussetzung des Flächenerwerbsprogramms drohen, schwerer als die nachteiligen Folgen, die auf seiten der Beschwerdeführer eintreten, wenn die einstweilige Anordnung nicht erlassen wird.
Fundstellen
BVerfGE, 334 |
EuGRZ 1996, 332 |
ZIP 1996, 1229 |
LKV 1996, 328 |