rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung eines GmbH-Geschäftsführers für Umsatzsteuerschulden. Zeitpunkt für die Bestimmung der Tilgungsquote
Leitsatz (redaktionell)
1. Für den Umfang der Haftungsinanspruchnahme des Geschäftsführers einer GmbH gem. § 69 i. V. m. § 34 AO für Umsatzsteuerschulden der GmbH, die nach pflichtwidriger Nichtabgabe von Umsatzsteuererklärungen auf Schätzungsbescheiden beruhen, ist der Grundsatz der anteiligen Tilgung zu beachten.
2. Dabei ist für die Bestimmung des Umfangs der Möglichkeit der GmbH zur Gläubigerbefriedigung, der Tilgungsquote nicht auf den Zeitpunkt der tatsächlichen, sondern der – bei unterstellter ordnungsgemäßer Erklärungsabgabe – fiktiven Fälligkeit der Umsatzsteuerschulden und die Zeit danach abzustellen.
Normenkette
AO §§ 69, 34, 149 Abs. 2 S. 1, § 162 Abs. 1, § 90 Abs. 1, § 88; FGO § 76 Abs. 1; UStG § 18 Abs. 3
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob das Finanzamt A den Kläger als ehemaligen Geschäftsführer einer … GmbH mit Sitz in C (künftig: GmbH) für rückständige Umsatzsteuerverbindlichkeiten dieser Gesellschaft persönlich in Haftung nehmen kann.
Der … geborene Kläger, von Beruf …, war seit der Gründung der GmbH am … 1991 bis zu seiner Abberufung am … Oktober 2005 durch die Gesellschafterversammlung (vgl. UR-Nr. … des Notars … aus …) alleiniger Geschäftsführer der GmbH. Deren Unternehmensgegenstand war der „…”. Sie hatte zunächst ihren Sitz in D und wurde beim Amtsgericht E in das Handelsregister eingetragen.
Mit Vertrag vom … 1994 (UR-Nr. … der Notarin … aus …) trat die M als bisherige Alleingesellschafterin ihren kompletten Geschäftsanteil im Nennbetrag von 50 000 DM an den Kläger ab, der fortan auch Alleingesellschafter war. Mit Vertrag vom … 2005 (UR-Nr. … des Notars … aus …) trat der Kläger sämtliche Geschäftsanteile an der GmbH mit Änderung des Gewinnbezugsrechts bereits ab 1. Januar 2003 gegen Zahlung eines Kaufpreises in Höhe von 1 EUR an die N – GmbH mit Sitz in F ab.
Die GmbH erzielte folgende Umsätze und Betriebsergebnisse:
|
Umsatz |
Betriebsergebnis |
Nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag |
2002: |
288 741 EUR |
34 836 EUR |
50 650 EUR |
2003: |
239 071 EUR |
1 483 EUR |
49 131 EUR |
2004: |
200 091 EUR |
./. 21 944 EUR |
71 075 EUR |
2005 und 2006: Es liegen keine Jahresabschlüsse oder Steuererklärungen der GmbH vor.
Mit Beschluss der Gesellschafterversammlung vom … Oktober 2005 (UR-Nr. … des Notars … aus …) wurde die … geborene O aus C zur alleinigen Geschäftsführerin der GmbH bestellt und zugleich wurde der Sitz nach C verlegt.
Mangels Einreichung von Umsatzsteuerjahreserklärungen durch die GmbH ermittelte das zunächst für die Besteuerung der GmbH zuständige Finanzamt E die Besteuerungsgrundlagen für die Umsatzsteuer 2002 bis 2004 im Schätzungswege (§ 162 Abs. 1 der Abgabenordnung – AO 1977 –) und setzte die Umsatzsteuer wie folgt fest:
2002: |
7 174,00 EUR (Bescheid vom 5. August 2005) |
2003: |
9 404,70 EUR (Bescheid vom 5. August 2005) |
2004: |
9 170,16 EUR (Bescheid vom 6. März 2006) |
Mit Bescheid vom 18. Oktober 2006 erhöhte das nunmehr örtlich zuständige Finanzamt A aufgrund nachträglich eingereichter Unterlagen die Umsatzsteuer 2002 unter Berufung auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 auf 25 770,40 EUR. Mit Bescheid vom 14. November 2006 wurde die Umsatzsteuer 2003 unter Berufung auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 im Hinblick auf die Angaben der GmbH in ihrer im Juli 2006 eingereichten Steuererklärung auf 22 015,96 EUR heraufgesetzt. Mit Bescheid vom 3. November 2006 wurde die Umsatzsteuer 2004 unter Berufung auf § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 im Hinblick auf den von der GmbH gegen den Schätzungsbescheid eingelegten Einspruch und die gleichfalls im Juli 2006 eingereichte Steuererklärung auf 18 400,07 EUR erhöht.
Auf Antrag des Finanzamts A vom … Januar 2007 beschloss das Amtsgericht G am … September 2007 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH (Az.: …). Mit Beschluss vom … März 2007 hatte das Amtsgericht Rechtsanwalt P aus H bereits zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt.
Im Gutachten von Rechtsanwalt P im Rahmen des Insolvenzantragsverfahrens vom September 2007 heißt es u. a.:
„C. Rechtliche und wirtschaftliche Verhältnisse der Schuldnerin
…
II. Wirtschaftliche Verhältnisse
… Im Rahmen des ursprünglichen Geschäftsgegenstandes ist die Schuldnerin seit Ende 2005 nicht mehr aktiv tätig. Zur wirtschaftlichen Entwicklung der Schuldnerin lassen sich nur eingeschränkte Aussagen treffen. Es liegen lediglich Jahresabschlüsse für die Geschäftsjahre 2003 und 2004 vor. Der Verbleib sämtlicher Geschäftsunterlagen für die Geschäftsjahre 1991 bis 2005 konnte trotz intensiver Bemühungen nicht ermittelt werden. ….
III. Ursachen der Insolvenz
Das gesamte liquide Vermögen der Schuldnerin wurde vor Übertragung der Geschäftsführung an Frau O zur Rückführung von Verbindlichkeiten aufgezehrt. Die Schuldnerin...