Entscheidungsstichwort (Thema)
Zeitpunkt der Steuerentstehung, Bau- und Montageleistungen, Nichtausstellung einer Rechnung
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 66 Abs. 1 Buchst. c
Beteiligte
Verfahrensgang
Naczelny Sąd Administracyjny (Polen) (Beschluss vom 28.11.2017; ABl. EU 2018, Nr. C 231/11) |
Tenor
Art. 66 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2010/45/EU des Rates vom 13. Juli 2010 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er es im Fall der Nichtausstellung oder verspäteten Ausstellung der Rechnung über die ausgeführte Dienstleistung nicht verwehrt, die förmliche Abnahme dieser Leistung als den Zeitpunkt ihrer Erbringung anzusehen, wenn der Mitgliedstaat – wie im Ausgangsverfahren – vorsieht, dass der Steueranspruch mit dem Ablauf einer Frist eintritt, die mit dem Tag beginnt, an dem die Leistung erbracht wird, sofern zum einen die Formalität der Abnahme von den Parteien in dem Vertrag vereinbart wurde, der sie an die Vertragsbestimmungen bindet, die der wirtschaftlichen und geschäftlichen Realität in dem Bereich entsprechen, in dem die Leistung ausgeführt wird, und zum anderen diese Formalität der physischen Fertigstellung der Leistung entspricht und den Betrag der geschuldeten Gegenleistung endgültig festlegt, was von dem vorlegenden Gericht zu prüfen ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht, Polen) mit Entscheidung vom 28. November 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 28. März 2018, in dem Verfahren
Budimex S.A.
gegen
Minister Finansów
erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz sowie der Richter E. Levits (Berichterstatter) und P. G. Xuereb,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Budimex S.A., vertreten durch M. Militz, doradca podatkowy,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Siekierzyńska und N. Gossement als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 66 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2010/45/EU des Rates vom 13. Juli 2010 (ABl. 2010, L 189, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Budimex S.A. und dem Minister Finansów (Finanzminister, Polen) über eine Einzelfallauslegung, die Budimex beim Finanzminister zu der Frage beantragt hatte, zu welchem Zeitpunkt der Mehrwertsteueranspruch bei der Ausführung von Bau- oder Montageleistungen entsteht.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Der 24. Erwägungsgrund der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:
„Die Begriffe ‚Steuertatbestand’ und ‚Steueranspruch’ sollten harmonisiert werden, damit die Anwendung und die späteren Änderungen des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems in allen Mitgliedstaaten zum gleichen Zeitpunkt wirksam werden.”
Rz. 4
Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor, dass „Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt”, der Mehrwertsteuer unterliegen.
Rz. 5
Art. 63 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:
„Steuertatbestand und Steueranspruch treten zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird.”
Rz. 6
In Art. 66 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:
„Abweichend von den Artikeln 63, 64 und 65 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass der Steueranspruch für bestimmte Umsätze oder Gruppen von Steuerpflichtigen zu einem der folgenden Zeitpunkte entsteht:
- spätestens bei der Ausstellung der Rechnung;
- spätestens bei der Vereinnahmung des Preises;
- im Falle der Nichtausstellung oder verspäteten Ausstellung der Rechnung binnen einer bestimmten Frist spätestens nach Ablauf der von den Mitgliedstaaten gemäß Artikel 222 Absatz 2 gesetzten Frist für die Ausstellung der Rechnung oder, falls von den Mitgliedstaaten eine solche Frist nicht gesetzt wurde, binnen einer bestimmten Frist nach dem Eintreten des Steuertatbestands.”
Rz. 7
Art. 222 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„Für Gegenstände, die unter den Voraussetzungen des Artikels 138 geliefert werden, oder für Dienstleistungen, für die nach Artikel 196 der Leistungsempfänger die Steuer schuldet, wird spätestens am fünfzehnten Tag des Monats, der auf den Monat folgt, in dem der Steuertatbestand eingetreten ist, eine Rechnung ausgestellt.
Für andere Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleis...