Entscheidungsstichwort (Thema)
Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten bei Vereinbarung von Abfindungsbeträgen im Erbfall
Leitsatz (redaktionell)
Verzichten die nach einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament mit Pflichtteilsklausel als Schlusserben eingesetzten Abkömmlinge gegen Vereinbarung einer erst mit dem Anfall des Schlusserbes fälligen Abfindungszahlung auf die Geltendmachung ihrer Pflichtteilsansprüche gegenüber dem überlebenden Ehegatten, so können sie die hieraus resultierende Erblasserschuld nicht nachlassmindernd vom Schlusserbe abziehen, da in der Fälligkeitsbestimmung auf den Zeitpunkt des Zusammentreffens von Recht und Verbindlichkeit ein nicht durch außersteuerliche Gründe gerechtfertigter Gestaltungsmissbrauch liegt.
Normenkette
ErbStG § 1 Abs. 1 Nr. 1, §§ 3, 10, 16 Abs. 1, § 17 Abs. 1, § 27; BGB § 1967 Abs. 2, § 2303 Abs. 1; AO § 42
Streitjahr(e)
2003
Nachgehend
Tatbestand
Die Kläger sind die Kinder der Eheleute A und B . Diese errichteten am 20. November 1980 ein gemeinschaftliches Testament, mit dem sie sich gegenseitig als Erben einsetzten. Erben des Überlebenden von ihnen sollten die Kläger zu gleichen Teilen sein. Unter 3. des Testaments bestimmten die Eltern der Kläger:
„Falls eines unserer Kinder beim Tode des Erstversterbenden den Pflichtteil begehrt, soll es beim Tode des Überlebenden von uns auch nur den Pflichtteil erhalten”.
Der Vater der Kläger verstarb zwischen dem 17. und 18. November 1996. Am 18. Dezember 1996 unterzeichneten die Kläger und ihre Mutter eine Vereinbarung folgenden Inhalts:
„Die Parteien vereinbaren, dass Frau B an die Erschienenen zu 2. und 3. - ihre Kinder - je einen Abfindungsbetrag in Höhe von DM 100.000 zahlt. Dieser Abfindungsbetrag wird von Frau B dafür gezahlt, dass Frau C und Herr D auf die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen nach dem am 18. November 1996 verstorbenen Vater verzichten. Die jeweiligen Abfindungsbeträge sind fällig zur Zahlung nach dem Ableben von Frau B „.
Die Mutter der Kläger machte die Abfindungsbeträge als Nachlassverbindlichkeiten geltend. Dies lehnte das seinerzeit für die Besteuerung noch zuständige Finanzamt mit Schreiben vom 16. April 1998 unter Hinweis darauf ab, dass die Abfindungszahlungen erst nach ihrem Ableben zu berücksichtigen seien und dann zum Nutzen ihrer Erben zu einer Änderung der Steuerfestsetzung führen würden. Dementsprechend setzte das Finanzamt gegen die Mutter der Kläger letztmalig mit Bescheid vom 17. August 1998 Erbschaftsteuer fest, ohne die Abfindungsbeträge erwerbsmindernd zu berücksichtigen. Dabei ging es von einem steuerpflichtigen Erwerb von (abgerundet) 72.300 DM aus.
Die Mutter der Kläger (Erblasserin) verstarb am 21. November 2000 und wurde ausweislich des Erbscheins des Amtsgerichts vom 2. Februar 2001 von den Klägern zu jeweils 1/2 Anteilen beerbt. In seiner Erbschaftsteuererklärung vom 10. Oktober 2001 machte der Kläger unter anderem die Abfindungsbeträge von insgesamt 200.000 DM als Nachlassverbindlichkeiten geltend. Dem folgte das beklagte Finanzamt nicht und setze gegen die Kläger mit Bescheiden vom 29. Oktober 2001 jeweils 31.185 DM Erbschaftsteuer fest.
Mit ihrem gegen diese Bescheide eingelegten Einspruch machten die Kläger geltend: Die Erblasserin habe ihnen nach dem Tode ihres Vaters eine Abfindung von jeweils 100.000 DM zugesagt. Diese Beträge seien nicht ausgezahlt, sondern auf Grund der mit ihr abgeschlossenen Vereinbarung erst nach ihrem Ableben zur Zahlung fällig gestellt worden. Sie sei mit ihnen übereingekommen, dass ihnen als Kinder nach dem Tode ihres Vaters ein Pflichtteil habe zustehen sollen. Dementsprechend sei eine einvernehmliche Regelung über den Pflichtteil getroffen worden, ohne dass der Schutzzweck der Strafklausel des gemeinschaftlichen Testaments berührt worden wäre. Wären die 200.000 DM seinerzeit ausgezahlt worden, wäre der ihnen verbliebene Nachlass entsprechend geringer. Gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 4 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) seien die Beträge als von ihrem Vater zugewendet anzusehen und könnten nicht nochmals als von der Erblasserin vererbt angesetzt werden.
Nachdem das beklagte Finanzamt die Erbschaftsteuer gegen die Kläger mit Bescheiden vom 20. März 2002 wegen zwischenzeitlich erfolgter Feststellung des Grundbesitzwertes für das zum Nachlass gehörende Grundstück V auf jeweils 15.832 € neu festgesetzt hatte, wies es ihre Einsprüche mit Entscheidungen vom 16. Dezember 2002 zurück. Zur Begründung führte es aus: Ein Verzicht auf die Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs könne steuerlich nur anerkannt werden, wenn er seinen Rechtsgrund im Erbrecht habe. Dies setze voraus, dass er tatsächlich zur Abwendung der Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs vereinbart worden sei. Es bestünden jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Erblasserin die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen haben abwenden müssen. Auf Grund der testamentarischen Anordnungen habe sie nicht ernstlich ...