Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerhinterziehung: Auslegung von Strafnormen
Leitsatz (redaktionell)
1. Den Strafgerichten obliegt die Aufgabe, die Strafbarkeit eines Verhaltens anhand der bestehenden Gesetze zu prüfen. Dabei unterliegen der Interpretation durch die Strafgerichte auch nicht dem Strafrecht zuzurechnende Normen bzw. Normbestandteile, sofern sie bei sogenannten "Blanketttatbeständen", wie § 370 AO 1977, durch ihr "Hineinlesen" in den Straftatbestand ein strafrechtliches Verbot begründen. Erst wenn die Gerichte bei ihrer Auslegung den Wortsinn des Gesetzes als äußerste Grenze der Norminterpretation überschreiten, liegt der Rückschluss auf ein objektiv sachfremdes Handeln nahe.
2. Steuerliche Beratung, die sich, als Beihilfe zum gesetzlich hinreichend bestimmten Straftatbestand der Steuerhinterziehung darstellt, ist unzulässig. Dies hat der Steuerberater bei der Ausübung seiner Tätigkeit zu berücksichtigen. Dabei ist von ihm auch in Ansehung seines Grundrechts der freien Berufsausübung zu fordern, dass er in nicht eindeutig geklärten Rechtslagen eine nicht fern liegende Möglichkeit einer Strafbarkeit nach § 370 AO 1977 mit ins Kalkül zieht.
3. Als steuerrechtlich relevante Leistung i. S. des § 22 Nr. 3 EStG hat die Strafkammer im Rahmen seiner Prüfung des § 370 AO 1977 das "aktive" und damit durchaus als Leistungserbringung begreifbare - Bereiterklären zur Übernahme von Vermittlungstätigkeit in einem Immobiliengeschäft gewertet.
Normenkette
AO 1977 § 370; EStG § 22 Nr. 3; GG Art. 12 Abs. 1
Verfahrensgang
BayObLG (Beschluss vom 03.03.2004; Aktenzeichen 4 St RR 8/04) |
LG München (Urteil vom 31.12.2003; Aktenzeichen 15 Ns 301 Js 32338/02) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG liegt nicht vor.
Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.
Die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung offenbart keine Willkür. Den Strafgerichten obliegt die Aufgabe, die Strafbarkeit eines Verhaltens anhand der bestehenden Gesetze zu prüfen. Notwendig ist hierfür in einer Vielzahl von Fällen die Auslegung der zum Tatbestand einer Strafnorm gehörenden Merkmale. Dabei unterliegen der Interpretation durch die Strafgerichte auch nicht dem Strafrecht zuzurechnender Normen bzw. Normbestandteile, sofern sie bei sogenannten “Blanketttatbeständen”, wie § 370 AO, durch ihr “Hineinlesen” in den Straftatbestand ein strafrechtliches Verbot begründen. Erst wenn die Gerichte bei ihrer Auslegung den Wortsinn des Gesetzes als äußerste Grenze der Norminterpretation (vgl. hierzu BVerfGE 92, 1 ≪13≫; 110, 226 ≪248≫) überschreiten, liegt der Rückschluss auf ein objektiv sachfremdes Handeln nahe.
Vorliegend ist eine solche Verletzung der Grenzen möglicher Norminterpretation nicht erkennbar. Die Auslegung des Leistungsbegriffs in § 22 Nr. 3 EStG, die das Landgericht im Rahmen seiner Prüfung des § 370 AO auf Grundlage der finanzgerichtlichen Rechtsprechung vorgenommen hat, lässt sich mit dem gesetzlichen Wortlaut in Einklang bringen. Als steuerrechtlich relevante Leistung hat die Strafkammer das “aktive” – und damit durchaus als Leistungserbringung begreifbare – Bereiterklären zur Übernahme von Vermittlungstätigkeit in einem Immobiliengeschäft gewertet.
Das Urteil der Strafkammer ist auch nicht deshalb willkürlich, weil die Rechtsfrage, ob das Bereiterklären zu einer Vermittlungstätigkeit eine steuerlich relevante Leistung darstellt, aus Sicht des Beschwerdeführers jedenfalls bis zur Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 20. April 2004 (vgl. NJW 2004, S. 2919 f.) auch hätte verneint werden können. Stellt sich die strafrechtliche Würdigung eines Sachverhalts durch ein Gericht nicht selbst als sachfremd dar, kann allein der Umstand, dass von anderer Seite die Straflosigkeit des zu prüfenden Verhaltens geltend gemacht wird, nicht zu einer Verletzung des Willkürverbots führen. Dies gilt hier umso mehr, als im Steuerstrafrecht der aus der Annahme einer vertretbaren Rechtsansicht resultierende Irrtum über das tatsächliche Bestehen eines Steueranspruchs als vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum gewertet wird (vgl. BGH, wistra 1989, S. 263, 264), weshalb ungerechtfertigte Verurteilungen nicht zu erwarten sind.
Die Entscheidungen von Oberlandesgericht und Landgericht verletzen den Beschwerdeführer auch nicht in seinem Grundrecht auf freie Berufsausübung aus Art. 12 Abs. 1 GG. Dem Recht, seinen Beruf frei auszuüben, können die Strafgesetze Grenzen setzen (vgl. BVerfGE 30, 336 ≪350 f.≫; 47, 109 ≪116≫). Dies gilt auch für das Tätigkeitsfeld des Steuerberaters. Steuerliche Beratung, die sich, wie vorliegend, als Beihilfe zum – gesetzlich hinreichend bestimmten (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Juni 1994 – 2 BvR 1084/94 –, NJW 1995, S. 1883 f.; zu § 392 AO a.F. BVerfGE 37, 201 ≪206 ff.≫) – Straftatbestand der Steuerhinterziehung darstellt, ist unzulässig. Dies hat der Steuerberater bei der Ausübung seiner Tätigkeit zu berücksichtigen. Dabei ist von ihm auch in Ansehung seines Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG zu fordern, dass er in nicht eindeutig geklärten Rechtslagen eine nicht fern liegende Möglichkeit einer Strafbarkeit nach § 370 AO mit ins Kalkül zieht. An der Annahme von Rechtsansichten, die von der Auffassung der Finanzbehörden abweichen, ist ein Steuerberater dadurch nicht gehindert. Nur hat er bei Abfassung der Steuererklärung darauf hinzuwirken, dass vollständig der Sachverhalt vorgetragen wird, der aus Sicht der Finanzbehörden einen Steueranspruch des Staates auslösen könnte (vgl. BGHSt 37, 266 ≪284 f.≫; BGH, wistra 2000, S. 137 ≪140≫).
Die Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Landgericht verstößt auch nicht gegen das verfassungsrechtliche Gebot schuldangemessenen Strafens. Dieses aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip entspringende Gebot fordert für eine Bestrafung zum einen das Vorliegen von Schuld (vgl. BVerfGE 80, 244 ≪255≫) und zum anderen ein angemessenes Verhältnis zwischen Verschulden und Sanktion (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Januar 1994 – 2 BvR 1436/93 –, NJW 1994, S. 2219 m.w.N.). Die Nichteinhaltung dieser Prärogativen ist hier nicht ersichtlich. Ein Verschulden des Beschwerdeführers ist durch die Strafkammer festgestellt und im Urteil ausreichend erörtert. Auch ein Missverhältnis zwischen verhängter Strafe und festgestellter Tatschuld kann nicht vorliegen, da nach dem Stand des verfassungsgerichtlichen Verfahrens eine Sanktion noch nicht bindend ausgesprochen wurde. Die vom Beschwerdeführer betriebene Revision hat zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs des landgerichtlichen Urteils geführt.
Unbegründet ist auch das Vorbringen, das Oberlandesgericht habe im Revisionsverfahren durch Zurückweisung der Rüge, § 261 StPO sei verletzt, als unzulässig gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen. Der Strafsenat hat nämlich auch über die Begründetheit der Verfahrensrüge entschieden und damit dem Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliche Überprüfung seines Anfechtungsbegehrens vollumfänglich Rechnung getragen. Die Ausführungen des Oberlandesgerichts zum materiellen Gehalt der Rüge lassen Willkür nicht erkennen. Das Revisionsgericht hat den Inhalt der Notizzettel als unbedeutend für das Beweisergebnis angesehen, weil das Landgericht unter anderem aufgrund anderer der Täuschung der Finanzbehörden dienender Schriftstücke auf einen Tatvorsatz des Beschwerdeführers habe schließen dürfen. Diese Annahme eines fehlenden Beruhens des landgerichtlichen Urteils auf dem gerügten Rechtsfehler ist nicht von vornherein unvertretbar und sachfremd.
Der von der Verfassungsbeschwerde gerügte Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG liegt nicht vor. Auch wenn das Oberlandesgericht in der Frage der Zulässigkeit der Verfahrensrüge von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abgewichen seien sollte, bestand für den Strafsenat keine Pflicht zur Vorlage der Sache an den Bundesgerichtshof. Der Vorlage gemäß § 121 Abs. 2 GVG bedürfen nur entscheidungserhebliche Rechtsfragen (vgl. BGHSt 47, 32 ≪34≫). Eine solche war hier nicht gegeben. Die Frage, ob eine Verfahrensrüge unzulässig ist, entbehrt der Erheblichkeit jedenfalls dann, wenn die Rüge ungeachtet ihrer etwaigen Unzulässigkeit vom Revisionsgericht auch auf ihre Begründetheit hin überprüft wird.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Di Fabio, Landau
Fundstellen