Entscheidungsstichwort (Thema)
Kirchensteuer, Steuerprogression, Billigkeitserlass, Kappung
Leitsatz (amtlich)
- Die Auffassung, dass eine der Einkommensteuerprogression unterliegende Kirchensteuer regelmäßig nicht unbillig im Sinne des – hier als Landesrecht anzuwendenden – § 227 AO ist, verstößt nicht gegen Bundesrecht.
- Der Grundsatz der Gesetz- und Tatbestandsmäßigkeit des Steuerrechts verlangt auch für den Erlass der Kirchensteuer aus kirchenspezifischen Gründen eine ausreichende normative Grundlage zumindest auf kirchenrechtlicher Ebene.
- Es ist grundsätzlich mit Art. 3 Abs. 1 und 3 sowie Art. 4 Abs. 1 GG vereinbar, wenn eine Kirche den (Teil-)Erlass der Kirchensteuer auf in der Kirche verbliebene Mitglieder beschränkt, weil sie deren Bindung an die Kirche stärken will.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, 3, Art. 4 Abs. 1-2, Art. 20 Abs. 3, Art. 140; WRV Art. 137 Abs. 3; VwGO § 137 Abs. 1; AO § 227; KiStG Rheinland-Pfalz § 11 Abs. 2 S. 1, § 14 Abs. 4 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Die Klägerin begehrt einen Teilerlass ihrer Kirchensteuer für das Jahr 1998.
Die Klägerin war Mitglied der beklagten Kirche und ist am 22. September 1999 aus der Kirche ausgetreten. Mit Bescheid des Finanzamts Neustadt vom 15. August 2000 wurde die Klägerin zu Einkommensteuer und Kirchensteuer für das Jahr 1998 veranlagt. Bei einem zu versteuernden Einkommen von über 33 Mio. DM, wovon rund 30 Mio. DM auf Gewinne aus der Veräußerung eines Unternehmens entfielen, wurde die Einkommensteuer auf 13 836 136 DM festgesetzt. Hiervon ausgehend wurde die Kirchensteuer mit 9 % dieses Betrages ermittelt und auf 1 245 252,24 DM festgesetzt.
Mit Schreiben vom 28. August 2000 beantragte die Klägerin bei der Beklagten, die auf Veräußerungsgewinne entfallende Kirchensteuer auf 50 % zu ermäßigen. Mit einem weiteren Schreiben vom 22. November 2000 beantragte sie ergänzend, die auf die laufenden Einkünfte entfallende Kirchensteuer auf 4 % des zu versteuernden Einkommens zu kappen. Beide Anträge lehnte die Beklagte ab, weil die Klägerin zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr Mitglied der Kirche gewesen sei. Zwar halte die Landeskirche es für geboten, die Kirchensteuerbelastung nicht durchgehend am staatlichen Steuertarif auszurichten, sondern auf 4 % des zu versteuernden Einkommens zu begrenzen und außerdem die Kirchensteuer, die auf einen Veräußerungsgewinn entfalle, bis zu 50 % zu ermäßigen. Die kirchenspezifische Begründung für diese Begrenzung sei jedoch darin zu sehen, dass durch den Erlass die Beziehungen zwischen dem Kirchenmitglied einerseits und seiner Kirchengemeinde und Landeskirche andererseits gefestigt werden sollten. Dies geschehe nur auf Antrag, auf den im Übrigen nicht wenige Kirchenmitglieder bewusst verzichteten. Das kirchenspezifische Erlassziel könne gegenüber einem ausgetretenen Kirchenmitglied nicht mehr erreicht werden. Die durch die Klägerin hiergegen eingelegte Beschwerde wurde von der Kirchenregierung der Beklagten zurückgewiesen.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 27. August 2001 die ablehnenden Bescheide der Beklagten aufgehoben und sie verpflichtet, der Klägerin für das Jahr 1998 die Kirchensteuer in Höhe von 568 527 DM zu erlassen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Kappung der Kirchensteuer und deren Ermäßigung bei Veräußerungsgewinnen sei eine Billigkeitsmaßnahme im Sinne des § 227 AO. Das ihr bei diesem Erlasstatbestand zustehende Ermessen habe die Beklagte durch ihre Erlasspraxis gebunden. Danach müsse der Klägerin der beantragte Teilerlass ihrer Kirchensteuer für das Jahr 1998 gewährt werden. Auf ihren zwischenzeitlichen Kirchenaustritt dürfe sich die Beklagte nicht berufen, weil sie dadurch unter Verstoß gegen Art. 3 GG die Klägerin gegenüber nicht ausgetretenen Kirchenmitgliedern benachteilige. Die sachliche Unbilligkeit der überproportionalen Kirchensteuerbelastung infolge ihrer Anknüpfung an die Einkommensteuerprogression gelte für alle betroffenen Kirchenmitglieder gleichermaßen, unabhängig davon, ob sie nach Ablauf des Steuerjahres aus der Kirche ausgetreten seien.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht durch Urteil vom 12. Juni 2002 das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es könne letztlich offen bleiben, ob § 227 AO durch die allgemeine Verweisung in § 11 Abs. 2 Satz 1 KiStG Rheinland-Pfalz im Kirchensteuerrecht Anwendung finde. Selbst wenn dies der Fall wäre, könne die Klägerin ihren Erlassanspruch hierauf nicht stützen, denn die Einziehung der ihr gegenüber für das Jahr 1998 festgesetzten Kirchensteuer sei nicht unbillig im Sinne dieser Bestimmung. Auch die Beklagte selbst sehe in dem progressiven Anstieg der Kirchensteuer bei hohem Einkommen und Veräußerungsgewinnen keine sachliche Unbilligkeit. Den begehrten Steuererlass könne die Klägerin auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung im Hinblick auf die Erlasspraxis der Beklagten beanspruchen. Da sie bereits vor Stellung ihres Erlassantrags aus der Kirche ausgetreten sei, erfülle sie nicht die Voraussetzungen für einen Teilerlass der Kirchensteuern, die nach den von der Beklagten mitgeteilten Grundsätzen die bestehende Kirchenmitgliedschaft verlangten. Es sei auch nichts dafür erkennbar, dass die Beklagte eine von diesen Grundsätzen abweichende Erlasspraxis entwickelt und auch ausgetretenen Kirchenmitgliedern die Kirchensteuer zum Teil erlassen hätte. Im Übrigen erscheine es unbedenklich, jenseits des § 227 AO Kirchensteuerermäßigungen aus kirchenspezifischen Erwägungen zu gewähren und sie von ihrer Eignung abhängig zu machen, die Bindung des Steuerpflichtigen an die Kirche zu festigen.
Mit der vom Bundesverwaltungsgericht zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend, das Urteil des Berufungsgerichts verstoße gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG, weil es sich bei der Prüfung des § 227 AO unzulässigerweise über die Ermessensbefugnis der Beklagten hinwegsetze und an deren Stelle eine eigene Ermessensentscheidung treffe. Für eine eigenständige Erlassbefugnis aus kirchenpolitischen Gründen existiere keine Ermächtigungsgrundlage. Der Gesetzesvorrang gelte auch hier. Richtigerweise komme ein Erlass nur nach § 227 AO in Betracht. Die Versagung des Erlasses gegenüber solchen Steuerpflichtigen, die zuvor aus der Kirche ausgetreten seien, verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 GG, da sie zur Vermeidung wirtschaftlicher Nachteile gezwungen würden, ihre Kirchenzugehörigkeit zumindest vorübergehend aufrecht zu erhalten, obwohl sie sich innerlich bereits von der Kirche getrennt hätten.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. Juni 2002 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 27. August 2001 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie macht sich im Wesentlichen die Erwägungen des Berufungsgerichts zu Eigen und verweist nochmals darauf, dass ihre Erlasspraxis aus kirchenspezifischen Gründen erfolge und nicht auf der Annahme einer Unbilligkeit im Sinne des § 227 AO beruhe.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg.
Im Ergebnis ohne Verstoß gegen Bundesrecht hat das Berufungsgericht den von der Klägerin begehrten Teilerlass ihrer Kirchensteuerschuld abgelehnt. Revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden ist dabei die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die in Abhängigkeit von der Einkommensteuer festgesetzte Kirchensteuer der Klägerin nicht allein wegen ihrer aus der Einkommensteuerprogression folgenden Höhe sachlich unbillig im Sinne des § 227 AO ist (1). Auch auf einen kirchenspezifischen Erlasstatbestand kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen. Soweit das Berufungsgericht hierbei die Anforderungen des Gesetzmäßigkeitsprinzips an einen solchen Erlass verkennt, beruht das Urteil nicht darauf (2). Zudem durfte die Beklagte die begehrte Kirchensteuerermäßigung auch deshalb versagen, weil die Klägerin zwischenzeitlich aus der Kirche ausgetreten war (3).
1. Das Berufungsgericht hat letztlich offen gelassen, ob der Billigkeitserlass nach § 227 AO auf die Erhebung der Kirchensteuer in Rheinland-Pfalz überhaupt Anwendung findet, da auch eine – wie im Fall der Klägerin – sehr hohe Kirchensteuer allein wegen ihrer aus der Anknüpfung an die Einkommensteuerprogression folgenden Höhe nicht, wie die Vorschrift es voraussetzt, “nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre”. Mit dieser Auffassung verstößt das Berufungsgericht nicht gegen Bundesrecht.
In Rheinland-Pfalz sind die evangelischen Landeskirchen berechtigt, die Kirchensteuern nach Maßgabe des Landesgesetzes über die Steuern der Kirchen, Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsgesellschaften – KiStG – (vom 24. Februar 1971 – GVBl 1971 S. 59 – mit späteren Änderungen) zu erheben. Ein Billigkeitserlass nach § 227 AO kann nach Auffassung des Berufungsgerichts, wenn überhaupt, nur aufgrund der allgemeinen Verweisung in § 11 Abs. 2 Satz 1 KiStG erfolgen, wonach auf das Besteuerungsverfahren die Abgabenordnung in der für die bundesrechtlich geregelten Steuern jeweils geltenden Fassung Anwendung findet, oder als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens, der zu einer analogen Heranziehung der Bestimmung auf die Kirchensteuer führt. In beiden Fällen hat das Berufungsgericht § 227 AO, auch in seiner letztlich nur hypothetischen Auslegung, als Landesrecht zur Anwendung gebracht (stRspr des BVerwG zur Verweisung von Landes- auf Bundesrecht und zur Revisibilität allgemeiner Rechtsgrundsätze; vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 27. Juni 1969 – BVerwG 7 C 20.67 – BVerwGE 32, 252 ≪254≫; Urteil vom 27. Februar 1976 – BVerwG 7 C 44.74 – BVerwGE 50, 255 ≪262≫; Urteil vom 14. Dezember 1978 – BVerwG 5 C 1.78 – BVerwGE 57, 204 ≪206 f.≫; Urteil vom 24. September 1992 – BVerwG 3 C 64.89 – BVerwGE 91, 77 ≪81 f.≫; vgl. auch Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 137 Rn. 66 f. m.w.N.).
An diese Auslegung des Berufungsgerichts ist das Bundesverwaltungsgericht gebunden (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO), sofern die Auslegung nicht ihrerseits gegen höherrangiges Bundesrecht verstößt (vgl. auch dazu die Nachweise bei Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O., Rn. 79 ff.). Hierfür ist indes nichts ersichtlich. Insbesondere bestimmt das Berufungsgericht den Billigkeitsbegriff in § 227 AO entgegen den Einwendungen der Revision nicht willkürlich. Seine Auffassung, wonach die Progression der Kirchensteuer in ihrer Abhängigkeit von der Einkommensteuer auf der eindeutigen Anordnung des Normgebers beruhe (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 KiStG i.V.m. § 2 Abs. 2 Buchst. a Kirchensteuerordnung der Pfälzischen Landeskirche im Bereich des Landes Rheinland-Pfalz vom 7. Oktober 1971 ≪ABl S. 277≫ mit späteren Änderungen – KiStO), daher alle Kirchensteuerpflichtigen ab einer gewissen Einkommenshöhe gleich treffe und deshalb keine sachliche Unbilligkeit darstelle, die über § 227 AO korrigiert werden könne, folgt den Grundsätzen der von ihm zutreffend wiedergegebenen höchstrichterlichen Rechtsprechung zum bundesrechtlichen Billigkeitsbegriff (vgl. etwa BVerwG, Urteil 17. November 1999 – BVerwG 11 C 7.99 – NVwZ-RR 2000, 317). Sie wird zudem auch in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung zum Kirchensteuerrecht vielfach geteilt (vgl. FG Saarland, Urteil vom 23. Juni 1978 – 18/76 – EFG 1979, 149; FG Köln, Urteil vom 14. August 1992 – 11 V 374/92 – juris und Urteil vom 25. November 1992 – 11 K 1660/92 – EFG 1993, 401).
Anhaltspunkte im Kirchensteuergesetz Rheinland-Pfalz oder in der Kirchensteuerordnung der Pfälzischen Landeskirche, die erkennen ließen, dass der Landesgesetzgeber oder die beklagte Kirche die der Einkommensteuerprogression folgende Kirchensteuer ab einer bestimmten Höhe als generell unbillig ansähen, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt und sind auch nicht ersichtlich. Die Berufung der Klägerin auf eine Praxis der Kirchensteuererhebung in anderen Landeskirchen, die in solchen Fällen einen Billigkeitserlass auf § 227 AO stützten, vermag daher nicht zu begründen, dass die am eigenen Landeskirchenrecht orientierte Auslegung des Berufungsgerichts zu dieser Bestimmung, die zudem mit dem bundesrechtlichen Billigkeitsbegriff grundsätzlich in Einklang steht, bundesrechtswidrig, insbesondere willkürlich, sein sollte.
Mit den vorstehenden Erwägungen ist dem Landesgesetzgeber oder der beklagten Kirche nicht die Befugnis abgesprochen, eine eigenständige allgemeine Kappungsregelung jenseits des einzelfallbezogenen Billigkeitserlasses nach § 227 AO einzuführen, sofern sie die Anknüpfung der Kirchensteuer an die Einkommensteuerprogression jedenfalls ab einer bestimmten Höhe für nicht mehr angemessen hielten, etwa weil sie die mit der Einkommensteuerprogression verfolgten gesellschaftspolitischen Zielvorstellungen nicht von der Kirchensteuer übernommen wissen wollten (zu entsprechenden Bestimmungen in verschiedenen Landeskirchen vgl. von Campenhausen, Staatskirchenrecht, 3. Aufl. 1996, S. 264; Marré in: Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Erster Band, 2. Aufl. 1994, S. 1132 ff.).
Gebunden ist das Bundesverwaltungsgericht im Übrigen auch an die Auslegung des Berufungsgerichts zu der Frage, was bei Anwendung des § 227 AO gerichtlich kontrollierbare Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs und was nur eingeschränkt überprüfbare Ermessensentscheidung ist. Vor diesem Hintergrund geht die Rüge der Klägerin ins Leere, das Berufungsgericht verstoße insoweit gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz, weil es sich mit seiner Feststellung, dass die Einziehung der gegenüber der Klägerin festgesetzten Kirchensteuer nicht unbillig sei, unzulässig über die Ermessensbefugnis der Kirchensteuerbehörde hinweggesetzt habe. Die auf der Auslegung von Landesrecht beruhende Auffassung des Berufungsgerichts hierzu, dass es keiner Ausführungen zur Ermessensausübung der Steuerbehörde bedürfe, wenn die Kirchensteuerbelastung für die Klägerin schon nicht unbillig im Sinne des § 227 Abs. 1 AO sei, verstößt danach nicht gegen höherrangiges revisibles Recht.
2. Ein Teilerlass der Kirchensteuer steht der Klägerin auch nicht auf der Grundlage eines über § 227 AO hinausgehenden kirchenspezifischen Erlasstatbestandes zu. Denn für einen solchen Erlass fehlt es an der erforderlichen gesetzlichen Grundlage. Soweit das Berufungsgericht die Anforderungen des bundesrechtlichen Gesetzmäßigkeitsprinzips an einen Steuererlass verkannt hat, beruht seine Entscheidung nicht darauf, da es ausgehend von seiner Rechtsauffassung im Übrigen auch bei Vermeidung dieses Bundesrechtsverstoßes das Begehren der Klägerin – im Ergebnis zu Recht – abgelehnt hätte.
