Entscheidungsstichwort (Thema)
Differenzkindergeld bei Kinderzulage des Schweizerischen Kantons Thurgau. Von Schweizer Arbeitgeber gewährte Familienzulage ist keine Familienleistung und nicht auf das deutsche Kindergeld anrechenbar
Leitsatz (redaktionell)
1. Kinderzulagen des Schweizerischen Kantons Thurgau sind mit dem deutschen Kindergeld vergleichbar und auf den deutschen Kindergeldanspruch anzurechnen.
2. Erhält ein in Deutschland ansässiger Elternteil, der in der Schweiz abhängig beschäftigt ist, nach Schweizer Recht eine Kinderzulage, ruht – entgegen § 65 Abs. 2 EStG – der deutsche Kindergeldanspruch nach den Verordnungen 1408/71/EWG und 574/72/EWG nur in Höhe der Differenz zur Kinderzulage.
3. Das Differenzkindergeld ist nur zu gewähren, wenn einem Elternteil Familienleistungen nach dem Recht des Beschäftigungslandes zustehen, während der andere Elternteil für dasselbe Kind im Wohnland Kindergeld beanspruchen kann.
4. Die von dem Schweizer Arbeitgeber geleistete Familienzulage ist als Gehaltsbestandteil keine Familienleistung, da sie nicht als staatliche Leistung der Allgemeinheit gewährt wird, und hat folglich keine Auswirkung auf die Höhe des deutschen Kindergeldanspruchs.
Normenkette
EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2, § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2, § 32 Abs. 1 Nr. 1, § 64; EGV Art. 249 Abs. 2; Verordnung 1408/71 EWG Art. 13 Abs. 1; Verordnung 574/72/EWG Art. 10 Abs. 1a
Nachgehend
Tenor
1. Der Kindergeldbescheid der Beklagten vom 19. März 2007 und die Einspruchsentscheidung der Beklagten vom 6. November 2007 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, über den Kindergeldantrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 EUR, darf die Vollstreckung nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe des darin festgesetzten Erstattungsbetrages erfolgen. In anderen Fällen kann der Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Höhe der Beklagte (die Familienkasse – FK –) dem Kläger Kindergeld für seinen Sohn (E) zu gewähren hat.
Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger mit Wohnsitz in (K), Bundesrepublik Deutschland (Deutschland). Mindestens seit dem 11. November 2005 ist er arbeitslos und bezieht Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II (sog. Arbeitslosengeld II; zum Werdegang des Klägers vgl. Bl. 24 ff. der Kindergeld-Akte – KiG-A –). Für den Kläger ist ein Betreuer bestellt (Bl. 15 KiG-A), dessen Aufgabenkreis die Vermögenssorge umfasst. Willenserklärungen des Klägers bedürfen keiner Einwilligung.
Der Kläger ist aufgrund Anerkennung der Vaterschaft (Urkunde des Sozial- und Jugendamts der Stadt K vom xx.xx.xxxx, Bl. 6 KiG-A) Vater des am xx.xx.xxxx geborenen E (Geburtsschein der Gemeinde R, Schweizerische Eidgenossenschaft – Schweiz – vom 18. Februar 2004, Bl. 5 KiG-A). Die Mutter des Kindes, (S), ebenfalls deutsche Staatsangehörige mit Wohnsitz in K, Deutschland, ist in der Schweiz als Logopädin nichtselbständig tätig. Mindestens seit Januar 2006 arbeitet sie in Teilzeit (42,42%) für die Volksschulgemeinde (A), von Februar 2006 bis Juli 2006 außerdem in Teilzeit (15%) für die Einheitsgemeinde (B) und ab August 2006 in Teilzeit (18%) für die Primar-Schulgemeinde (C). Aufgrund dieser Tätigkeiten ist S bei der Schweizerischen Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) sozialversichert und erhielt von den Arbeitgebern außerdem die folgenden Sozialzulagen ausgezahlt: Familienzulagen gemäß § 6 Nr. 2, § 19 Abs. 1 der Verordnung des Großen Rates des Kantons Thurgau über die Besoldung des Staatspersonals vom 18. November 1998 (Thurgauer Rechtsbuch Nr. 177.22, im Internet abrufbar unter http://www.rechtsbuch.tg.ch; – ThBesVO –) sowie Kinderzulagen im Sinne des § 6 Nr. 2, § 18 ThBesVO i.V.m. § 8 des Gesetzes des Kantons Thurgau über die Kinder- und Ausbildungszulagen vom 29. September 1986 (Thurgauer Rechtsbuch Nr. 836.1, http://www.rechtsbuch.tg.ch; – ThKiZG –), jeweils in Verbindung mit § 11 S. 1 der Verordnung des Grossen Rates des Kantons Thurgau über die Besoldung der Lehrkräfte (Thurgauer Rechtsbuch Nr. 177.250, http://www.rechtsbuch.tg.ch; – ThLKrBesVO –).
E ist in den Haushalt der S in K aufgenommen. S erhält jedoch für E kein deutsches Kindergeld: Den Antrag der S vom 1. Februar 2007, ihr für E Kindergeld zu gewähren (Bl. 39 der KiG-A), lehnte die FK am 22. Februar 2007 ab. Den Einspruch der S (Bl. 44 KiG-A) wies die FK durch Einspruchsentscheidung vom 14. März 2007 (Bl. 3 Akte 14 K 61/07) als unbegründet zurück, weil nach Art. 13 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 1...