Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendung kirchlicher Steuergesetze durch staatliche Behörden
Leitsatz (amtlich)
Staatliche Behörden dürfen kirchliche Steuergesetze, die einer landesgesetzlichen Grundlage entbehren, nicht anwenden.
Normenkette
GG Art. 2, 6, 140
Verfahrensgang
FG Bremen (Entscheidung vom 25.06.1958; Aktenzeichen II 13/58) |
Tenor
Das Urteil des Finanzgerichts Bremen verletzt das Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes und wird aufgehoben. Die Sache wird an das Finanzgericht Bremen zurückverwiesen.
Tatbestand
A.
I.
1. Im Land Bremen sind Rechtsgrundlagen für die Erhebung der evangelischen Kirchensteuer die (staatliche) Bremische Steuerordnung für die Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen vom 9. November 1922 (GBl S. 607) in der Fassung der Verordnung vom 3. März 1932 (GBl S. 51) – Kirchensteuerordnung – und das (kirchliche) Gesetz betr. Erhebung einer Kirchensteuer im Gebiet der Bremischen Evangelischen Kirche vom 2. März 1932 in der Fassung der Ergänzungsgesetze vom 26. Februar 1954 (ABl EKD S. 171), 4. März 1957 (a.a.O. S. 114) und 28. November 1958 (a.a.O. 1959 S. 35) – Kirchensteuergesetz –.
Die einschlägigen Vorschriften der Kirchensteuerordnung lauten:
§ 1
Religionsgesellschaften, die im Bremischen Staate die Rechte einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft im Sinne des Artikels 137 der Reichsverfassung haben, sind berechtigt, von ihren Angehörigen für die Zwecke der öffentlich-rechtlichen Körperschaft eine Steuer auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten in der Form von Zuschlägen zu der Einkommensteuer zu erheben. …
§ 2
Auf die Veranlagung und Erhebung der Steuer, sowie das Rechtsmittelverfahren sind nach näherer Anordnung des Reichsministers der Finanzen die für die Einkommensteuer jeweils geltenden Vorschriften sowie die Bestimmungen der Reichsabgabenordnung und die Verordnung zu deren Einführung entsprechend anzuwenden. …
§ 3
Steuerpflichtig ist jeder Angehörige der betreffenden Religionsgesellschaft, der im Bremischen Staate einen Wohnsitz oder seit länger als 6 Monaten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. …
§ 4
Wenn und soweit nach dem Einkommensteuergesetz Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden, wird, falls nur der eine Ehegatte der betreffenden Religionsgesellschaft angehört, der Zuschlag von der Hälfte der Einkommensteuer beider Ehegatten erhoben.
§ 3c des Kirchensteuergesetzes bestimmt in der Fassung der Kirchengesetze vom 4. März 1957 und vom 28. November 1958 die für alle noch nicht rechtskräftigen Veranlagungen. Vom Steuerjahr 1949 an gilt:
(1) Gehört nur ein Ehegatte der Bremischen Evangelischen Kirche an, so wird die Kirchensteuer von der Hälfte der Einkommensteuer (Lohnsteuer) bzw. Vermögensteuer beider Ehegatten erhoben. Dieses gilt auch, wenn Einkünfte eines der Ehegatten gemäß § 26c) oder d) des Einkommensteuergesetzes 1957 vom 13.11.1957 (BGBl 1957 I S. 1793) bei der Zusammenveranlagung ausscheiden oder wenn Ehegatten gemäß § 26a) des Einkommensteuergesetzes 1957 vom 13.11.1957 und des § 26a) des Einkommensteuergesetzes 1958 in der Fassung vom 23.9.1958 (BGBl 1958 I S. 672) getrennt veranlagt werden.
(2) Wenn die Ehegatten dauernd getrennt leben und, deswegen getrennt zur Einkommensteuer veranlagt werden, wird von jedem kirchensteuerpflichtigen Ehegatten unter Zugrundelegung seiner Einkommensteuer (Lohnsteuer) die volle Kirchensteuer erhoben.
2. Die in Bremen wohnhafte Beschwerdeführerin wendet sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen ihre Heranziehung zur Entrichtung von Kirchensteuer für die Jahre 1954 und 1955. Sie war damals Mitglied der evangelischen Kirche; ihr Ehemann gehörte keiner Religionsgesellschaft an. Er war als Arbeitnehmer lohnsteuerpflichtig; sie hatte kein eigenes Einkommen. Das Finanzamt zog durch Kirchensteuerbescheide die Beschwerdeführerin zur Kirchensteuer heran und setzte die von ihr zu entrichtende Steuer nach der Hälfte der Lohnsteuer ihres Ehemannes fest. Gegen die Kirchensteuerbescheide legte die Beschwerdeführerin mit Einwilligung des Vorstehers des Finanzamts Sprungberufung ein. Sie machte geltend: § 4 der Kirchensteuerordnung setze die Zusammenveranlagung von Ehegatten zur Einkommensteuer voraus und sei deshalb auf ihren Fall nicht anwendbar. Ihr Ehemann sei nur lohnsteuerpflichtig; im Lohnsteuerverfahren finde eine Zusammenveranlagung von Ehegatten nicht statt. § 3c des Kirchensteuergesetzes sei rechtsunwirksam, weil er über die der Kirche in der Kirchensteuerordnung eingeräumte Befugnis zur Steuererhebung hinausgehe. Das Finanzgericht Bremen wies die Berufung der Beschwerdeführerin mit der Begründung zurück, § 4 der Kirchensteuerordnung gelte nicht nur für die Fälle der Zusammenveranlagung von Ehegatten, sondern auch bei Erhebung der Einkommensteuer durch Abzug vom Arbeitslohn (Lohnsteuer).
II.
1. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin, das Urteil des Finanzgerichts verletze ihr Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG. Als Ledige hätte sie ohne Einkommen keine Kirchensteuer zu entrichten; als Verheiratete müsse sie trotz ihrer Einkommenslosigkeit Kirchensteuer zahlen. Sie sei deshalb infolge ihrer Heirat schlechter gestellt. Ein einen Steuerbescheid ohne Rechtsgrundlage bestätigendes Urteil sei rechtsstaatswidrig.
2. Die Verfassungsbeschwerde ist dem Bundesminister der Finanzen, dem Senat der Freien Hansestadt Bremen, dem Kirchenausschuß der Bremischen Evangelischen Kirche und der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland zugestellt worden.
Der Kirchenausschuß der Bremischen Evangelischen Kirche und die Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland halten die Verfassungsbeschwerde für unbegründet, da die Anwendung des Halbteilungsgrundsatzes, wie sie in § 4 der Kirchensteuerordnung und § 3c des Kirchensteuergesetzes angeordnet sei, keinen Verstoß gegen das geltende Verfassungsrecht darstelle.
Entscheidungsgründe
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
Der Rechtsweg ist erschöpft. Gegen das angefochtene Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben (§ 2 Kirchensteuerordnung in Verbindung mit dem Erlaß des Reichsministers der Finanzen vom 13. Februar 1923 – III B 60 –).
C.
Das angefochtene Urteil des Finanzgerichts Bremen verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG. Die Regelung, daß bei glaubensverschiedenen Ehen die Kirchensteuer des einer steuerberechtigten Kirche oder Religionsgesellschaft angehörenden Ehegatten von der Hälfte der Lohnsteuer auch des der besteuernden Kirche oder Religionsgesellschaft nicht angehörenden Ehegatten erhoben wird, findet keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage in der staatlichen Kirchensteuerordnung.
§ 3c Abs. 1 des Kirchensteuergesetzes, auf Grund dessen die Beschwerdeführerin zur Kirchensteuer herangezogen wird, kann als Kirchengesetz eine gültige Rechtsgrundlage für die Besteuerung nur bieten, wenn er auf einer ausreichenden landesrechtlichen Ermächtigung beruht, denn die Befugnis zur Erhebung von Kirchensteuern ist ein den Kirchen vom Staat gemäß Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 6 WRV verliehenes Hoheitsrecht und in ihrem Inhalt und Umfang durch die landesrechtlichen Bestimmungen begrenzt. § 4 der bremischen Kirchensteuerordnung bestimmt, daß in glaubensverschiedenen Ehen der Zuschlag von der Hälfte der Einkommensteuer beider Ehegatten erhoben wird, „wenn und soweit nach dem Einkommensteuergesetz Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden”. Im übrigen wird gemäß §§ 1, 3 der Kirchensteuerordnung die Kirchensteuer nur in der Form von Zuschlägen zu der von dem Steuerpflichtigen selbst zu entrichtenden Einkommen- und Vermögensteuer erhoben. Wenn der nicht kirchensteuerpflichtige Ehegatte lediglich lohnsteuerpflichtig ist und der kirchensteuerpflichtige Ehegatte kein eigenes steuerpflichtiges Einkommen hat, findet § 4 der Kirchensteuerordnung schon seinem Wortlaut nach keine Anwendung, weil die Ehegatten zur Einkommensteuer nicht zusammen veranlagt werden. Diese Auslegung wird durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift bestätigt. In der in dem angefochtenen Urteil des Finanzgerichts wiedergegebenen Begründung der Kirchensteuerordnung (Acta der Senatsregistratur K.I.a. Nr. 144) heißt es zu § 4: „Der § 4 regelt die Fälle, in denen beide Ehegatten verschiedenen Religionsgesellschaften angehören oder der eine Ehegatte einer Religionsgesellschaft, der andere Ehegatte keiner Religionsgesellschaft angehört. Die Bestimmung bezieht sich aber nicht auf Arbeitseinkommen, da dafür nach dem Reichseinkommensteuergesetz jeder Ehegatte für sich veranlagt wird. Nur wenn und insoweit beide Ehegatten zusammen zur Reichseinkommensteuer veranlagt werden, steuertechnisch also eine Trennung des Einkommens der Ehegatten für die Steuer der Religionsgesellschaft nicht möglich ist, gilt die Sonderbestimmung des § 4.” Danach sollte § 4 der Kirchensteuerordnung eine Bemessung der Kirchensteuer lediglich für die Fälle ermöglichen, in denen eine getrennte Feststellung des Einkommens jedes Ehegatten wegen der gemeinsamen Veranlagung zur Einkommensteuer nicht erfolgt. Für eine Zusammenveranlagung ist jedoch kein Raum, wenn der allein verdienende Ehegatte nur lohnsteuerpflichtiges Einkommen hat. Für diesen Fall erlaubt § 4 der Kirchensteuerordnung keinen Rückgriff auf das Einkommen des nicht kirchensteuerpflichtigen Ehegatten. Eine verfassungskonforme Auslegung, wie sie das Finanzgericht vornimmt, um die Gleichmäßigkeit der Besteuerung herzustellen, ist unzulässig, da sie entgegen dem klaren Wortlaut und des aus der Entstehungsgeschichte zu erschließenden Willens des Gesetzgebers zu einer Ausdehnung der Steuerpflicht der Beschwerdeführerin führen würde.
Soweit § 3c Abs. 1 des Kirchensteuergesetzes die Erhebung der Kirchensteuer von der Einkommen- und Vermögensteuer beider Ehegatten für alle glaubensverschiedenen Ehen und sogar dann vorsieht, wenn die Ehegatten gemäß § 26a EStG nF getrennt veranlagt werden, überschreitet er die in der Kirchensteuerordnung als dem ermächtigenden Landesgesetz für die Bemessung der Kirchensteuer gezogenen Grenzen und darf im staatlichen Bereich nicht angewandt werden. Deshalb ist das angefochtene Urteil aufzuheben und an das Finanzgericht Bremen zur anderweiten Entscheidung zurückzuverweisen.
Fundstellen
BStBl I 1966, 200 |
BVerfGE, 248 |
NJW 1966, 149 |