Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflicht des Abwicklers einer Rechtsanwaltskanzlei zur Erfüllung der steuerlichen Pflichten lediglich für den Zeitraum der Bestellung als Abwickler. Adressierung eines an den Abwickler gerichteten Umsatzsteuerbescheids
Leitsatz (redaktionell)
1. Wer gemäß § 55 BRAO als Abwickler der Kanzlei eines ehemaligen Rechtsanwalts bestellt ist, ist Vermögensverwalter gemäß § 34 Abs. 3 AO bezogen auf das Kanzleivermögen und hat die steuerlichen Pflichten des ehemaligen Rechtsanwalts gemäß § 34 Abs. 1 AO bezogen auf das verwaltete Vermögen (die abzuwickelnde Kanzlei) und auf die Zeit der Bestellung als Kanzleiabwickler zu erfüllen. Der Abwickler muss daher bei bestehender Umsatzsteuerpflicht der abzuwickelnden Kanzlei Umsatzsteuer-Voranmeldungen und ggf. Umsatzsteuerjahreserklärungen nur für die Voranmeldungszeiträume abgeben, in denen er zum Abwickler bestellt ist; eine von ihm ggf. abzugebende Jahresumsatzsteuererklärung muss nur die Umsätze aus dem Zeitraum erfassen, in dem er in diesem Jahr zum Abwickler bestellt war.
2. Die Adressierung des Umsatzsteuerbescheides „Rechtsanwalt … als Abwickler i.S. § 55 Bundesrechtsanwaltsordnung der Kanzlei des ehemaligen Rechtsanwalts …” lässt erkennen, dass der Abwickler wie ein Gesamtrechtsnachfolger hinsichtlich des vom ihm verwalteten Vermögens und nicht wie ein Vertreter zu behandeln ist, und ist daher nicht zu beanstanden.
Normenkette
BRAO § 55 Abs. 1, 3, § 53 Abs. 10 S. 1; AO § 34 Abs. 1, 3, § 122 Abs. 1 S. 1, § 157 Abs. 1 S. 2
Tenor
Abweichend von dem Umsatzsteuerbescheid vom 27.03.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.06.2009 wird die Umsatzsteuer 2008 in Höhe von … EUR festgesetzt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Berechtigung des Beklagten, den Umsatzsteuerbescheid 2008 betreffend den ehemaligen Rechtsanwalt A. an den Kläger als Abwickler der Rechtsanwaltskanzlei bekanntzugeben und ihn zur Umsatzsteuer heranzuziehen.
Der Kläger wurde von der Rechtsanwaltskammer L. mit Bestellungsurkunde vom …10.2008 mit Wirkung ab diesem Tage bis zum …03.2009 gemäß § 55 Bundesrechtsanwaltsordnung – BRAO – als Abwickler der Rechtsanwaltskanzlei A. bestellt. Herr A. hatte seine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zurückgegeben. Damit bestand für die Abwicklung seiner Kanzlei, insbesondere der laufenden Mandate, das Bedürfnis, einen Abwickler zu bestellen. Die Bestellung als Abwickler wurde auf Antrag des Klägers mit Schreiben vom …03.2009 bis zum …07.2009 verlängert und endete mit Ablauf dieses Tages.
Der Beklagte setzte mit einem im Adressfeld an den Kläger gerichteten Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für das dritte Kalendervierteljahr 2008 vom 17.11.2008 eine Umsatzsteuer-Vorauszahlung in Höhe von … EUR zuzüglich eines Verspätungszuschlages in Höhe von … EUR „für Herrn A.” unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 Abgabenordnung – AO – fest.
Daraufhin legte der Kläger mit bei dem Beklagten am 27.11.2008 eingegangenen Schreiben Einspruch gegen den Vorauszahlungsbescheid ein. Zur Begründung berief er sich darauf, dass er als Abwickler der Kanzlei nicht für Umsatzsteuer-Voranmeldungen zuständig sei, deren Voranmeldungs-Zeiträume vor seiner Bestellung als Abwickler liegen würden. Er habe in der Funktion als Abwickler lediglich die für den Abwicklungszeitraum anfallenden Umsatzsteuer-Voranmeldungen zu leisten. Da er erst seit dem 06.10.2008 als Abwickler bestellt sei, sei dies auch erst die Umsatzsteuer-Voranmeldung für das vierte Kalendervierteljahr 2008. Für das dritte Kalendervierteljahr sei Herr A. weiter verantwortlich, der auch zu Handlungen in der Lage sei. Er, der Kläger, sei zudem an der Einreichung der Umsatzsteuer-Voranmeldung für das dritte Kalendervierteljahr 2008 schon deshalb gehindert, weil ihm die Buchhaltungsunterlagen für diesen Zeitraum nicht vorliegen würden. Er gehe nicht von einer wirksamen Zustellung des an ihn gerichteten Bescheides aus. Er werde auch keine Umsatzsteuer-Jahreserklärung für 2008 einreichen.
Die Umsatzsteuer-Voranmeldung für das vierte Kalendervierteljahr 2008 reichte der Kläger beim Beklagten ein und zahlte auch die sich ergebende Umsatzsteuerzahllast in Höhe von … EUR.
Am 27.03.2009 erließ der Beklagte einen Umsatzsteuer-Jahresbescheid 2008, mit dem er die Umsatzsteuer 2008 in Höhe von … EUR unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 AO festsetzte. Dabei schätzte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen, weil ihm keine Umsatzsteuer-Jahreserklärung 2008 vorlag. Auch diesen Bescheid richtete der Beklagte im Adressfeld an den Kläger und erwähnte, dass die Festsetzung „für Herrn A.” erfolge. Der Bescheid w...