Entscheidungsstichwort (Thema)
Außergewöhnliche Belastung: Zwangsläufigkeit der Kosten eines Schadensersatzprozesses – Beendigung durch Vergleich mit Kostenaufhebung gegeneinander – Anrechnung der Vergleichssumme auf die angefallenen Prozesskosten
Leitsatz (redaktionell)
- Für den Abzug der Kosten eines Schadensersatzprozesses als außergewöhnliche Belastungen kommt es allein darauf an, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus Sicht eines verständigen Dritten aus ex ante Sicht hinreichende Aussicht auf Erfolg bot und der Steuerpflichtige das Prozesskostenrisiko nicht mutwillig oder leichtfertig eingegangen ist (Anschluss an BFH-Urteil vom 12. Mai 2011 VI R 42/10, BStBl II 2011, 1015; entgegen BMF-Schreiben vom 20. Dezember 2011, BStBl I 2011, 1286).
- Die Beendigung des Zivilprozesses durch Vergleich mit Kostenaufhebung gegeneinander steht der Zwangsläufigkeit der Aufwendungen nicht entgegen.
- Die Vergleichssumme ist nicht im Wege der Vorteilsanrechnung auf die angefallenen Prozesskosten zu berücksichtigen, wenn die Zahlung allein zur Abgeltung sämtlicher materieller und immaterieller Ansprüche aus dem schadensverursachenden Ereignis erfolgt.
Normenkette
EStG § 33 Abs. 1, 2 S. 1
Streitjahr(e)
2009
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Berücksichtigungsfähigkeit von Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen.
Der Kläger stürzte am „...” 2006 vor seiner Wohnung, als er dem Skateboard-Fahrer „T” hinterherlief, um ihn wegen einer Beschädigung der Haustür zur Rede zu stellen. Dabei zog er sich lebensgefährliche Verletzungen zu und musste sich für etwa ein halbes Jahr in stationäre Behandlung begeben. Mit einer vor dem Landgericht „E-Stadt” gegen „T” erhobenen Teilklage machte er einen Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung geltend. Er beantragte, „T” zum Ersatz seines Haushaltsführungsschadens i. H. v. 12.475,70 € zu verurteilen. Das Gericht wies die Klage mit der Begründung ab, es stehe weder fest, dass die Körperverletzung durch „T” verursacht worden sei, noch, dass „T” seine Sorgfaltspflichten verletzt habe. Jedenfalls treffe den Kläger ein überwiegendes Mitverschulden an dem Vorfall, da er sich der Gefährlichkeit der Verfolgung eines Skateboard-Fahrers habe bewusst sein müssen. In dem vor dem Oberlandesgericht „F-Stadt” geführten Berufungsverfahren wurden mehrere Zeugen vernommen. Der Kläger bezifferte seinen aus entgangenen Einkünften, Arzt- und Fahrschulkosten, Haushaltsführungsschaden und Schmerzensgeld bestehenden Gesamtschaden mit 250.321,84 €; die Verpflichtung zum Ersatz künftiger materieller und immaterieller Schäden sei festzustellen. Der Rechtsstreit endete mit einem Vergleich. Darin verpflichtete sich „T”, an den Kläger – bei Kostenaufhebung – 275.000 € zu zahlen.
Mit Schreiben vom 18. November 2009 stellten die Rechtsanwälte „M”, die den Kläger in beiden Instanzen vertreten hatten, ihre nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz -RVG- ermittelten Gebühren von 15.885,67 € in Rechnung. Der Kostennote lagen Leistungen zugrunde, die sie in der Zeit vom 7. November 2006 bis zum 18. November 2009 erbracht hatten. Den Rechnungsbetrag behielten sie von der auf ihrem Konto eingegangenen Vergleichssumme ein und kehrten den Rest am 19. November 2009 an den Kläger aus. Leistungen aus einer Rechtsschutzversicherung bezog dieser nicht.
Die Kläger wurden im Streitjahr 2009 als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. In ihrer Einkommensteuererklärung für 2009 machten sie die Rechtsanwaltskosten als außergewöhnliche Belastungen geltend. Der Beklagte ließ die Aufwendungen nicht zum Abzug zu und setzte die Einkommensteuer mit Bescheid vom 8. Oktober 2010 auf 8.095 € fest.
Hiergegen wandten sich die Kläger mit dem Einspruch. Sie behaupteten, die Schadensersatzklage sei erforderlich gewesen, um eine Existenzgefährdung abzuwenden. Zum Zeitpunkt des Prozesses seien die Folgen des Sturzes nicht absehbar gewesen. Insbesondere habe der Kläger befürchten müssen, seinen Arbeitsplatz zu verlieren.
Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 3. Mai 2012 als unbegründet zurück. Er vertrat die Auffassung, die Rechtsanwaltskosten seien dem Kläger nicht zwangsläufig entstanden. Die Behauptung einer Existenzgefährdung sei angesichts der Entwicklung des klägerischen Arbeitseinkommens nicht nachvollziehbar. Zudem stehe der Zwangsläufigkeit entgegen, dass sich der Kläger in einem Vergleich zur Übernahme der Kosten verpflichtet habe. Es habe ihm freigestanden, den Prozess fortzuführen und eine Kostenentscheidung des Gerichts abzuwarten. Auch sei er durch die Prozesskosten nicht endgültig belastet, denn er habe zur Befriedigung sämtlicher materieller und immaterieller Ansprüche eine Vergleichssumme von 275.000 € vereinnahmt. Nachdem der Bundesfinanzhof -BFH- seine Rechtsauffassung zur Berücksichtigungsfähigkeit von Zivilprozesskosten mit Urteil vom 12. Mai 2011 (VI R 42/10, Entschei...