rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch eines Rechtsanwalts auf Kostenerstattung nach § 77 EStG
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Frage, ob die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten oder Beistandes im Sinne des § 77 Abs. 2 EStG notwendig ist, ist aus der Sicht eines verständigen Bürgers vom Wissens- und Erkenntnisstand des Rechtsbehelfsführers zu beurteilen. Bei der Entscheidung hierüber sind die zu § 139 Abs. 3 S. 3 FGO entwickelten Kriterien entsprechend heranzuziehen.
2. Ein verständiger Bürger wird zur Einreichung der Belege für den erforderlichen Nachweis eines kindergeldrechtlichen Status bei der Familienkasse keinen Rechtsanwalt beauftragen, sondern die Belege selbst einreichen. Anders verhält es sich nur dann, wenn die Familienkasse den Kindergeldberechtigten in verfahrensrechtlicher Hinsicht mit erheblichen Unsicherheiten belastet und nicht klar erkennbar ist, ob die geforderte Hereingabe von Unterlagen die rechtlichen Belange des Kindergeldberechtigten in vollem Umfang zu wahren vermag.
3. Der Anspruch nach § 77 Abs. 2 EStG hat weder Strafcharakter, noch ist er eine Form des Schadensersatzes oder Schmerzensgeld, sondern ein Aufwendungsersatzanspruch.
4. Handelt ein Rechtsanwalt im Kindergeldverfahren in eigener Angelegenheit, wird er behandelt wie jeder andere Bürger auch und kann nicht nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz abrechnen.
Normenkette
EStG § 77 Abs. 2; FGO § 139 Abs. 3 S. 3
Tenor
1. Die Beklagte wird unter Aufhebung der Kostenentscheidung im Bescheid 14. September 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. Oktober 2009 verpflichtet, gegenüber dem Kläger erstattungsfähige Kosten in Höhe von 1,00 EUR festzusetzen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Frage, ob und in welcher Höhe die Beklagte (die Familienkasse –FK–) an den Kläger im Rahmen eines Einspruchsverfahrens entstandene Kosten nach § 77 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu erstatten hat.
Der Kläger ist Rechtsanwalt und Vater des am xx.xx. 1984 geborenen Sohnes A 1. Nach Ablegung des Abiturs im Juni 2003 absolvierte A 1 von Oktober 2003 bis Juni 2004 seinen neunmonatigen Grundwehrdienst. Im Juli 2004 reichte der Kläger die Bescheinigung über das Ende des Grundwehrdienstes ein (Bl. 68 der Kindergeldakte –KiG-A–). Im November 2004, März 2005, Oktober 2006, Mai 2007, Oktober 2007 und Mai 2009 reichte der Kläger Immatrikulationsbescheinigungen für A 1 ein; danach studierte A 1 zumindest bis einschließlich Sommersemester 2009 an der Universität X (TH) Elektro-/Informationstechnik.
Gleichwohl hob die FK mit einem nicht bei der KiG-Akte befindlichen Bescheid vom 18. Juni 2009 (Bl. 8 der Gerichtsakte –GA–) die Kindergeldfestsetzung ab Juli 2009 auf, obwohl aufgrund der vorliegenden Nachweise bereits aktenkundig war, dass A 1 neun Monate Wehrdienst geleistet hatte. Mit seinem Einspruch vom 30. Juni 2009 legte der Kläger nochmals die Wehrdienstbescheinigung und die Ausbildungsnachweise bei. Die FK half daraufhin durch Bescheid vom 3. Juli 2009 dem Einspruch ab und setzte Kindergeld ab Juli 2009 fest. Im Abhilfebescheid bat die FK darum, die Studienbescheinigung für das Wintersemester 2009/2010 „ab” (gemeint wohl: nach) Erhalt sofort zuzusenden, damit Kindergeld ab Oktober 2009 weitergezahlt werden könne.
Mit Kostenrechnung vom 7. Juli 2009 machte der Kläger Anwaltsgebühren für den Einspruch vom 30. Juni 2009 in Höhe von 97,94 EUR geltend, die ihm mit Verfügung vom 15. Juli 2009 von der FK ausgezahlt wurden.
Am 6. Juli 2009 reichte der Kläger die Erklärung zu den Einkünften und Bezügen von A 1 für das Jahr 2008 ein. Die FK forderte den Kläger daraufhin mit Schreiben vom 6. August 2009 (Bl. 136 KiG-A) auf, bis zum 25. September 2009 eine Studienbescheinigung für das Wintersemester 2009/2010 einzureichen und mitzuteilen, wie lange das Studium voraussichtlich noch dauern werde.
Unter dem 21. August 2009 erließ die FK einen –ebenfalls nicht bei der KiG-Akte befindlichen–Aufhebungsbescheid, mit dem sie das Kindergeld für A 1 für die Zeit ab Oktober 2009 aufhob. Wegen aller Einzelheiten des Bescheids wird auf Bl. 15 GA Bezug genommen. In der KiG-A befindet sich stattdessen ein Ausdruck einer Aufstellung über sog. „ZV-Schreiben”, aus dem ersichtlich ist, dass am 21. August 2009 ein Anschreiben „7D” nebst Anlagen „5,7E” betreffend den am xx.xx. 1984 geborenen „DOMIN” versandt wurde, sowie ein Musterschreiben an eine Frau „Mustermann”.
Mit seinem zweiseitigen Einspruchsschreiben vom 2. September 2009, das das Aktenzeichen E 808/09 erhielt und in dem eine Kostenrechnung über 95,56 EUR enthalten war, teilte der Kläger mit, die Studienbescheinigung für das Wintersemester 2009/2010 liege noch nicht vor. In einem vom Kläger ausgefüllten Vordruck der FK, der das Datum 8. Juni 2009 trägt, aber erst am 3. September 2009 bei der FK einging, teilte der Kläger mit, dass das Studium von A 1 voraussichtlich bis Frühjahr 2011 andau...