Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückforderung von Kindergeld. unterlassene Anfechtung des fehlerhaften Rückforderungsbescheids führt nicht zur Erlassunwürdigkeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Antrag auf Erlass wegen sachlicher Unbilligkeit kann nicht allein darauf gestützt werden, dass eine bestandskräftige Steuerfestsetzung (hier: Aufhebung der Kindergeldfestsetzung) falsch sei.
2. Dass der Schuldner den Rückforderungsbescheid nicht angefochten hat, ist kein bei der Frage der Erlasswürdigkeit zum Nachteil des Schuldners zu berücksichtigender Umstand. Bei dieser Frage geht es vielmehr darum, ob der Schuldner seine Einkunfts- und Vermögenssituation, die ihm die Begleichung des Rückforderungsbetrags unmöglich macht, vorwerfbar verschuldet hat.
3. Nachgehend: BFH, Urteil v. 7.7.2019, III R 64/18.
Normenkette
AO §§ 227, 5; FGO § 102
Tenor
1. Der Bescheid vom 7. März 2017 und die Einspruchsentscheidung vom 12. Juni 2017 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, den Erlassantrag des Klägers vom 29. September 2016 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger hatte für seinen Sohn X. Kindergeld erhalten. Mit Bescheid vom 24. November 2011 hatte die Familienkasse die Festsetzung des Kindergelds ab April 2007 aufgehoben und überzahltes Kindergeld für den Zeitraum April 2007 bis Dezember 2009 in Höhe von 5.302 EUR zurückgefordert. Der Einspruch des Klägers vom 28. November 2012 war mit Einspruchsentscheidung vom 13. März 2013 wegen Verfristung als unzulässig verworfen worden.
Mit Email vom 26. September 2016 beantragte der Kläger, die Forderung in Höhe von 7.819 EUR (Ursprungsforderung nebst Ratenplanzins und Säumniszuschlägen) zu erlassen. Er habe nur eine Rente wegen Erwerbsminderung in Höhe von 822,10 EUR und eine Rente der Zusatzversorgungskasse in Höhe von 184,56 EUR. Seine Ehefrau sei krank und habe kein eigenes Einkommen. Sein Sohn habe die Ausbildung nicht abgebrochen, sondern im Januar 2010 abgeschlossen, das Kindergeld sei somit zu Recht bezogen worden. Der eigenhändig unterschriebene Erlassantrag wurde am 29. September 2016 nachgereicht; diesem waren die Abschlusszeugnisse des Sohnes beigefügt. Unter dem 16. Januar 2017 wurde der ausgefüllte Fragebogen zur Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nachgereicht.
Mit Bescheid vom 7. März 2017 lehnte die Agentur für Arbeit Y den Erlass der Forderung in Höhe von 7.819 EUR ab. Zur Begründung heißt es, die Erlasswürdigkeit sei zu verneinen, weil die Forderung auf Grund der Verletzung der Mitwirkungspflichten des Klägers entstanden sei. Die Nachweise über die Fortdauer bzw. das Ende der Berufsausbildung seien nicht bzw. nicht fristgerecht eingereicht worden. Auf die Erlassbedürftigkeit brauche somit nicht eingegangen werden. Gründe für eine sachliche Unbilligkeit seien weder vorgetragen noch erkennbar.
Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 5. April 2017 Einspruch, den er als Einschreiben an die Beklagte sandte. Der Kläger machte geltend, es liege eine sachliche Unbilligkeit vor, da sein Sohn die Ausbildung tatsächlich abgeschlossen habe. Das Kindergeld sei damit nicht zu Unrecht bezogen worden. Es sei außerdem zu berücksichtigen, dass sie bei einer Rente von ca.1006 EUR unterhalb der Grundsicherung des monatlichen Lebensunterhalts lägen und seine Ehefrau sehr krank und nicht erwerbsfähig sei. Vermögenswerte seien nicht vorhanden.
Mit Einspruchsentscheidung vom 12. Juni 2017 wies die Beklagte den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, ein Antrag auf Erlass wegen sachlicher Unbilligkeit könne nicht darauf gestützt werden, dass die bestandskräftige Aufhebung der Kindergeldfestsetzung unzutreffend sei. Es müsse erwartet werden, dass sich der Steuerpflichtige gegen unrichtige Steuerfestsetzungen im Rahmen der vorgesehenen Rechtsbehelfsfristen zur Wehr setze. Ein Ausgleich der Folgen, die durch schuldhafte Versäumung der Rechtsbehelfsfristen eingetreten seien, sei durch einen Billigkeitserlass nicht vorgesehen. Vorliegend habe der Kläger die Einspruchsfrist versäumt. Auch Wiedereinsetzungsgründe seien nicht vorgetragen worden. Eine persönliche Unbilligkeit liege vor, wenn Erlassbedürftigkeit und Erlasswürdigkeit gegeben seien. Eine Erlasswürdigkeit sei nicht gegeben, wenn der Steuerpflichtige die mangelnde Leistungsfähigkeit selbst herbeigeführt oder durch sein Verhalten in eindeutiger Weise gegen die Interessen der Allgemeinheit verstoßen habe. Dies sei insbesondere der Fall, wenn die Rückforderung auf das Verhalten des Berechtigten, d.h. auf die Verletzung der Mitwirkungspflicht zurückzuführen sei. Der Kläger sei seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen. Er habe trotz Aufforderung der Familienkasse keine Nachweise über die Fortdauer oder das Ende der Berufsausbildung für das Kind X. vorgelegt und auch keine Hinderungsgründe mitgeteilt. Da aus den genannten...