Entscheidungsstichwort (Thema)
Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Verordnung (EG) Nr. 1346/2000. Insolvenzverfahren. Entscheidung zur Eröffnung des Verfahrens. Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners. Anerkennung des Insolvenzverfahrens. Ordre public
Beteiligte
Tenor
1. Wenn Schuldner eine Tochtergesellschaft ist, deren satzungsmäßiger Sitz in einem anderen Mitgliedstaat liegt als der der Muttergesellschaft, kann die in Artikel 3 Absatz 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren aufgestellte Vermutung, wonach diese Tochtergesellschaft den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen in dem Mitgliedstaat hat, in dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz befindet, nur widerlegt werden, sofern objektive und für Dritte feststellbare Elemente belegen, dass in Wirklichkeit die Lage nicht derjenigen entspricht, die die Verortung am genannten satzungsmäßigen Sitz widerspiegeln soll. Dies könnte insbesondere bei einer Gesellschaft der Fall sein, die im Gebiet des Mitgliedstaats, in dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz befindet, keiner Tätigkeit nachgeht. Wenn jedoch eine Gesellschaft ihrer Tätigkeit im Gebiet des Mitgliedstaats, in dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz befindet, nachgeht, so reicht die Tatsache, dass ihre wirtschaftlichen Entscheidungen von einer Muttergesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat kontrolliert werden oder kontrolliert werden können, nicht aus, um die mit der Verordnung aufgestellte Vermutung zu entkräften.
2. Artikel 16 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 1346/2000 ist dahin auszulegen, dass das von einem Gericht eines Mitgliedstaats eröffnete Hauptinsolvenzverfahren von den Gerichten der übrigen Mitgliedstaaten anzuerkennen ist, ohne dass diese die Zuständigkeit des Gerichts des Eröffnungsstaats überprüfen können.
3. Artikel 16 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 1346/2000 ist dahin auszulegen, dass die von einem Gericht eines Mitgliedstaats auf einen entsprechenden, auf die Insolvenz des Schuldners gestützten Antrag auf Eröffnung eines in Anhang A der Verordnung genannten Verfahrens hin erlassene Entscheidung eine Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Sinne dieser Vorschrift darstellt, wenn sie den Vermögensbeschlag gegen den Schuldner zur Folge hat und durch sie ein in Anhang C der Verordnung genannter Verwalter bestellt wird. Ein solcher Vermögensbeschlag bedeutet, dass der Schuldner die Befugnisse zur Verwaltung seines Vermögens verliert.
4. Artikel 26 der Verordnung Nr. 1346/2000 ist dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat einem in einem anderen Mitgliedstaat eröffneten Insolvenzverfahren die Anerkennung versagen kann, wenn die Eröffnungsentscheidung unter offensichtlichem Verstoß gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör einer von einem solchen Verfahren betroffenen Person ergangen ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach den Artikeln 68 EG und 234 EG, eingereicht vom Supreme Court (Irland) mit Entscheidung vom 27. Juli 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 9. August 2004, in dem Verfahren
Eurofood IFSC Ltd
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann (Berichterstatter), C. W. A. Timmermans, A. Rosas und J. Malenovský, der Richter J.-P. Puissochet und R. Schintgen, der Richterin N. Colneric sowie der Richter J. Klučka, U. Lõhmus und E. Levits,
Generalanwalt: F. G. Jacobs,
Kanzler: K. Sztranc, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. Juli 2005,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Bondi, vertreten durch G. Moss, QC, B. Shipsey, SC, J. Gleeson, G. Clohessy und E. Barrington, Barristers-at-law, sowie durch B. O'Neil, D. Smith und C. Mallon, Solicitors,
- der Bank of America NA, vertreten durch M. M. Collins und L. McCann, SC, B. Kennedy, Barrister-at-law, sowie durch W. Day, Solicitor,
- von Herrn Farrell, Official Liquidator, vertreten durch M. G. Collins, SC, und D. Murphy, Barrister-at-law, sowie durch T. O'Grady, Solicitor,
- des Director of Corporate Enforcement, vertreten durch A. Keating, Principal Solicitor, und C. Costello, Barrister-at-law,
- der Certificate/Note holders, vertreten durch D. Baxter, Solicitor, D. McDonald, SC, und J. Breslin, Barrister-at-law,
- Irlands, vertreten durch D. O'Hagan als Bevollmächtigten im Beistand von D. Barniville, Barrister-at-law,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch T. Bocek als Bevollmächtigten,
- der deutschen Regierung, vertreten durch W.-D. Plessing als Bevollmächtigten,
- der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues, J.-C. Niollet und A. Bodard-Hermant als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von O. Fiumara und M. Massella Ducci Teri als Bevollmächtigte,
- der ungarischen Regierung, vertreten durch P. Gottfried als Bevollmächtigten,
- der österreichischen Regierung, vertreten dur...