rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Umfang der Haftung des Vorstandsmitglieds einer AG als Steuerhinterzieher. Scheingeschäfte. Hinterziehungserfolg. Umsatzsteuerhinterziehung auf Dauer. Örtliche Zuständigkeit für den Erlass eines Haftungsbescheids. Haftung für Umsatzsteuer Februar bis Mai 1999
Leitsatz (redaktionell)
1. Das für den kaufmännischen Bereich zuständige Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft begeht eine Steuerhinterziehung, wenn es in einer Umsatzsteuervoranmeldung der AG wissentlich Vorsteuerbeträge aus Scheinrechnungen geltend macht.
2. Der Hinterziehungserfolg entfällt nicht dadurch, dass der Rechnungsaussteller seinerseits hinsichtlich der Scheingeschäfte Umsatzsteuer angemeldet und abgeführt hat.
3. Beabsichtigt der Täter von vornherein, keine zutreffende Umsatzsteuerjahreserklärung abzugeben, so kann die Abgabe unrichtiger Umsatzsteuer-Voranmeldungen ausnahmsweise als Steuerhinterziehung auf Dauer anzusehen sein.
4. Eine vollumfängliche Haftung kommt nur in Betracht, soweit die unberechtigt angemeldeten Vorsteuerbeträge zur Auszahlung gelangt sind. Hingegen ist nur eine quotale Haftung in Höhe der anteiligen Tilgungsquote gerechtfertigt, soweit die unberechtigt angemeldeten Vorsteuern lediglich zu einer Verminderung der Zahllast geführt haben, indem sie von der Umsatzsteuer abgesetzt worden sind.
5. Für den Erlass eines Haftungsbescheids ist wegen des Sachzusammenhangs regelmäßig das für den Steuerschuldner zuständige Finanzamt örtlich zuständig.
Normenkette
AO 1977 §§ 71, 191 Abs. 1 S. 1, § 370 Abs. 1 Nr. 1, § 24
Nachgehend
Tenor
Abweichend von dem Haftungsbescheid vom 29.06.2000 und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 18.01.2001 wird der Haftungsbetrag auf 494.275,65 EUR (= 966.719,14 DM) festgesetzt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger zu 85 %, dem Beklagten zu 15 % auferlegt.
Die Kostenentscheidung ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Beschluss:
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.
Tatbestand
Der Kläger ist seit dem 10.06.1997 Vorstandsmitglied der X.. Telecommunication AG (im folgenden: X.-AG).
Auf eine Anfrage des bis dahin zuständigen Finanzamtes L… teilte die X.-AB mit Schreiben vom 15.09.1999, unterzeichnet durch den Kläger, mit, die Gesellschaft habe ihre Betriebsstätte am 01.05.1999 nach M… verlegt. Auf Nachfrage des Finanzamtes ergänzte der Kläger mit Schreiben vom 05.10.1999, M… sei der Ort der Geschäftsleitung. Dort würden der Geschäftsbetrieb ausgeübt und auch die kaufmännischen Bücher geführt. Weder würden Betriebsstätten unterhalten noch gehöre die Gesellschaft einem Konzern oder einer Unternehmensgruppe an. Bei einer Überprüfung durch den Beklagten vom 06.01.2000 wurden unter der angegebenen Adresse, einem großen Neubau, ein Firmenschild der X.-AG sowie Briefkasten und Klingel vorgefunden. Mit Schreiben vom 18.02.2000 erteilte der Beklagte dem Finanzamt Körperschaften I L… eine Zustimmung gemäß § 26 Satz 2 der Abgabenordnung (AO), die laufenden Verwaltungsverfahren dort durchzuführen.
Die X.-AG reichte am 28.09.1999 die Umsatzsteuer-Voranmeldungen für die Monate Februar bis April 1999 und am 12.11.1999 die für Mai 1999 beim Finanzamt ein. Unterschrieben waren die Anmeldungen durch den Kläger. Die angemeldeten Vorsteuerbeträge, denen Rechnungen der Fa. „A… & Partner – Gesellschaft für Unternehmens- und Fördermittelberatung mbH” (im folgenden: Fa. A…) in Höhe von insgesamt 7.132.230,– DM zugrunde lagen, betrugen für
Februar: |
340.225,81 DM, |
März: |
286.328,52 DM, |
April: |
286.558,19 DM und |
Mai: |
285.686,08 DM. |
Dadurch ergaben sich folgende Vorauszahlungsbeträge:
Februar: |
./. 273.769,91 DM, |
März: |
./. 240.246,46 DM, |
April: |
./. 210.972,05 DM und |
Mai: |
./. 241.730,72 DM |
Zusammen: |
966.719,14 DM. |
Am 02. und 03.11.1999 erteilte das Finanzamt seine wegen der sich ergebenden Erstattungsbeträge notwendige Zustimmung gemäß § 168 Satz 2 AO zu den Steueranmeldungen für Februar bis April 1999 und am 25.11.1999 zu der vom Mai 1999.
Im Rahmen einer Fahndungsprüfung für den Zeitraum von Januar bis Juni 1999 bei der X.-AG kam das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen L… in seinem Bericht vom 29.03.2000 zu dem Ergebnis, die X.-AG habe die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen 1999 in folgender Höhe zu niedrig angemeldet:
Februar: |
326.044,80 DM, |
März: |
271.704,– DM, |
April: |
271.704,– DM und |
Mai: |
271.704,– DM. |
Es stellte fest, den Rechnungen der Fa. A… läge kein entsprechendes Rechtsgeschäft zugrunde, so dass es sich um Scheinrechnungen handele. Eine Lieferung von Datensätzen, wie sie aus den Rechnungen hervorgehe, sei nicht erfolgt. Die Fa. A… sei nach ihren Feststellungen auch zu ...