Entscheidungsstichwort (Thema)
Über Einwendungen gegen die Bemessungsgrundlage der Kirchensteuer hat die Kirchenbehörde zu entscheiden
Leitsatz (redaktionell)
- Einwendungen gegen die Berechnung der Kirchensteuer-Bemessungsgrundlage unter Einbeziehung der steuerfreien Halbeinkünfte (§ 51a Abs. 2 EStG) sind nicht durch Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid zu verfolgen, sondern gegen den Kirchensteuerbescheid geltend zu machen.
- Die Bestimmung der Bemessungsgrundlage nach § 51a EStG ist keine selbständig anfechtbare gesonderte Feststellung, sondern eine unselbständige Berechnung ohne bindende Außenwirkung, die zum Aufgabenbereich der Kirche gehört und nicht den Begriff der „Maßstabsteuer” i. S. von § 14 Abs. 6 Satz 1 KiStG erfüllt. Die Finanzbehörde wird insoweit im Auftrag der Kirchenverwaltung tätig.
- Ein von der Finanzbehörde durchgeführtes Vorverfahren wegen eines als Rechtsbehelf gegen den Kirchensteuerbescheid auszulegenden Einspruch reicht als Sachentscheidungsvoraussetzung nicht aus, weil der vollständige außergerichtliche Rechtsschutz des Steuerpflichtigen damit nicht sichergestellt ist.
- Beruhen die Verfahrenskosten auf einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung und der Durchführung des falschen Vorverfahrens durch die beklagte Behörde, sind dieser die Kosten des durch Prozessurteil abgeschlossenen Verfahrens aufzuerlegen.
- Für den unterlassenen Einspruch gegen den Kirchensteuerbescheid kann aufgrund der unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung auch noch nach Ablauf der Jahresfrist des § 356 Abs. 2 Satz 1 AO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sein, da der Begriff der höheren Gewalt auch Fälle erfasst, in denen der Steuerpflichtige durch das Verhalten einer Behörde davon abgehalten wird, eine Frist zu wahren.
Normenkette
EStG § 51a Abs. 2; KiStGNW § 4 Abs. 1, 2 S. 1, § 14 Abs. 6 S. 1; KiStO § 25 Abs. 2 S. 1; AO § 351 Abs. 2
Streitjahr(e)
2002
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger wird zur Einkommensteuer einzeln veranlagt. Ebenso wie sein Bruder R. war er zu 50 % an der vermögensverwaltenden Gesellschaft R. und S. GbR beteiligt; die GbR wiederum war Gesellschafterin der A-GmbH. Im Streitjahr veräußerte die GbR einen Teilgeschäftsanteil an der GmbH und erzielte damit einen Veräußerungsgewinn i. S. von § 17 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes – EStG – von rd. 3,5 Mio. EUR; hiervon entfielen auf den Kläger anteilig 1.773.798 EUR. Die in der Vergangenheit zur Finanzierung des Geschäftsanteils aufgelaufenen Zinsen betrugen zum 31. Dezember 2001 rd. 2,5 Mio. EUR; sie sind Teil des zum 31. Dezember 2001 verbleibenden Verlustvortrags gemäß § 10d Abs. 3 EStG von 4.241.685 EUR.
Im Einkommensteuerbescheid 2002 vom 3. August 2004 erfasste der Beklagte den anteiligen Veräußerungsgewinn des Klägers unter Berücksichtigung des Halbeinkünfteverfahrens (§ 3 Nr. 40 EStG) mit 50 %, d.s. 886.899 EUR. Nach Berücksichtigung der weiteren Einkünfte des Klägers und von Verlustvorträgen nach § 10d EStG setzte der Beklagte die Einkommensteuer wie folgt fest:
steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn |
886.899 EUR |
negative Halbeinkünfte |
./. 232.143 EUR |
übrige Einkünfte |
55.012 EUR |
GdE |
709.768 EUR |
Verlustabzug ab 1999 |
./. 264.563 EUR |
Verlustabzug bis 1998 |
./. 443.054 EUR |
Sonderausgaben |
./. 2.151 EUR |
zvE |
0 EUR |
Est |
0 EUR |
Die Kirchensteuer berechnete der Beklagte unter Anwendung des § 51a Abs. 2 EStG wie folgt:
zu versteuerndes Einkommen |
0 EUR |
zzgl. steuerfreie Halbeinkünfte |
654.634 EUR |
maßgebendes zu versteuerndes Einkommen |
654.634 EUR |
darauf entfallende Einkommensteuer |
307.629 EUR |
Bemessungsgrundlage |
307.629 EUR |
davon 9 v.H. Kirchensteuer |
27.686 EUR |
Die dem Bescheid beigefügte programmgesteuerte Rechtsbehelfsbelehrung lautet auszugsweise wie folgt: „Gegen die Festsetzung der Kirchensteuer ist ebenfalls der Einspruch gegeben. Der Einspruch ist bei dem vorbezeichneten Finanzamt einzureichen, wenn er sich gegen die Höhe der der Festsetzung zugrunde gelegten Bemessungsgrundlage richtet. Ein Einspruch gegen die Festsetzung der Kirchensteuer, der sich auf Gründe stützt, die nicht mit der Berechnung der zugrunde gelegten Bemessungsgrundlage zusammenhängen, ist insoweit bei der zuständigen evangelischen Kirchengemeinde einzureichen.”
Der Kläger legte gegen den Einkommensteuerbescheid Einspruch ein, weil trotz einer Einkommensteuerschuld von 0 EUR eine Kirchensteuer festgesetzt worden sei. Die Vorschrift des § 51a Abs. 2 EStG sei teleologisch dahin auszulegen, dass sich die Bemessungsgrundlage für Zwecke der Kirchensteuerfestsetzung um die zum 31. 12. 2001 bestehenden Verlustvorträge vermindere; danach ergebe sich hier eine Bemessungsgrundlage von 0 EUR, so dass die Kirchensteuer ebenfalls auf 0 EUR herabgesetzt werden müsse.
Der Beklagte wies den Einspruch mit Entscheidung vom 11. April 2005 als unbegründet zurück; zur Begründung führte er im Wesentlichen Folgendes aus: Aus § 14 Abs. 6 KiStG ergebe sich, dass die zutreffende Ermittlung der ...