Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlagepflicht an den Großen Senat wegen Divergenz. Auslegung von § 15 Abs. 2 UStG 1967
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Grundsatz des gesetzlichen Richters ist verletzt, wenn ein Senat eines obersten Bundesgerichts die vor einer Abweichung von einer Entscheidung eines anderen Senats oder des Großen Senats gesetzlich geforderte Vorlage an den Großen Senat dieses Gerichts willkürlich unterläßt; eine nur rechtsirrtümliche Unterlassung oder eine fehlerhafte Anwendung einfachen Rechts (hier: § 11 Abs. 3 FGO) allein begründet noch keinen Verfassungsverstoß.
2. Es kann nicht als verfassungswidrig angesehen werden, wenn der X. Senat des BFH eine Divergenz zum V. Senat verneint, weil er wegen des unterschiedlichen Sachverhalts – Vorsteuerabzug für Werbeartikel einer Bank einerseits und unentgeltliche Zuwendung bei Benutzung einer Schwimmhalle andererseits – eine andere Anwendung von § 15 Abs. 2 UStG für möglich hält; auch eine Lückenfüllung contra legem liegt nicht vor.
Normenkette
GG Art. 20 Abs. 3, Art. 101 Abs. 1 S. 2; FGO § 11 Abs. 3; UStG 1967 § 15 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
Gründe
Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist dann verletzt, wenn ein Senat eines obersten Bundesgerichts die vor einer Abweichung von einer Entscheidung eines anderen Senats oder des Großen Senats gesetzlich geforderte Vorlage an den Großen Senat dieses Gerichts willkürlich unterläßt (BVerfGE 31, 145 ≪172≫). Daß die rechtsirrtümliche Unterlassung einer Vorlage dafür nicht ausreicht, hat die Beschwerdeführerin nicht verkannt. Ein verfassungsgerichtliches Eingreifen gegenüber Entscheidungen der Fachgerichte – zu denen auch das Unterlassen einer Vorlage an den Großen Senat des Bundesfinanzhofs gehört – kommt nur in seltenen Ausnahmefällen, nicht aber schon bei jedem Fehler in der Rechtsanwendung in Betracht. Selbst eine fehlerhafte Anwendung einfachen Rechts, hier des § 11 Abs. 3 FGO, begründet noch keinen Verfassungsverstoß. Hinzukommen muß vielmehr, daß die fehlerhafte Rechtsanwendung unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluß aufdrängt, daß sie auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 70, 93 ≪97 m.w.N.).
Davon ist hier nicht auszugehen.
Der X. Senat des Bundesfinanzhofs hat sich in der angegriffenen Entscheidung mit der Rechtsprechung des V. Senats zu § 15 Abs. 2 UStG 1967 auseinandergesetzt und Zweifel geäußert, ob er dessen Ansicht folgen könne. Er ist dann aber zu dem Ergebnis gekommen, daß er die zwischen den Senaten wohl bestehende unterschiedliche Auffassung zur Frage der Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug nicht abschließend zu klären brauche, weil der zur Entscheidung anstehende Sachverhalt nicht identisch mit dem des „Schwimmhallenfalles” sei. Inwieweit es bei der Divergenzanrufung auf die Entscheidungserheblichkeit der Rechtsfrage ankommt (vgl. May, DRiZ 1983, S. 305 ≪309≫), kann dahinstehen; denn jedenfalls kann es nicht als verfassungswidrig angesehen werden, wenn der X. Senat wegen unterschiedlicher Sachverhalte eine unterschiedliche Entscheidung bei der Anwendung des § 15 Abs. 2 UStG für möglich gehalten und aus diesem Grund eine Divergenz seines Urteils zur Rechtsprechung des V. Senats verneint hat. Es ist auch nachvollziehbar, wenn der X. Senat des Bundesfinanzhofs den Zusammenhang zwischen der Leistung des Unternehmers in Form einer unentgeltlichen Zuwendung und den von ihm angestrebten Umsätzen bei der Benutzung einer Schwimmhalle anders als bei der Übergabe von Werbeartikeln an die Kunden einer Bank sieht.
Eine Lückenfüllung contra legen und damit ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip ist nicht erkennbar. Dagegen spricht schon, daß der Bundesminister der Finanzen zur Entstehungsgeschichte des § 15 Abs. 2 UStG vorgetragen hat, es sei bewußt eine Gesetzeslücke hingenommen worden, um die Regelung nicht zu schwierig zu gestalten.
Schließlich brauchte der Bundesfinanzhof von Verfassungs wegen bei seiner Entscheidung nicht darauf abzustellen, ob seine Auslegung mit § 15 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 UStG 1980 vereinbar sei.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen