Andreas Benecke, Dr. Wendelin Staats
Tz. 52
Stand: EL 105 – ET: 03/2022
Nach der hier vertretenen Auff handelt es sich bei § 12 Abs 1 KStG um eine Gewinnermittlungsvorschrift, die innerhalb der St-Bil (1. Stufe der Gewinnermittlung) zur Anwendung gelangt (s Tz 29). Im Zusammenhang mit dem eigentlichen Regelungsziel – Sicherstellung der Besteuerung der stillen Reserven – stellt sich daher im grenzüberschreitenden Kontext die Frage, inwieweit die durch das SEStEG eingeführten innerstaatlichen Gewinnermittlungsvorschriften in § 4 Abs 1 S 3 EStG und § 12 Abs 1 KStG mit Art 7 OECD-MA vereinbar sind.
Tz. 53
Stand: EL 105 – ET: 03/2022
Art 7 OECD-MA betrifft die Ebene der Gewinnabgrenzung. Die in den DBA bilateral geregelte Ebene der Gewinnabgrenzung ist von der unilateral geregelten Ebene der Gewinnermittlung zu unterscheiden (s Urt des BFH v 09.11.1988, BStBl II 1989, 510).
Der Inhalt der Regelung des Art 7 OECD-MA beschr sich darauf, den für das Gesamtunternehmen entstandenen Gewinn auf die jeweiligen Unternehmensteile – Stammhaus und BetrSt – aufzuteilen und damit die nationalen Besteuerungsrechte der Staaten voneinander abzugrenzen, während die Gewinnermittlungsvorschriften bestimmen, ob und in welcher Höhe stpfl Eink vorliegen (s Wassermeyer, IStR 2004, 733f; s Ditz, IStR 2005, 37, 38). Auch die Aussagen im OECD-Bericht v 17.07.2008, die zur Ausarbeitung des "AOA" (Authorized OECD Approach) geführt haben, sind nur auf die Gewinnabgrenzung beschr und haben keinen Einfluss auf die Realisierung von Gewinnen (s OECD, Report on The Attribution of Profits to Permanent Establishments, 2008, Teil I Rn 208).
Tz. 54
Stand: EL 105 – ET: 03/2022
Hinsichtlich der Vereinbarkeit der Entstrickungsregelungen mit Art 7 OECD-MA 2008 (und vorherige Fassungen) muss noch zwischen der Entstrickung von WG und der Nutzungsentstrickung unterschieden werden. Seit der Neufassung des Art 7 OECD-MA 2010 bestehet insoweit dagegen kein Unterschied (s Tz 57).
Tz. 55
Stand: EL 105 – ET: 03/2022
Für die Frage des Verhältnisses von § 4 Abs 1 S 3 EStG und § 12 Abs 1 KStG zu Art 7 OECD-MA 2008 kann an dieser Stelle – ungeachtet des Meinungsstreits, ob die Überführung eines WG in eine ausl BetrSt zum Verlust des dt Besteuerungsrechts führen kann (s Tz 221ff) – konstatiert werden, dass die Besteuerung der in dem überführten WG enthaltenen und während der Zeit der dt Besteuerungshoheit entstandenen stillen Reserven zum Zeitpunkt der Überführung oder erst zu einem späteren Zeitpunkt (zB bei Realisation eines Außenumsatzes) mit Art 7 OECD-MA 2008 vereinbar ist (s Rn 21 OECD-MK 2008 zu Art 7). Der zuvor erwähnte Meinungsstreit hingegen betrifft im Kern nicht die Gewinnabgrenzung, sondern lediglich den – der Ebene der Gewinnermittlung zuzurechnenden – Zeitpunkt der Gewinnrealisation (auch s Rn 22 OECD-MK 2008 zu Art 7).
Tz. 56
Stand: EL 105 – ET: 03/2022
Gänzlich anders beurteilt sich die Vereinbarkeit der Nutzungsentstrickung von § 4 Abs 1 S 3 EStG und § 12 Abs 1 KStG mit Art 7 OECD-MA 2008. Für das Verhältnis der genannten Vorschriften zueinander ist letztendlich das Verständnis der Selbständigkeitsfiktion der BetrSt in Art 7 Abs 2 OECD-MA 2008 ursächlich. Nach der Auff in der Rspr (s Urt des BFH v 27.07.1965, BStBl III 1966, 24 sowie v 20.07.1988, BStBl II 1989, 140), der Fin-Verw (s Schr des BMF v 24.12.1999, BStBl I 1999, 1076 Rn 2.2) und der überwiegenden Auff im Fachschrifttum (zB s Schaumburg in Schaumburg, Internationales StR, 4. Aufl, Rn 21.39; s Schröder/Strunk, in StR international tätiger Unternehmen, Rn C 8ff; s Wassermeyer, IStR 2004, 733; s Wassermeyer, in D/W, Art 7 OECD-MA (2000) Rn 323f, jeweils mwNachw) kommt der Selbständigkeitsfiktion der BetrSt in Art 7 Abs 2 OECD-MA 2008für den dt Rechtskreis dabei nur eine eingeschränkte Selbständigkeitsfiktion des Inhalts zu, dass iRd Gewinnabgrenzung im Grundsatz – zur Ausnahme bei sog Dienstleistungs-BetrSt s Rn 32 OECD-MK 2008 zu Art 7 sowie Schr des BMF v 24.12.1999, BStBl I 1999, 1076, Rn 2.2 – keine fiktiven Vertragsverhältnisse (Miet-, Darlehens- oder Pachtvertrag – sog dealings) fingiert werden dürfen; so zB auch in den NL (s Pijl, Bulletin For International Taxation 2006, 351, 354) oder im Vereinigten Königreich (s Mills/Mahalingham, Tax Planning International Review 03/2006, 12, 13).
Dies bedeutet für DBA mit einer dem Art 7 OECD-MA 2008 vergleichbaren Regelung für Unternehmensgewinne, dass bei der Überlassung von WG (zB Nutzung selbstgeschaffener Lizenzen in einer ausl BetrSt) nur eine Aufwands-/Kostenverrechnung und keine darüber hinausgehende Verrechnung von fiktiven Lizenzgebühren abkommensrechtlich zulässig ist. Nach Auff der Fin-Verw soll dies allerdings nur für die Überlassung immaterieller WG gelten (s Schr d BMF v 22.12.2016, BStBl I 2016, 182, Tz 429). Mangels eines uE ges klar definierten Treaty-overrides in § 4 Abs 1 S 3 EStG und § 12 Abs 1 KStG dürfte die Nutzungsentstrickung – wegen Fehlens eines iRd abkommensrechtlichen Gewinnabgrenzung bestehenden Besteuerungsrechts – somit für diese "Altabkommen" idR ins Leere geh...