Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialpolitik. Richtlinie 2003/88/EG. Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub. Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit. Vollzeitbeschäftigter, der seine Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub im Bezugszeitraum nicht ausüben konnte. Übergang dieses Arbeitnehmers zu einer Teilzeitbeschäftigung. Nationale Bestimmung oder Gepflogenheit, nach der die Zahl der zuvor erworbenen Tage bezahlten Urlaubs im Verhältnis zur Zahl der im Rahmen der Teilzeitbeschäftigung geleisteten wöchentlichen Arbeitstage gekürzt wird
Beteiligte
Tenor
Das einschlägige Unionsrecht, insbesondere Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und Paragraf 4 Nr. 2 der am 6. Juni 1997 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit in der durch die Richtlinie 98/23/EG des Rates vom 7. April 1998 geänderten Fassung, ist dahin auszulegen, dass es nationalen Bestimmungen oder Gepflogenheiten wie den im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, nach denen die Zahl der Tage bezahlten Jahresurlaubs, die ein vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer im Bezugszeitraum nicht in Anspruch nehmen konnte, wegen des Übergangs dieses Arbeitnehmers zu einer Teilzeitbeschäftigung entsprechend dem Verhältnis gekürzt wird, in dem die von ihm vor diesem Übergang geleistete Zahl der wöchentlichen Arbeitstage zu der danach geleisteten Zahl steht.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 267 AEUV, eingereicht vom Arbeitsgericht Nienburg (Deutschland) mit Entscheidung vom 4. September 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 13. September 2012, in dem Verfahren
Bianca Brandes
gegen
Land Niedersachsen
erlässt
DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. Malenovský, des Richters M. Safjan und der Richterin A. Prechal (Berichterstatterin),
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, nach Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,
folgenden
Beschluss
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Paragraf 4 der am 6. Juni 1997 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (im Folgenden: Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit) im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (ABl. 1998, L 14, S. 9) in der durch die Richtlinie 98/23/EG des Rates vom 7. April 1998 (ABl. L 131, S. 10) geänderten Fassung sowie jeder anderen im Hinblick auf den Ausgangsrechtsstreit für einschlägig erachteten unionsrechtlichen Bestimmung.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Brandes und dem Land Niedersachsen über Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub für die Jahre 2010 und 2011, den Frau Brandes in diesen Jahren, die die Bezugszeiträume darstellen, nicht nehmen konnte.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Paragraf 4 („Grundsatz der Nichtdiskriminierung”) der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit bestimmt in den Nrn. 1 und 2:
- „Teilzeitbeschäftigte dürfen in ihren Beschäftigungsbedingungen nur deswegen, weil sie teilzeitbeschäftigt sind, gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten nicht schlechter behandelt werden, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus sachlichen Gründen gerechtfertigt.
- Es gilt, wo dies angemessen ist, der Pro-rata-temporis-Grundsatz.”
Rz. 4
Die Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. L 299, S. 9) sieht in Art. 7 („Jahresurlaub”) vor:
„(1)
Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind.
(2)
Der bezahlte Mindestjahresurlaub darf außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden.”
Deutsches Recht
Rz. 5
Das Bundesurlaubsgesetz vom 8. Januar 1963 (BGBl. 1963 S. 2) bestimmt in § 3 Abs. 1, dass „[d]er Urlaub … jährlich mindestens 24 Werktage” beträgt.
Rz. 6
§ 11 Abs. 1 dieses Gesetzes sieht vor:
„Das Urlaubsentgelt bemisst sich nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst, das der Arbeitnehmer in den letzten dreizehn Wochen vor dem Beginn des Urlaubs erhalten hat, mit Ausnahme des zusätzlich für Überstunden gezahlten Arbeitsverdienstes. …”
Rz. 7
§ 26 Abs. 1 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder vom 12. Oktober 2006 in der Fassung des Änderungstarifvertrag...