Entscheidungsstichwort (Thema)
Geflügelfleisch. Ausfuhrerstattungen. Unterlassung einer Vorlage. Bestandskräftige Verwaltungsentscheidung. Wirkung eines Vorabentscheidungsurteils, das der Gerichtshof nach dieser Entscheidung erlässt. Rechtssicherheit. Vorrang des Gemeinschaftsrechts. Grundsatz der Zusammenarbeit. Artikel 10 EG
Beteiligte
Productschap voor Pluimvee en Eieren |
Tenor
Der in Artikel 10 EG verankerte Grundsatz der Zusammenarbeit verpflichtet eine Verwaltungsbehörde auf entsprechenden Antrag hin, eine bestandskräftige Verwaltungsentscheidung zu überprüfen, um der mittlerweile vom Gerichtshof vorgenommenen Auslegung der einschlägigen Bestimmung Rechnung zu tragen, wenn
- die Behörde nach nationalem Recht befugt ist, diese Entscheidung zurückzunehmen,
- die Entscheidung infolge eines Urteils eines in letzter Instanz entscheidenden nationalen Gerichts bestandskräftig geworden ist,
- das Urteil, wie eine nach seinem Erlass ergangene Entscheidung des Gerichtshofes zeigt, auf einer unrichtigen Auslegung des Gemeinschaftsrechts beruht, die erfolgt ist, ohne dass der Gerichtshof um Vorabentscheidung ersucht wurde, obwohl der Tatbestand des Artikels 234 Absatz 3 EG erfüllt war, und
- der Betroffene sich, unmittelbar nachdem er Kenntnis von der besagten Entscheidung des Gerichtshofes erlangt hat, an die Verwaltungsbehörde gewandt hat.
Tatbestand
In der Rechtssache C-453/00
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom College van Beroep voor het bedrijfsleven (Niederlande) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Kühne & Heitz NV
gegen
Productschap voor Pluimvee en Eieren
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Gemeinschaftsrechts und insbesondere des Grundsatzes der Zusammenarbeit, der sich aus Artikel 10 EG ergibt,
erlässt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans, C. Gulmann und J. N. Cunha Rodrigues, der Richter A. La Pergola, J.-P. Puissochet und R. Schintgen, der Richterinnen F. Macken und N. Colneric (Berichterstatterin) sowie des Richters S. von Bahr,
Generalanwalt: P. Léger,
Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- der Kühne & Heitz NV, vertreten durch A. J. Braakman, advocaat,
- der Productschap voor Pluimvee en Eieren, vertreten durch C. M. den Hoed, stellvertretender Generalsekretär,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster als Bevollmächtigte,
- der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und C. Vasak als Bevollmächtigte,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch T. van Rijn als Bevollmächtigten,
- der EFTA-Überwachungsbehörde, vertreten durch B. Eiríksdóttir als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Kühne & Heitz NV, vertreten durch A. J. Braakman, der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster und J. G. M. van Bakel als Bevollmächtigten, der französischen Regierung, vertreten durch R. Abraham und C. Isidoro als Bevollmächtigte, der Kommission, vertreten durch T. van Rijn, und der EFTA-Überwachungsbehörde, vertreten durch B. Eiróksdóttir, in der Sitzung vom 9. Oktober 2002,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17. Juni 2003
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1.
Das College van Beroep voor het bedrijfsleven hat mit Urteil vom 1. November 2000, beim Gerichtshof eingegangen am 11. Dezember 2000, gemäß Artikel 234 EG eine Frage nach der Auslegung des Gemeinschaftsrechts und insbesondere des Grundsatzes der Zusammenarbeit, der sich aus Artikel 10 ergibt, zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Kühne & Heitz NV (im Folgenden: Klägerin) und der Productschap voor Pluimvee en Eieren (im Folgenden: Productschap), bei dem es um die Zahlung von Ausfuhrerstattungen geht.
Rechtlicher Rahmen
3.
Artikel 10 EG lautet:
Die Mitgliedstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus diesem Vertrag oder aus Handlungen der Organe der Gemeinschaft ergeben. Sie erleichtern dieser die Erfüllung ihrer Aufgabe.
Sie unterlassen alle Maßnahmen, welche die Verwirklichung der Ziele dieses Vertrags gefährden könnten.
4.
Im niederländischen Recht bestimmen die Artikel 4:6 und 8:88 der Algemene wet bestuursrecht (Allgemeines Verwaltungsrechtsgesetz) vom 4. Juni 1992 (Stbl. 1992, S. 315), zuletzt geändert am 12. Dezember 2001 (Stbl. 2001, S. 66):
Art. 4:6
- Wird nach vollständiger oder teilweiser Ablehnung eines Antrags ein neuer Antrag gestellt, so hat der Antragsteller neu eingetretene Tatsachen oder geänderte Umstände anzugeben.
- Wenn keine neu eingetretenen Tatsachen oder geänderten Umstände angegeben werden, kann die Verwaltungsbehörde, ohne Artikel 4:5 anzuwenden, den Antrag unter Bezugnahme auf ihre vorherige ablehnende Entscheidung ablehnen.
…
Art. 8:88
1. Das Gericht kann auf Antrag ein...