rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuerkarussell. Haftung. Kausalzusammenhang bei Vermögenslosigkeit. faktischer Geschäftsführer
Leitsatz (redaktionell)
1. Der für die Haftung nach § 71 AO erforderliche adäquate Kausalzusammenhang zwischen der Steuerhinterziehung und dem Steuerausfall ist nicht gegeben, wenn der Vermögensschaden des Fiskus mangels ausreichender Zahlungsmittel des Steuerpflichtigen unabhängig von der fristgerechten Abgabe der Steueranmeldung eingetreten wäre.
2. Die Haftung als faktischer Geschäftsführer nach § 35 AO i.V. mit § 69 AO tritt auch dann ein, wenn sich das Aufreten als Verfügungsberechtigter auf das Handeln gegenüber Gesellschaftern und Organen der Gesellschaft beschränkt. Ein Auftreten gegenüber Nichtgesellschaftern ist nicht erforderlich.
Normenkette
AO §§ 71, 191, 69, 34-35, 370 Abs. 1 Nrn. 1-2, Abs. 4 Sätze 1, 3, § 150 Abs. 1 S. 3, § 167 Abs. 1 S. 1, § 168 S. 1; UStG § 14 Abs. 2-3, § 18 Abs. 1-2
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Von Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte für die Zeit bis zum 21. April 2008 zehn vom Hundert der Gerichtskosten; im Übrigen – sowohl für die Zeit bis zum 21. April 2008 als auch für die Zeit danach – trägt allein der Kläger die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird festgesetzt
- für die Zeit bis zum 21. April 2008 auf 366.139,63 Euro und
- für die Zeit ab dem 21. April 2008 auf 330.568,28 Euro.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger eine Steuerhinterziehung begangen oder an einer solchen Tat teilgenommen hat und deshalb gemäß § 71 der Abgabenordnung (AO 1977) für die verkürzten Steuern haftet.
Das Landgericht X verurteilte den Kläger wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe. Es hatte festgestellt, dass der Kläger im Juni 1996 die … (künftig: E) mit Sitz in Spanien (A) gegründet hatte (S. 19 der Gründe). Gegenstand des Unternehmens sei der Handel mit Central Processing Units (CPU) gewesen (S. 19). Zu Beginn des Jahres 1998 habe sich der Kläger entschlossen, sog. Karussellgeschäfte zu betreiben (S. 20). Dabei sollten die CPU von einer … GmbH mit Sitz in C (künftig: H) an die E in Spanien geliefert werden, von der E zunächst an einen Zwischenhändler in Deutschland, von diesem wiederum an die H (S. 20 f.). Die H und der Zwischenhändler sollten die Preise mit den jeweils marktüblichen Beträgen bestimmen (S. 21, ferner S. 25, 41, 47, 59, 60 f., 65). Die H sollte deshalb den „üblichen Handelsaufschlag” anwenden (S. 21).
Der Zwischenhändler sollte ferner in seinen Rechnungen den auf das Entgelt entfallenden Steuerbetrag angeben, diesen jedoch nicht an das Finanzamt abführen, sondern – nach Abzug des für ihn bestimmten Anteils – an die E weiterleiten (S. 21). Auf diese Weise sollte der Vorsteuerabzug, den die H vornehmen sollte, „zu Geld gemacht” werden (S. 22, 60). Sollte das Finanzamt feststellen, dass der Zwischenhändler die Umsatzsteuer hinterzieht oder sonst gezielt verkürzt, sollte dieser von einem anderen Zwischenhändler ersetzt werden (S. 21).
Die E, der Zwischenhändler und die H hätten die Karussellgeschäfte allerdings immer erst dann abgeschlossen, wenn sie sich über den Warenkreislauf, der zwischen ihnen stattfinden sollte, im Einzelnen verständigt gehabt hätten, insbesondere über die Menge und den Preis (S. 25, 27, 34, 47, 60 f., 53, 65). Hierauf habe der Kläger – wegen der bei Karussellgeschäften geltenden „Zwangsläufigkeiten” – von vornherein seinen Einfluss ausüben müssen (S. 61).
Einen Teil der Ware habe die H jedoch nicht wieder an die E veräußert (S. 24). Insoweit habe die E weitere Ware bei einer Firma F erworben (S. 24). Die E habe die von ihr getätigten Geschäfte allerdings nicht mit ihrem Anfangsvermögen finanzieren können (S. 25 f., 42, 61: „Finanzierung der Ringgeschäfte”, 64, 65). Daher habe die H das von ihr geschuldete Entgelt noch vor der Lieferung der Ware an den Zwischenhändler gezahlt, der das gezahlte Geld – nach Abzug des für ihn bestimmten Anteils – sofort an die E weitergeleitet habe (S. 25, 32, 42, 61, 63, 64, 65). Die CPU seien allerdings lediglich zwischen einem Warenlager erst in den Niederlanden und später in Belgien und der Betriebsstätte der H in Ö hin- und her befördert worden (S. 26 f., 34, 47, 61, 63, 65).
Der Kläger habe mithin ein „pseudogeschäftliches Netzwerk” gegründet und geführt und sodann das Aufkommen aus der Umsatzsteuer erheblich geschädigt (S. 78).
Im Einzelnen stellte das Landgericht hierzu u. a. die folgenden Umstände fest:
Zunächst habe der Kläger den Angeklagten … A, einen Angestellten der H (künftig: A), als Gehilfen gewinnen können (S. 22). A habe – nachdem der Kläger ihn in seine Absichten eingeweiht und ihm einen Anteil an der Beute zugesagt gehabt habe – an den Karussellgeschäften mitgewirkt (S. 22, 70). A sei auch der „einzig wirklich wichtige und unentbehrliche Partner” des Klägers gewesen (S. 71). Dementsprechend habe der Kläger geäußert, ohne A und die H „könne er nicht leben” (S. 71).
Sodann habe der Kläger einen Herrn … M (künftig: M), ei...