Entscheidungsstichwort (Thema)
Anlassbeurteilung, Beurteilung, Beurteilungsgespräch, Beurteilungsrichtlinien, Beurteilungszeitraum, Gleichbehandlungsgebot, Regelbeurteilung
Leitsatz (amtlich)
Die Regelbeurteilung des Beamten erstreckt sich grundsätzlich auch dann auf den vollen Beurteilungszeitraum, wenn der Beamte innerhalb dieses Zeitraums bereits aus besonderem Anlass dienstlich beurteilt worden ist.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 33 Abs. 2, 4
Verfahrensgang
OVG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 18.02.2000; Aktenzeichen 10 A 11245/99) |
VG Neustadt a.d. Weinstraße (Entscheidung vom 31.08.1998; Aktenzeichen 9 K 3549/97) |
Tenor
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 18. Februar 2000 wird insoweit aufgehoben, als es der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 31. August 1998 stattgegeben hat. Die Berufung der Beklagten wird in vollem Umfang zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens und des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Der Kläger ist Regierungsoberinspektor im Dienst der Beklagten. Er wendet sich gegen eine Regelbeurteilung, die den Zeitraum April 1996 bis März 1997 umfasst und mit dem Gesamturteil „Übertrifft die Anforderungen” schließt. Zuvor war der Kläger im April 1996 im Rahmen einer Anlassbeurteilung mit dem Gesamturteil „Sehr gut” beurteilt worden. Diese Beurteilung schloss an eine Regelbeurteilung aus dem Jahre 1992 an, die auf das Gesamturteil „Gut” lautete.
Nach erfolglosem Widerspruch hat der Kläger Klage mit dem Antrag erhoben, den Widerspruchsbescheid aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn zum Stichtag 1. Februar 1997 für die zurückliegenden drei Jahre neu zu beurteilen. Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat nur den Widerspruchsbescheid aufgehoben, die Klage aber im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Die Klage sei zulässig, obwohl der Kläger vor Erhebung des Widerspruchs und der Klage keinen Antrag bei der Ausgangsbehörde gestellt habe, die dienstliche Beurteilung abzuändern. Die Klage sei begründet, soweit der Widerspruchsbescheid angegriffen werde; dieser verkenne die der Widerspruchsbehörde zustehenden Grenzen der Ermächtigung.
Im Übrigen sei die Klage unbegründet. Insbesondere sei nicht zu beanstanden, dass die angegriffene Regelbeurteilung nicht den gesamten Drei-Jahreszeitraum berücksichtige, der ihr normalerweise zu Grunde zu legen sei, sondern an die letzte Anlassbeurteilung anknüpfe. Der in den Richtlinien festgelegte Turnus von drei Jahren stelle nur einen Mindeststandard dar, sei aber nicht als Prinzip zu verstehen, dass nur die Regelbeurteilung die maßgebliche Beurteilung zu sein habe und allen Beurteilungen außerhalb der Regelbeurteilung letztlich nur die Funktion eines Beurteilungsbeitrages zukomme. Vielmehr stelle auch die Anlassbeurteilung eine vollwertige Beurteilung dar, was sich auch aus den Richtlinien ergebe; danach sei eine Regelbeurteilung nicht erforderlich, wenn die letzte Anlassbeurteilung nicht mehr als sechs Monate zurückliege. Ferner sei nicht zu beanstanden, dass mit dem Erstbeurteiler kein Gespräch stattgefunden habe. Dieser Umstand könne weder eine Regelbeurteilung verhindern noch zu einer besseren Leistungsbewertung führen; hiervon abgesehen sei ein derartiges Gespräch über den Aufgabenbereich und die an den Kläger gestellten Erwartungen hier schon deswegen entbehrlich gewesen, weil der Kläger sich in einem mehrmonatigen Fortbildungsprogramm für Fachkräfte des Berufsförderungsdienstes befunden habe, in dem ihm die Antworten gerade auf diese Fragen verdeutlicht worden seien.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision macht der Kläger die Verletzung materiellen Rechts geltend.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 18. Februar 2000 insoweit aufzuheben, als der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 31. August 1998 stattgegeben worden ist, und die Berufung der Beklagten auch insoweit zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Oberbundesanwalt hält Anlassbeurteilung und Regelbeurteilung für gleichwertig. Dies schließe es aus, Zeiträume, die bereits von einer Anlassbeurteilung erfasst seien, nochmals in eine Regelbeurteilung einzubeziehen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
Die Klage ist zulässig. Dienstliche Beurteilungen kann der Beamte ohne vorherigen Antrag auf deren Änderung oder Beseitigung mit diesem Ziel unmittelbar mit dem Widerspruch anfechten, um dem Erfordernis des zwingend vorgeschriebenen Vorverfahrens (§ 126 Abs. 3 BRRG) zu genügen (vgl. u.a. Urteile vom 26. Juni 1970 – BVerwG 2 C 8.78 – BVerwGE 60, 245 ≪251≫ und vom 28. Juni 2001 – BVerwG 2 C 48.00 – zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung bestimmt).
Die Klage ist begründet. Die angefochtene Regelbeurteilung ist unter Verletzung von Verfahrensvorschriften zu Stande gekommen, die die Beklagte zur Wahrung des Gleichheitssatzes einzuhalten hatte. Die Beurteilung verletzt den Kläger daher in seinem Anspruch auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG).
Die dienstliche Beurteilung dient der Verwirklichung des mit Verfassungsrang ausgestatteten Grundsatzes, Beamte nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung einzustellen, einzusetzen und zu befördern (Art. 33 Abs. 2 GG). Ihr Ziel ist es, die den Umständen nach optimale Verwendung des Beamten zu gewährleisten und so die im öffentlichen Interesse liegende Erfüllung hoheitlicher Aufgaben (Art. 33 Abs. 4 GG) durch Beamte bestmöglich zu sichern. Zugleich dient die dienstliche Beurteilung auch dem berechtigten Anliegen des Beamten, in seiner Laufbahn entsprechend seiner Eignung, Befähigung und Leistung voranzukommen. Ihr kommt die entscheidende Bedeutung bei der Auswahlentscheidung des Dienstherrn und der dabei erforderlichen „Klärung einer Wettbewerbssituation” zu. Dies verlangt größtmögliche Vergleichbarkeit der erhobenen Daten (Urteil vom 26. August 1993 – BVerwG 2 C 37.91 – Buchholz 232.1 § 40 BLV Nr. 15, S. 15; Beschluss vom 31. Januar 1994 – BVerwG 2 B 5.94 – Buchholz 232.1 § 40 BLV Nr. 16, S. 1). Die dienstliche Beurteilung soll den Vergleich mehrerer Beamter miteinander ermöglichen und zu einer objektiven und gerechten Bewertung des einzelnen Beamten führen (Beschluss vom 3. Oktober 1979 – BVerwG 2 B 24.78 – Buchholz 237.1 Art. 12 BayBG Nr. 2). Daraus folgt, dass die Beurteilungsmaßstäbe gleich sein und gleich angewendet werden müssen. Die Einheitlichkeit des Beurteilungsmaßstabes ist unabdingbare Voraussetzung dafür, dass die Beurteilung ihren Zweck erfüllt, einen Vergleich der Beamten untereinander anhand vorgegebener Sach- und Differenzierungsmerkmale zu ermöglichen. Ihre wesentliche Aussagekraft erhält eine dienstliche Beurteilung erst aufgrund ihrer Relation zu den Bewertungen in anderen dienstlichen Beurteilungen.
Eine Regelbeurteilung hat sich grundsätzlich zu Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung des Beurteilten während des gesamten Beurteilungszeitraums umfassend zu äußern und mit einem Gesamturteil abzuschließen. Um das in der Regelbeurteilung zu zeichnende Bild hinsichtlich der Vergleichbarkeit der zum gleichen Zeitpunkt beurteilten Beamten zu gewährleisten, muss soweit wie möglich gleichmäßig verfahren werden.
Bei der Festlegung, welchen Zeitraum die Regelbeurteilung erfasst, ist vorrangig zu berücksichtigen, dass die Regelbeurteilung ihr Ziel nur dann optimal erreichen kann, wenn die für die Vergleichbarkeit maßgeblichen äußeren Kriterien so weit wie irgend möglich eingehalten werden. Höchstmögliche Vergleichbarkeit wird grundsätzlich durch den gemeinsamen Stichtag und den gleichen Beurteilungszeitraum erreicht (vgl. Urteile vom 7. Juni 1984 – BVerwG 2 C 54.82 – Buchholz 238.5 § 26 DRiG Nr. 2, S. 9 ≪11 ff.≫ und vom 26. August 1993 – BVerwG 2 C 37.91 – Buchholz 232.1 § 40 BLV Nr. 15, S. 12 ≪14 f.≫ jeweils m.w.N.; stRspr). Der gemeinsame Stichtag dient vorrangig dazu, durch Fixierung auf einen bestimmten Zeitpunkt Einheitlichkeit und Vergleichbarkeit herzustellen. Die Einheitlichkeit des Beurteilungszeitraums soll gewährleisten, dass die Beurteilung für alle Beamten gleichmäßig die zu beurteilenden Merkmale nicht nur punktuell, sondern in ihrer zeitlichen Entwicklung unabhängig von einer konkreten Verwendungsentscheidung erfasst (vgl. Urteil vom 7. Juni 1984, a.a.O., S. 13).
Einschränkungen dieses Grundsatzes, die sich hinsichtlich des Stichtages beispielsweise aus der großen Zahl der zu beurteilenden Beamten und hinsichtlich des Beurteilungszeitraums aus besonderen äußeren Umständen ergeben können, sind nur hinzunehmen, soweit sie auf zwingenden Gründen beruhen. Einen solchen zwingenden Grund stellt es nicht dar, wenn der Beamte innerhalb des Beurteilungszeitraums bereits aus besonderem Anlass beurteilt worden ist. Die vorangehende Anlassbeurteilung hindert den Dienstherrn weder rechtlich noch tatsächlich, bei der nachfolgenden Regelbeurteilung auch den Zeitraum einzubeziehen, der bereits von der Anlassbeurteilung erfasst ist. Dies ergibt sich schon daraus, dass eine während des Regelbeurteilungszeitraums abgegebene Anlassbeurteilung gegenüber der späteren Regelbeurteilung nur eine eingeschränkte Aussage trifft. Ihr ist nicht zu entnehmen, ob und inwieweit die während des Anlassbeurteilungszeitraums zutage getretene Eignung, Befähigung und fachliche Leistung des Beamten für dessen Vergleichbarkeit mit anderen im Regelbewertungszeitpunkt von Bedeutung ist. Wird eine mehr als unerhebliche Änderung des Leistungsbildes sichtbar, so kann der für die Regelbeurteilung zuständige Vorgesetzte sich damit auseinandersetzen und den Leistungsstand des Beamten so charakterisieren, dass er auch unter Berücksichtigung der von der Anlassbeurteilung erfassten Zeitspanne mit den anderen zur Regelbeurteilung anstehenden Beamten verglichen werden kann. Bei der gebotenen Geamtbetrachtung sind die alte und neue Beurteilung zueinander in Beziehung zu setzen. Hierauf beschränkt sich freilich die Ermächtigung des Beurteilenden; er ist nicht befugt, die in der vorangehenden Anlassbeurteilung erfassten Eignungs- und Leistungsmerkmale abzuändern und damit die Anlassbeurteilung zu ersetzen.
Deshalb bedeutet die volle Ausschöpfung des für die Regelbeurteilung zu Grunde zu legenden Beurteilungszeitraums nicht, dass die vorangehende Anlassbeurteilung ihren Wert als eigenständige Beurteilung verliert und der Sache nach nur noch als Beurteilungsbeitrag weiter besteht. Sie behält vielmehr für den von ihr erfassten Zeitraum ihre Bedeutung; diese wird allerdings dadurch gemindert, dass die nachfolgende Regelbeurteilung den zeitlichen Rahmen erweitert und damit die unmittelbare Vergleichbarkeit aller zum Stichtag beurteilten Beamten herstellt. Ohnehin verliert eine dienstliche Beurteilung durch jede nachfolgende an Bedeutung, denn für eine konkrete Verwendungsentscheidung ist auf den aktuellen Stand der Beurteilung abzustellen, weshalb der letzten dienstlichen Beurteilung gewöhnlich ausschlaggebende Bedeutung zukommt (Schnellenbach, Die dienstliche Beurteilung der Beamten und/oder Richter, 3. Aufl., Rn. 88, Fn. 42; VGH Mannheim ESVGH 41, 292; OVG Münster NWVBl 1994, 176; OVG Schleswig SchlHA 1994, 238).
Anlass- und Regelbeurteilung des Klägers sind überdies aufgrund unterschiedlicher Beurteilungsbestimmungen erstellt worden. Die Anlassbeurteilung ist noch auf der Grundlage der Beurteilungsrichtlinien vom 21. August 1991 (VMBl S. 426) erfolgt. Diese Richtlinien unterscheiden sich von den 1996 erlassenen in der Bewertungsskala für die Bewertung der Einzelmerkmale der Leistungsbeurteilung und der Befähigungsbeurteilung. Schon hieraus ergibt sich, dass die Leistung und Befähigung des Klägers für die in der Anlassbeurteilung erfasste Zeit anders bewertet worden sind als die Leistungen und Befähigungen der Beamten, bei denen der volle dreijährige Beurteilungszeitraum zu Grunde gelegt worden ist. Dies erschwert die Vergleichbarkeit der Regelbeurteilungen, ohne dass hierfür ein zwingender Grund gegeben wäre. Das Verwaltungsgericht hat hierin zu Recht einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG gesehen.
Es kann offen bleiben, ob auch der vom Kläger geltend gemachte weitere Verfahrensverstoß zur Aufhebung der Beurteilung führen muss. Nach Nr. 3 der Beurteilungsrichtlinien hat der Erstbeurteiler mit dem ihm unterstellten Beamten zu Beginn der Zusammenarbeit ein Gespräch über seinen Aufgabenbereich und die an ihn gestellten Erwartungen zu führen. In der Mitte des Beurteilungszeitraums ist ein weiteres Gespräch zu führen, das insbesondere das über den Beamten gewonnene Leistungs- und Befähigungsbild zum Gegenstand haben soll. Zumindest das zweite Gespräch hat nicht stattgefunden. Ob darin nach der insoweit maßgebenden tatsächlichen Handhabung der Beurteilungsrichtlinien mit Blick auf den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ein zur Rechtswidrigkeit der Beurteilung führender Mangel liegt, kann im Revisionsverfahren mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht abschließend beurteilt werden. Bei der erneuten Regelbeurteilung wird die Beklagte dem Fehlen eines etwa erforderlichen Beurteilungsgesprächs Rechnung tragen müssen, wenn es sich auf den Leistungsstand des Klägers ausgewirkt haben kann.
Die weiteren Rügen des Klägers gegen die Beurteilung greifen nicht durch. Die Beurteilung durfte Aufgaben erfassen, für deren ordnungsgemäße Erfüllung eine Einführung bzw. Fortbildung erforderlich war. Die dienstliche Beurteilung muss den im Beurteilungszeitraum tatsächlich vorhandenen Leistungsstand des Beamten bewerten (Urteile vom 17. April 1986 – BVerwG 2 C 28.83 – Buchholz 232.1 § 40 BLV Nr. 8, S. 15 – und vom 13. November 1997 – BVerwG 2 A 1.97 – Buchholz 232.1 § 40 BLV Nr. 17, S. 4.); sie darf einen bestimmten Tätigkeitsbereich nicht deshalb ausklammern, weil der Beamte die damit verbundenen Aufgaben erst seit kurzer Zeit wahrnimmt und bisher nur geringe Erfahrung sammeln konnte oder für ihre ordnungsgemäße Erfüllung einer bestimmten Vorbereitung bedarf. Erforderlich ist allerdings, dass in der dienstlichen Beurteilung ggf. zugleich mitgeteilt wird, warum der Beamte diese besonderen Kenntnisse nicht oder nur in geringerem Umfang besitzt. Ergibt sich aus der Beurteilung, dass der Beamte die erforderlichen Kenntnisse noch nicht besitzen kann, weil er sich zunächst fortbilden muss, so ist die Mitteilung dieses Umstandes geeignet, etwa vorhandene Leistungsmängel zutreffend zu gewichten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Silberkuhl, Dawin, Dr. Kugele, Groepper, Dr. Bayer
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 18.07.2001 durch Schütz Justizsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
DRiZ 2003, 49 |
ZBR 2002, 211 |
ZTR 2002, 199 |
DÖD 2002, 99 |
ZfPR 2002, 241 |
BayVBl. 2002, 373 |
DVBl. 2002, 139 |
IÖD 2002, 74 |
NPA 2002, 0 |
FSt 2002, 894 |