rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinterziehungszinsen auf Kindergeldrückforderung. bedingter Vorsatz bei der Nichtmitteilung des Abbruchs der Berufsausbildung der Tochter infolge der Geburt eines eigenen Kindes und der anschließenden Elternzeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Es bestehen ernstliche Zweifel am Vorliegen einer Steuerhinterziehung als Voraussetzung für die Festsetzung von Hinterziehungszinsen auf eine Kindergeldrückforderung, wenn zum einen die Steuerpflichtige behauptet, die Familienkasse anders als von dieser behauptet frühzeitig über den Abbruch der Berufsausbildung der volljährigen Tochter infolge der Geburt eines eigenen Kindes und der anschließenden Elternzeit informiert zu haben, und wenn zum anderen nicht feststeht, dass die Steuerpflichtige ggf. die erforderliche Mitteilung über den Abbruch der Berufsausbildung und die anschließende Elternzeit der Tochter zumindest mit bedingtem Vorsatz unterlassen hat.
2. Eine vorsätzliche Begehung in Form des bedingten Vorsatzes setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen wenigstens mit ihr abfindet, mag ihm auch der Erfolgseintritt an sich unerwünscht sein. Bei § 370 Abs. 1 AO muss sich der Vorsatz auf den nicht gerechtfertigten Steuervorteil und den Zurechnungszusammenhang erstrecken.
3. Bei dem Unterlassungsdelikt des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO muss der Täter ernsthaft für möglich halten und billigen, dass die Finanzbehörde keine Kenntnis von den steuerlich erheblichen Tatsachen hat, er die Aufklärung gleichwohl unterlässt und dadurch als Taterfolg eine Steuerverkürzung oder ein ungerechtfertigter Steuervorteil eintritt. Wer dagegen etwas vergisst oder wegen Unkenntnis der Steuerrechtslage erst gar nicht an die Abgabe einer Erklärung denkt, unterlässt nicht vorsätzlich, sondern gegebenenfalls nur fahrlässig (Anschluss an Kammergericht Berlin, Beschluss v. 14.12.2016, (4) 121 Ss 175/16 (205/16)).
4. Es bestehen ernstliche Zweifel am Vorliegen eines bedingten Vorsatzes der Steuerpflichtigen bezüglich der Nichtmitteilung kindergeldrelevanter Tatsachen, wenn es möglich erscheint, dass die Steuerpflichtige ein umfangreiches, u.a. die streitigen Pflichten zur Mitteilung des Ausbildungsabbruchs infolge eigener Elternschaft des Kindes an die Familienkasse enthaltendes Merkblatt nicht erhalten, nicht gelesen oder nicht richtig verstanden hat.
Normenkette
AO § 370 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 S. 2, § 235 Abs. 1 S. 1; EStG § 68 Abs. 1 S. 1; FGO 69 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1; StGB § 15
Tenor
Die Vollziehung des Bescheides über die Festsetzung von Hinterziehungszinsen vom 15. März 2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23. August 2016 wird bis zum Ablauf eines Monats nach Abschluss des Verfahrens 4 K 903/16 ausgesetzt.
Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.
Tatbestand
I.
Die Antragstellerin bezog für ihre am 17. September 1994 geborene Tochter B Kindergeld. Am 18. August 2015 teilte sie der Antragsgegnerin telefonisch mit, dass B ihre Berufsausbildung abgebrochen habe. Im Anschluss an die Geburt eines eigenen Kindes am 21. Oktober 2014 habe sie sich für ein Jahr in Elternzeit befunden. In der im September 2015 bei der Antragsgegnerin eingegangenen „Erklärung zum Ausbildungsverhältnis” bestätigt der Ausbildungsbetrieb, dass das Ausbildungsverhältnis am 4. April 2013 beendet worden sei. Die Erklärung enthält an dieser Stelle den handschriftlichen Zusatz „wurde Kindergeldstelle mitgeteilt”.
Daraufhin hob die Antragsgegnerin die Kindergeldfestsetzung mit Bescheid vom 16. Oktober 2015 ab Mai 2013 auf und forderte das danach überzahlte Kindergeld für die Zeit von Mai 2013 bis Juli 2015 i.H.v. 5833 EUR von der Antragstellerin zurück. Dieser Bescheid ist bestandskräftig.
Weil die Antragstellerin nach Ansicht der Antragsgegnerin ihre Mitwirkungspflicht verletzt habe und deshalb hinsichtlich des Rückforderungsbetrages eine Steuerhinterziehung vorliege, setzte sie mit Bescheid vom 15. März 2016 Hinterziehungszinsen i.H.v. 420 EUR fest.
Dagegen hat die Antragstellerin Einspruch eingelegt, zu dessen Begründung sie unter anderem ausführte, sie sei – nach einem Eintrag in ihren Unterlagen – ihrer Mitteilungspflicht bereits im April 2013 nachgekommen und habe die Antragsgegnerin schriftlich darüber informiert, dass B die Ausbildung aufgrund ihrer Schwangerschaft habe vorzeitig beenden müssen.
Nachdem ihr Einspruch als unbegründet zurückgewiesen worden war, hat die Antragstellerin zum Aktenzeichen 4 K 903/16 Klage erhoben, über die noch nicht entschieden worden ist, und im vorliegenden Verfahren die Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Bescheide beantragt, nachdem die Antragsgegnerin einen entsprechenden Antrag abgelehnt hatte.
Zur Begründung macht die Antragstellerin im Wesentlichen geltend, sie habe allenfalls leichtfertig, aber nicht vorsätz...