Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsverletzungsverfahren. Entscheidung der Kommission, eine mit Gründen versehene Stellungnahme abzugeben. Anwendung des Kollegialprinzips. Tragweite (EG-Vertrag, Artikel 169). Mitgliedstaaten. Verpflichtungen. Durchführung der Richtlinien. Vertragsverletzung. Rechtfertigung. Unzulässigkeit (EG-Vertrag, Artikel 169)
Leitsatz (amtlich)
1. Der Beschluss der Kommission, im Rahmen einer Klage nach Artikel 169 des Vertrages eine mit Gründen versehene Stellungnahme abzugeben, unterliegt zwar dem Kollegialprinzip, doch sind die Förmlichkeiten, die zu beachten sind, damit dieses Prinzip tatsächlich eingehalten wird, je nach Art und Rechtswirkungen der von der Kommission erlassenen Akte verschieden. Da die Abgabe einer mit Gründen versehenen Stellungnahme Teil eines Vorverfahrens ist, das keine bindenden rechtlichen Wirkungen für ihren Adressaten entfaltet und nur ein vorprozessualer Abschnitt eines Verfahrens ist, das gegebenenfalls zur Anrufung des Gerichtshofes führt, muss das Kollegium über einen solchen Beschluss der Kommission, eine mit Gründen versehene Stellungnahme abzugeben, gemeinsam beraten, was bedeutet, dass die Elemente, auf die dieser Beschluss gestützt wird, den Mitgliedern des Kollegiums zur Verfügung stehen müssen. Dagegen braucht das Kollegium nicht selbst den Wortlaut eines Rechtsakts, durch den dieser Beschluss umgesetzt wird, und seine endgültige Ausgestaltung zu beschließen.
2. Ein Mitgliedstaat kann sich nicht auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände seiner internen Rechtsordnung berufen, um die Nichteinhaltung der in einer Richtlinie festgelegten Verpflichtungen und Fristen zu rechtfertigen.
Normenkette
Richtlinie 90/605/EWG; Richtlinie 78/660/EWG; Richtlinie 83/349/EWG
Beteiligte
Kommission der Europäischen Gemeinschaften |
Bundesrepublik Deutschland |
Tenor
Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 90/605/EWG des Rates vom 8. November 1990 zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG über den Jahresabschluss bzw. den konsolidierten Abschluss hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs verstossen, dass sie nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist alle erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um dieser Richtlinie nachzukommen.
Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
In der Rechtssache
C-272/97
...
erlässt
der Gerichtshof (Sechste Kammer)
folgendes
Urteil:
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 28. Juli 1997 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstossen hat, dass sie nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist alle Maßnahmen getroffen hat, um der Richtlinie 90/605/EWG des Rates vom 8. November 1990 zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG über den Jahresabschluss bzw. den konsolidierten Abschluss hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs (ABl. L 317, S. 60) nachzukommen.
Die Richtlinie 90/605
Rz. 2
Die Richtlinie 90/605 ändert den Anwendungsbereich der Vierten Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen (ABl. L 222, S. 11) und der Siebenten Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13. Juni 1983 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den konsolidierten Abschluss (ABl. L 193, S. 1).
Rz. 3
Die Richtlinien 78/660 und 83/349 schreiben Maßnahmen zur Koordinierung der nationalen Vorschriften über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss der Kapitalgesellschaften vor. Sie gelten in Deutschland für Gesellschaften folgender Rechtsformen: die Aktiengesellschaft, die Kommanditgesellschaft auf Aktien und die Gesellschaft mit beschränkter Haftung.
Rz. 4
Mit der Richtlinie 90/605 wird der Anwendungsbereich der Richtlinien 78/660 und 83/349 auf bestimmte Kategorien von Personengesellschaften erstreckt, deren Gesellschafter Gesellschaften bestimmter Rechtsformen sind.
Rz. 5
Artikel 1 und 2 der Richtlinie 90/605 erstrecken die Anwendung der in den Richtlinien 78/660 und 83/349 vorgeschriebenen Koordinierungsmaßnahmen in Deutschland auf Gesellschaften zweier Rechtsformen, die offene Handelsgesellschaft und die Kommanditgesellschaft, sofern deren unbeschränkt haftende Gesellschafter sämtlich Gesellschaften in den in Randnummer 3 genannten Rechtsformen oder Gesellschaften sind, die nicht dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegen, deren Rechtsform jedoch mit den Rechtsformen im Sinne der Ersten Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. März 1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwe...