Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufgabe der Milcherzeugung gegen eine öffentliche Vergütung ist keine Dienstleistung
Leitsatz (amtlich)
Bei dem Verfahren ging es um die Frage, ob die Aufgabe der Milcherzeugung durch einen Landwirt eine Dienstleistung nach Artikel 6 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie darstellt und ob die hierfür erhaltene Vergütung Entgelt im Sinne des Artikels 11 der 6. EG-Richtlinie ist. Der Bundesfinanzhof, der das Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet hatte, neigte dazu, einen steuerbaren Leistungsaustausch anzunehmen.
Der EuGH hat entschieden, daß die Verpflichtung zur Aufgabe der Milcherzeugung, die ein Landwirt zum Erhalt einer öffentlichen Vergütung eingeht, keine Dienstleistung darstellt. Die erhaltene Vergütung ist demnach nicht umsatzsteuerpflichtig. Der EuGH begründet dies im wesentlichen damit, daß es im vorliegenden Fall keinen Verbrauch der Leistung im Sinne des gemeinschaftlichen Mehrwertsteuersystems gegeben habe.
Beteiligte
Gründe
Urteil des Gerichtshofes
(Fünfte Kammer)
„Mehrwertsteuer – Begriff der Dienstleistung – Endgültige Aufgabe der Milcherzeugung – Aufgrund der Verordnung (EWG) Nr. 1336/86 erhaltende Vergütung”
In der Rechtssache C-215/94
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom Bundesfinanzhof in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Jürgen Mohr
gegen
Finanzamt Bad Segeberg
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 6 Absatz 1 und Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie des Rates (77/388/EWG) vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (Abl. L 145, S. 1)
erläßt
Der Gerichtshof
(Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten D. A. O. Edward, der Richter J.-P. Puissochet, J. C. Moitinho de Almeida, C. Gulmann (Berichterstatter) und L. Sevón,
Generalanwalt: F. G. Jacobs
Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
der deutschen Regierung, vertreten durch Ministerialrat Ernst Röder und Oberregierungsrat Bernd Kloke, Bundesministerium für Wirtschaft, als Bevollmächtigte,
der französischen Regierung, vertreten durch Catherine de Salins, stellvertretende Direktorin in der Direktion für Rechtsfragen des Außenministeriums, und Jean-Louis Falconi, Sekretär für Auswärtige Angelegenheiten in derselben Direktion, als Bevollmächtigte,
der italienischen Regierung, vertreten durch Umberto Leanza, Leiter des Servizio del contenzioso diplomatico des Außenministeriums, und Maurizio Fiorilli, Avvocato dello Stato, als Bevollmächtigte,
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Jürgen Grunwald, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigten,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen des Jürgen Mohr, vertreten durch Steuerberater Ronald Hansen, Hamburg, des Finanzamts Bad Segeberg, vertreten durch Ministerialrat Rolf Karl Krauß, Ministerium für Finanzen und Energie des Landes Schleswig-Holstein, Kiel, als Bevollmächtigten, der deutschen Regierung, vertreten durch Bernd Kloke, der französischen Regierung, vertreten durch Frédéric Pascal, Chargé de mission in der Direktion für Rechtsfragen des Außenministeriums, als Bevollmächtigten, und der Kommission, vertreten durch Jürgen Grunwald, in der Sitzung vom 12. Oktober 1995,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 23. November 1995,
folgendes
Urteil
1 Der Bundesfinanzhof hat mit Beschluß vom 21. April 1994, beim Gerichtshof eingegangen am 25. Juli 1994, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung von Artikel 6 Absatz 1 und Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie des Rates (77/388/EWG) vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (Abl. L 145, S. 1, im folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Jürgen Mohr (im folgenden: Kläger) und dem Finanzamt Bad Segeberg (im folgenden: Beklagter).
3 Der Kläger war Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebes, in dem er Milchvieh hielt. Im März 1987 stellte er beim Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft einen Antrag auf Gewährung einer Vergütung aufgrund der Verordnung (EWG) Nr. 1336/86 des Rates vom 6. Mai 1986 zur Festsetzung einer Vergütung bei der endgültigen Aufgabe der Milcherzeugung (Abl. L 119, S. 21). In seinem Antrag verpflichtete er sich zur Aufgabe der Milcherzeugung und verzichtete darauf, einen Anspruch auf eine Milchreferenzmenge im Rahmen der gemeinsamen Marktorganisation geltend zu machen.
4 Am 23. September 1987 gab das Bundesamt seinem Antrag statt und gewährte ihm eine Vergütung in Höhe von 385 980 DM, die in einem Betrag gezahlt wurde. In der Folge verkaufte der Kläger sein ...