Der im Steuerrecht allgemein anerkannte, aus Art. 20 Abs. 3, Art. 2 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG abgeleitete und damit bundesrechtliche Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Steuererhebung verlangt, dass sowohl der Tatbestand als auch die Höhe der Besteuerung im Gesetz niedergelegt sein müssen. Weder die Finanzverwaltungen noch die Gerichtsbarkeit dürfen die Steuer nach ihrem Ermessen festsetzen. Dieser Grundsatz erstreckt sich auch auf Steuerbefreiungen, Steuerermäßigungen und sonstige Steuervergünstigungen. Behörden oder Gerichte dürfen die Steuerschuld nicht ohne gesetzliche Grundlage herabsetzen (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juni 1959 – BVerwG 7 C 83.57 – BVerwGE 8, 329 ≪330≫; Urteil vom 18. April 1975 – BVerwG 7 C 15.73 – BVerwGE 48, 166 ≪168 f.≫; vgl. auch Tipke, Steuerrecht, 17. Aufl. 2002, § 4 Rn. 150 ff.; von Groll, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 227 AO Rn. 30 ff.).
Erhebt die Kirche – wie hier die Beklagte – Kirchensteuern nach Maßgabe eines staatlichen Kirchensteuergesetzes, insbesondere durch Einziehung seitens der staatlichen Finanzbehörden, gilt für dieses öffentlich-rechtliche Besteuerungsverfahren in gleicher Weise der Grundsatz der Gesetz- und Tatbestandsmäßigkeit der Steuererhebung (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Dezember 1965 – 1 BvR 586/58 – BVerfGE 19, 248 ≪251 f.≫; Beschluss vom 23. Oktober 1986 – 2 BvL 7,8/84 – BVerfGE 73, 388 ≪400≫; Beschluss vom 19. August 2002 – 2 BvR 443/01 – DVBl 2002, 1624).
An der für den begehrten Steuererlass danach erforderlichen gesetzlichen Grundlage fehlt es im Fall der Klägerin. Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte für ihre Erlasspraxis insoweit auf § 14 Abs. 4 Satz 1 KiStG und ihre kirchliche Autonomie. Auch das Berufungsgericht scheint – wenn dies den Gründen des angefochtenen Urteils auch nicht eindeutig zu entnehmen ist (Urteilsabdruck S. 10) – § 14 Abs. 4 Satz 1 KiStG als ausreichende Ermächtigung für den Erlass aus kirchenspezifischen Gründen zu verstehen. Damit verkennt es jedoch die Anforderungen an die Gesetz- und Tatbestandsmäßigkeit einer Steuererlassregelung. Selbst wenn man mit der Beklagten und dem Berufungsgericht in § 14 Abs. 4 Satz 1 KiStG nicht nur eine bloße Regelung über die Verteilung der Erlasszuständigkeit zwischen staatlicher Finanz- und Kirchenbehörde, sondern einen materiellen Erlasstatbestand sehen wollte, fehlte ihm doch jedenfalls jede – zumindest generalklauselartig zu fordernde – Aussage zu den Voraussetzungen und der möglichen Höhe eines Kirchensteuererlasses wie auch über einen etwaigen Entscheidungsspielraum der Behörde.
Den Anforderungen des Gesetzmäßigkeitsprinzips wäre allerdings auch Genüge getan, wenn der Erlasstatbestand auf einer ausreichenden normativen Grundlage im Kirchensteuerrecht der Pfälzischen Landeskirche geregelt wäre, wobei die hierfür erforderliche Ermächtigungsgrundlage im staatlichen Kirchensteuergesetz mit Rücksicht auf die den Religionsgesellschaften in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV eingeräumte Autonomie nicht den strengen Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 GG genügen müsste (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 23. Oktober 1986, a.a.O., S. 400). Ein solcher tragfähiger Erlasstatbestand besteht jedoch im Recht der beklagten Kirche – insbesondere in ihrer Kirchensteuerordnung – nicht. Das Berufungsgericht hat keinen derartigen Erlasstatbestand festgestellt. Auch die Beklagte räumt ein, dass dem von ihr jenseits der allgemeinen Billigkeitsklausel des § 227 AO praktizierten Kirchensteuererlass nicht einmal eine Erlassrichtlinie zugrunde liegt, dass es sich bei der Kirchensteuerermäßigung auf Veräußerungsgewinne und der Kappung der Kirchensteuer vielmehr nur um nach gleichen Grundsätzen gehandhabte Einzelfallentscheidungen handelt (so insbesondere das Schreiben der Beklagten an die Klägerin vom 15. Januar 2001).
Dass dies dem Gebot der Gesetz- und Tatbestandsmäßigkeit der Steuerermäßigung nicht genügt, liegt auf der Hand. Das rechtsstaatliche Defizit dieser “Erlasslage” hat sich gerade auch im Fall der Klägerin realisiert, der die Voraussetzungen der Erlassgewährung durch die Beklagte ersichtlich nicht hinreichend klar waren.
Mangels des erforderlichen gesetzlichen Erlasstatbestands vermag dem Begehren der Klägerin auch nicht ihre Berufung auf den allgemeinen Gleichheitssatz zum Erfolg verhelfen. Denn die für die Herabsetzung der Kirchensteuer erforderliche Gesetzesgrundlage kann auch mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG nicht durch die Berufung auf eine ständige Erlasspraxis ersetzt werden, unabhängig davon, dass die Klägerin die Voraussetzungen des von der Beklagten praktizierten Erlasses ohnehin nicht erfüllt.
3. Obgleich die Klage bereits aus den vorgenannten Gründen keinen Erfolg hat, weist der Senat zur Vermeidung künftiger Rechtsstreitigkeiten darauf hin, dass die Beklagte von Verfassungs wegen nicht gehindert wäre, auf einer ausreichenden normativen Grundlage entsprechend ihrer bisherigen Erlasspraxis die Kirchensteuerermäßigung aus den von ihr verfolgten kirchenspezifischen Gründen auf Antrag nur in der Kirche verbliebenen Mitgliedern zu gewähren.
a) Dies gilt jedenfalls für den Fall, dass ein solcher Teilerlass der Kirchensteuer die Bindung der Kirchenmitglieder an die Kirche festigen soll, wie es nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in Übereinstimmung mit dem Vortrag der Beklagten schon nach der bisherigen Erlasspraxis der Fall war. Hielte die Beklagte eine im Bereich der Einkommensteuerprogression liegende Kirchensteuer hingegen allgemein für unbillig, weil sie nach ihrer Auffassung die Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen generell überstiege, oder etwa weil die Beklagte den mit der Steuerprogression verfolgten Zweck nicht auf die Kirchensteuer übertragen wissen wollte, gäbe es keinen sachlichen Grund, eine solche Unbilligkeit bei zwischenzeitlich aus der Kirche ausgetretenen Steuerpflichtigen zu verneinen. Die Beschränkung des Erlasses auf Kirchenmitglieder wäre dann nicht mit Art. 3 GG vereinbar.
Will die Kirche dagegen, obwohl sie die Kirchensteuer auch im Bereich der Einkommensteuerprogression für grundsätzlich angemessen hält, die von einer hohen Kirchensteuer betroffenen Mitglieder durch einen Teilerlass in ihrer Bindung an die Kirche stärken, verfolgt sie damit ein legitimes Ziel. Hierzu ist sie im Rahmen der ihr nach Art. 140 GG i.V.m. § 137 Abs. 3 WRV zustehenden Autonomie auf entsprechender normativer Grundlage auch grundsätzlich berechtigt.
Da der Zweck dieses Steuernachlasses nur bei noch in der Kirche befindlichen Mitgliedern erreicht werden kann, verstößt es nicht gegen Art. 3 Abs. 1 und 3 GG, den Erlass auf diese zu beschränken. Weder der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) noch seine Ausprägung als Differenzierungsverbot wegen des Glaubens oder der religiösen Anschauung (Art. 3 Abs. 3 GG) verwehren es der Kirche, durch geeignete Maßnahmen die Bindung an ihre Mitglieder zu stärken. So wie sie dies aus Anlass einer hohen, aber auch in dieser Höhe grundsätzlich nicht zu beanstandenden Kirchensteuer durch Vergünstigungen im innerkirchlichen Bereich tun könnte, ist es ihr auch unbenommen, dasselbe Ziel durch eine finanzielle Wohltat in Form des Teilverzichts auf die staatlich festgesetzten Kirchensteuern zu verfolgen.
b) Mit einem solchen Steuererlass verstieße die Beklagte auch nicht gegen Art. 4 Abs. 1 und 2 GG.
Dieses Grundrecht garantiert nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch die so genannte negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit mit der Folge, dass jeder über sein Bekenntnis und seine Zugehörigkeit zu einer Kirche selbst und frei von staatlichem Zwang entscheiden darf. Das schließt die Freiheit, einer Kirche fern zu bleiben, ebenso ein wie die Freiheit, sich jederzeit von der kirchlichen Mitgliedschaft mit Wirkung für das staatliche Recht zu befreien (BVerfG, Beschluss vom 8. Februar 1977 – 1 BvR 329/71 u.a. – BVerfGE 44, 37 ≪49≫ m.w.N.). Deshalb darf auch niemand über den Zeitpunkt der Wirksamkeit seines Kirchenaustritts hinaus zur Kirchensteuer herangezogen werden (BVerfG, Beschluss vom 8. Februar 1977, a.a.O., S. 50 und Beschluss vom selben Tag – 1 BvL 7/71 –, BVerfGE 44, 59 ≪67≫).
Die Kirche selbst wird durch Art. 4 Abs. 1 GG freilich nicht gehindert, das Kirchenmitglied durch innerkirchliche Maßnahmen an sich zu binden oder einem Kirchenaustritt etwa die innerkirchliche Wirkung abzusprechen (vgl. von Campenhausen, in: Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Erster Band, 2. Aufl. 1994, S. 780). Art. 4 Abs. 1 GG garantiert lediglich eine Rechtslage im staatlichen Recht, die sicherstellt, dass der Staat einen Austrittswilligen über den Zeitpunkt der Erklärung seines Kirchenaustritts hinaus nicht mit Wirkung für das staatliche Recht an der Mitgliedschaft festhält, auch nicht durch Aufrechterhaltung der Kirchensteuerpflicht (BVerfG, Beschluss vom 8. Februar 1977, a.a.O., S. 50).
Dies würde die Beklagte mit einer der bisherigen Erlasspraxis entsprechenden normativen Regelung ersichtlich nicht tun. Ist nämlich die Kirchensteuer in ihrer vollen Höhe rechtens, begegnet es auch mit Rücksicht auf den Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 GG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sie von der zuständigen staatlichen Behörde eingezogen wird. Daran ändert es nichts, wenn die Kirche nur den bei ihr verbleibenden Mitgliedern die Möglichkeit eines Teilerlasses eröffnet. Ein auch nur mittelbarer staatlicher Druck auf weiteren – zumindest vorübergehenden – Verbleib in der Kirche folgt daraus nicht. Das von der hohen Kirchensteuer betroffene Kirchenmitglied ist in seiner Entscheidung, ob es aus der Kirche austreten oder zur Erlangung der Steuerermäßigung in der Kirche verbleiben will, strukturell ebenso frei, wie bereits zuvor bei der Entscheidung, ob es trotz Kirchensteuerpflicht Mitglied der Kirche bleiben will. Da der Staat bei dem ausgetretenen Kirchenmitglied lediglich die ohnehin geschuldete Kirchensteuer einzieht, übt er, ungeachtet der Option einer kirchenspezifischen – von der Kirchensteuerbehörde zu gewährenden – Steuerermäßigung für die in der Kirche Verbliebenen, keinen unzulässigen staatlichen Druck auf dessen Glaubens- und Bekenntnisfreiheit aus. Diese Freiheit des Kirchenmitglieds wird durch den kirchenspezifischen Steuererlass nicht grundsätzlich anders betroffen, als wenn die Kirche – verfassungsrechtlich zweifellos zulässig – dem Mitglied für den Fall seines Verbleibs in der Kirche andere, innerkirchliche, möglicherweise ebenfalls materielle Vergünstigungen in Aussicht stellte. Art. 4 Abs. 1 GG bewahrt das Kirchenmitglied danach zwar vor einer staatlich sanktionierten Behinderung beim Kirchenaustritt, verleiht dem aus der Kirche Ausgetretenen aber keinen Anspruch auf eine nur Kirchenmitgliedern gewährte finanzielle Vergünstigung.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Hien, Dr. Storost, Vallendar, Prof. Dr. Rubel, Dr. Eichberger
Fundstellen
BFH/NV Beilage 2003, 245 |
NWB 2003, 1731 |
DÖV 2003, 993 |
DVBl. 2003, 1217 |
NordÖR 2003, 357 |
AfkKR 2003, 205 |
BFH/NV-Beilage 2003, 245 |
StB 2003, 347 |