Entscheidungsstichwort (Thema)
ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG. VORGELEGT VON DER HIGH COURT OF JUSTICE. QUEEN'S BENCH DIVISION. NIEDERLASSUNGSFREIHEIT. RECHT ZUM VERLASSEN DES HEIMATMITGLIEDSTAATS. JURISTISCHE PERSON. Freizuegigkeit – Niederlassungsfreiheit – Gesellschaft, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet ist und in diesem ihren satzungsmässigen Sitz hat – Kein Recht, den Sitz ihrer Geschäftsleitung in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen (EWG-Vertrag, Artikel 52 und 58). Freizuegigkeit – Niederlassungsfreiheit – Richtlinie 73/148 – Unanwendbarkeit auf juristische Personen (Richtlinie 73/148 des Rates)
Leitsatz (amtlich)
1. Der EWG-Vertrag betrachtet die Unterschiede, die die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der für ihre Gesellschaften erforderlichen Anknüpfung sowie der Möglichkeit und gegebenenfalls der Modalitäten einer Verlegung des satzungsmässigen oder wahren Sitzes einer Gesellschaft nationalen Rechts von einem Mitgliedstaat in einen anderen aufweisen, als Probleme, die durch die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit nicht gelöst sind, sondern einer Lösung im Wege der Rechtssetzung oder des Vertragsschlusses bedürfen; eine solche wurde jedoch noch nicht gefunden. Unter diesen Umständen gewähren die Artikel 52 und 58 EWG-Vertrag beim derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts einer Gesellschaft, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet ist und in diesem ihren satzungsmässigen Sitz hat, nicht das Recht, den Sitz ihrer Geschäftsleitung in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen.
2. Die Richtlinie 73/148 zur Aufhebung der Reise – und Aufenthaltsbeschränkungen für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs betrifft nach Titel und Text nur Reise und Aufenthalt von natürlichen Personen. Aufgrund ihres Inhalts können ihre Bestimmungen auf juristische Personen nicht analog angewandt werden. Die Richtlinie 73/148 gibt daher einer Gesellschaft nicht das Recht, den Sitz ihrer Geschäftsleitung in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen.
Normenkette
EWGVtr Art. 52, 58; Richtlinie 73/148 des Rates
Beteiligte
Commissioners of Inland Revenue |
Tenor
1) Die Artikel 52 und 58 EWG-Vertrag gewähren beim derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts einer Gesellschaft, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet ist und in diesem ihren satzungsmässigen Sitz hat, nicht das Recht, den Sitz ihrer Geschäftsleitung in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen.
2) Die Richtlinie 73/148/EWG des Rates vom 21. Mai 1973 zur Aufhebung der Reise – und Aufenthaltsbeschränkungen für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs gibt einer Gesellschaft nicht das Recht, den Sitz ihrer Geschäftsleitung in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen.
Gründe
1 Mit Beschluß vom 6. Februar 1987, beim Gerichtshof eingegangen am 19. März 1987, hat der High Court of Justice, Queen's Bench Division, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag vier Fragen nach der Auslegung der Artikel 52 und 58 EWG-Vertrag und der Richtlinie 73/148/EWG des Rates vom 21. Mai 1973 zur Aufhebung der Reise – und Aufenthaltsbeschränkungen für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs (ABl. L 172, S. 14) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Daily Mail and General Trust PLC, Klägerin im Ausgangsverfahren (Klägerin), und dem britischen Finanzministerium, in dem insbesondere eine Erklärung des letzteren verlangt wird, die Klägerin bedürfe für die Verlegung ihres Sitzes aus dem Vereinigten Königreich in die Niederlande keiner wie auch immer gearteten Zustimmung kraft des britischen Steuerrechts.
3 Nach den Akten gestattet es das britische Gesellschaftsrecht einer Gesellschaft wie der Klägerin, die nach britischem Recht gegründet wurde und im Vereinigten Königreich ihren satzungsmässigen Sitz (registered office) hat, ihre Geschäftsleitung ausserhalb des Vereinigten Königreichs einzurichten, ohne ihre Rechtspersönlichkeit oder ihre Eigenschaft als Gesellschaft britischen Rechts zu verlieren.
4 Nach dem auf den vorliegenden Fall anwendbaren britischen Steuerrecht unterliegen im allgemeinen nur die Gesellschaften, die ihren steuerlichen Sitz im Vereinigten Königreich haben, der britischen Körperschaftsteuer. Der steuerliche Sitz ist als Ort des Sitzes der Geschäftsleitung definiert.
5 Das britische Einkommen – und Körperschaftsteuergesetz 1970 verbietet in Section 482 (1) (a) den Gesellschaften mit steuerlichem Sitz im Vereinigten Königreich, diesen Sitz ohne Zustimmung des Finanzministeriums aufzugeben.
6 Die Klägerin, eine Holding – und Investitionsgesellschaft, beantragte 1984 die vorgenannte Zustimmung zur Verlegung des Sitzes ihrer Geschäftsleitung in die Niederlande. Deren Recht steh...