Entscheidungsstichwort (Thema)
Einheitlichkeit der Leistung, Anschluss an Wasserversorgungsnetz, Begriff der Lieferung von Wasser, ermäßigter Steuersatz
Leitsatz (amtlich)
1. Art. 4 Abs. 5 und Anhang D Nr. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage sind dahin auszulegen, dass unter den Begriff „Lieferungen von Wasser“ im Sinne dieses Anhangs das Legen eines Hausanschlusses fällt, das wie im Ausgangsverfahren in der Verlegung einer Leitung besteht, die die Verbindung des Wasserverteilungsnetzes mit der Wasseranlage eines Grundstücks ermöglicht, so dass eine Einrichtung des öffentlichen Rechts, die im Rahmen der öffentlichen Gewalt tätig wird, für diese Leistung als Steuerpflichtiger gilt.
2. Art. 12 Abs. 3 Buchst. a und Anhang H Kategorie 2 der Sechsten Richtlinie 77/388 sind dahin auszulegen, dass unter den Begriff „Lieferungen von Wasser“ das Legen eines Hausanschlusses fällt, das wie im Ausgangsverfahren in der Verlegung einer Leitung besteht, die die Verbindung des Wasserverteilungsnetzes mit der Wasseranlage eines Grundstücks ermöglicht. Zudem können die Mitgliedstaaten konkrete und spezifische Aspekte der „Lieferungen von Wasser“ ‐ wie das im Ausgangsverfahren fragliche Legen eines Hausanschlusses ‐ mit einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz belegen, vorausgesetzt, sie beachten den Grundsatz der steuerlichen Neutralität, der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde liegt.
Normenkette
EWGRL 388/77 Anhang D Nr. 2; EWGRL 388/77 Anhang H Nr. 2; EWGRL 388/77 Art. 4 Abs. 5, Art. 12 Abs. 3 Buchst. a
Beteiligte
Zweckverband zur Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung Torgau-Westelbien |
Zweckverband zur Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung Torgau-Westelbien |
Verfahrensgang
Nachgehend
Tatbestand
„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie ‐ Art. 4 Abs. 5 und Art. 12 Abs. 3 Buchst. a ‐ Anhänge D und H ‐ Begriff ‘Lieferungen von Wasser‘ ‐ Ermäßigter Mehrwertsteuersatz“
In der Rechtssache C-442/05
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 3. November 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Dezember 2005, in dem Verfahren
Finanzamt Oschatz
gegen
Zweckverband zur Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung Torgau-Westelbien,
Beteiligter:
Bundesministerium der Finanzen,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans sowie der Richter L. Bay Larsen, J. Makarczyk (Berichterstatter), P. Kũris und J.-C. Bonichot,
Generalanwalt: J. Mazák,
Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. Mai 2007,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ des Finanzamts Oschatz, vertreten durch T. Martin als Bevollmächtigten,
‐ des Zweckverbands zur Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung Torgau-Westelbien, vertreten durch Steuerberater F. Schmidt,
‐ der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und U. Forsthoff als Bevollmächtigte,
‐ der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von G. Fiengo, avvocato dello Stato,
‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Triantafyllou als Bevollmächtigten,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. Juli 2007
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft im Wesentlichen die Auslegung des Begriffs „Lieferungen von Wasser“ in Anhang D Nr. 2 und Anhang H Kategorie 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) in der durch die Richtlinie 2001/4/EG des Rates vom 19. Januar 2001 (ABl. L 22, S. 17) geänderten Fassung (im Folgenden: Sechste Richtlinie).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Finanzamt Oschatz (im Folgenden: Finanzamt) und dem Zweckverband zur Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung Torgau-Westelbien (im Folgenden: Zweckverband) wegen der Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf die Verbindung des Wasserverteilungsnetzes mit der Wasseranlage eines Grundstücks (im Folgenden: Hausanschluss).
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3
Art. 4 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie bestimmt:
„Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts gelten nicht als Steuerpflichtige, soweit sie die Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten oder Leistungen Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben...