Entscheidungsstichwort (Thema)
14 Monate nach dem Bewertungsstichtag erfolgter Grundstücksverkauf als neue Tatsache bei der „Bedarfsbewertung” im Hinblick auf den gemeinen Wert des Grundstücks am Bewertungsstichtag
Leitsatz (redaktionell)
1. Wird im Falle der Bedarfsbewertung der niedrigere gemeine Wert eines Grundstücks erst nach der Bestandskraft des Feststellungsbescheides geltend gemacht, kann dieser gemeine Wert nur berücksichtigt werden, wenn die Voraussetzungen einer Änderung des bestandskräftigen Feststellungsbescheides gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO erfüllt sind.
2. Bei einem Grundstücksverkauf zu einem Kaufpreis, der unter dem nach steuerlichen Bewertungsvorschriften ermittelten „Bedarfswert” des Grundstücks liegt, ist der niedrigere, im normalen Geschäftsverkehr zustandegekommene Kaufpreis auch dann eine neue Tatsache i. S. v. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO in Bezug auf den am Bewertungsstichtag bestehenden Verkehrswert des Grundstücks, wenn der Kaufvertrag nicht innerhalb eines Jahres, sondern erst rund 14 Monate nach dem Bewertungsstichtag abgeschlossen worden ist.
3. Hat die nicht durch einen Steuerberater vertretene Klägerin noch vor Ablauf der Einspruchsfrist gegen den urspünglichen Bescheid über die Feststellung des Grundbesitzwertes das streitige Grundstück verkauft, so kann ihr als steuerlicher Laiin kein grobes Verschulden angelastet werden, wenn sie –entsprechend den damaligen amtlichen Anleitungen zu den Steuererklärungen – dem Kaufvertrag bei der Feststellung des Grundbesitzwertes keine rechtserhebliche Bedeutung beigemessen hat, weil er nicht innerhalb eines Jahres nach dem Bewertungsstichtag abgeschlossen worden ist, und wenn sie deswegen nicht rechtzeitig Einspruch gegen den Feststellungsbescheid eingelegt hat.
Normenkette
AO § 173 Abs. 1 Nr. 2; BewG 1997 § 145 Abs. 3 S. 3, § 146 Abs. 7
Tenor
Der Beklagte wird verpflichtet, unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 26. Januar 2006 und der Einspruchsentscheidung vom 8. September 2006 den Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundstückswertes vom 11. Mai 2005 betreffend das bebaute Grundstück G.1, dahingehend zu ändern, dass der Grundstückswert auf 550.000 EUR festgestellt und der Klägerin ein Anteil in Höhe von 348.337 EUR zugerechnet wird.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin erwarb im Wege der Erbfolge nach dem am … März 2004 verstorbenen A dessen Miteigentumsanteil von … am Grundstück G.1. Als Grundlage für die Erbschaftsteuerfestsetzung erließ der Beklagte am 25. April 2005 für das Streitobjekt einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes zum … März 2004. Gegen diesen Bescheid, mit dem der Klägerin das Streitgrundstück irrtümlich insgesamt zurechnet wurde, legte die Klägerin mit beim Beklagten am 27. April 2005 eingegangenem Schreiben rechtzeitig Einspruch ein, mit dem sie (offenbar) beantragte, ihr den festgestellten Grundbesitzwert lediglich in Höhe ihres Miteigentumsanteils zuzurechnen. Dem folgte der Beklagte. Mit Bescheid vom 11. Mai 2005 änderte der Beklagte den Bescheid vom 20. April 2005 und stellte den Grundbesitzwert für das bebaute Grundstück für Zwecke der Erbschaftsteuer in Höhe von 688.500 EUR gesondert fest. Der Klägerin rechnete er daran einen Anteil von … in Höhe von … EUR zu. Der Berechnung legte der Beklagte statt des (niedrigeren) Ertragswerts im Sinne des § 146 Abs. 2 bis 5 Bewertungsgesetz – BewG – in der zum Eintritt des Erbanfalls geltenden Fassung (12,5 * erklärter Durchschnittsmiete 66.626 EUR abzüglich 25 % Alterswertminderung = 624.618 EUR) den Mindestwert in Höhe von 688.500 EUR gemäß § 146 Abs. 7 i. V. m. § 145 Abs. 3 BewG zugrunde. Der Ermittlung des Mindestwerts legte er 80 % des vom Gutachterausschuss für die Bewertung von Grundstücken auf den 1. Januar 1996 ermittelten Bodenrichtwerts (1.300 DM = 664,68 EUR * 0,8 =) 531,74 EUR/m² sowie eine Grundstücksgröße von 1.295 m² zugrunde. Gegen den Abhilfebescheid vom 11. Mai 2005 legte die steuerlich nicht beratene Klägerin keinen Einspruch ein, so dass dieser formell bestandskräftig wurde.
Mit notariellem Kaufvertrag vom … Juni 2005 veräußerten die Klägerin und die weitere Miteigentümerin, Frau B, das Streitgrundstück mit Lastenwechsel zum 1. Juli 2005 zum Kaufpreis von 550.000 EUR an C und D.
Mit dem beim Beklagten am 16. Januar 2006 eingegangenen Schreiben vom 12. Januar 2006 beantragte die Klägerin, den geänderten Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes vom 11. Mai 2005 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Abgabenordnung – AO – zu korrigieren und den Grundbesitzwert auf 550.000 EUR herabzusetzen und ihr anteilig (…) zuzurechnen. Zur Begründung führte sie aus, dass de...