Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung der Vollziehung eines auf den Unionszollkodex gestützten Abgabenbescheids wegen eines Begründungsmangels und wegen unterbliebener Mitteilung der Besteuerungsgrundlagen
Leitsatz (amtlich)
1. Kann einem Abgabenbescheid nicht entnommen werden, auf welche konkreten Ermittlungsergebnisse des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) sich der Antragsgegner insoweit stützt, ist der Bescheid formell rechtswidrig.
2. Ist der Antragsgegner seiner Pflicht aus § 364 AO zur Mitteilung der Besteuerungsgrundlagen nicht nachgekommen, ist bereits aus diesem Grunde Aussetzung der Vollziehung zu gewähren.
3. Die Vorschrift des § 364 AO findet auch auf Einspruchsverfahren in Bezug auf Abgabenbescheide Anwendung, die ihre Rechtsgrundlage im Unionszollkodex haben.
4. Weder Art. 12 UZK noch Art.45 VO Nr. 515/97 rechtfertigt die Versagung der Mitteilung der Besteuerungsgrundlagen. Mitteilungspflichtige Besteuerungsgrundlagen sind auch Berichte des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF).
Normenkette
UZK Art. 12, 22, 45; AO §§ 121, 364; EUVO 515/97 Art. 45
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt die Aussetzung der Vollziehung eines Bescheides, mit dem der Antragsgegner Antidumpingzoll nacherhebt.
Die Antragstellerin ist ein polnisches Unternehmen, das mit Fahrrädern und Fahrradteilen handelt. In den Monaten März und April 2019 führte die Antragstellerin über den Hamburger Hafen Fahrräder und Fahrradteile der Position 8712 0030 bzw. 8714 9990 ein, die zur Vermarktung in Polen bestimmt waren. Lieferant der Waren war jeweils das in Taiwan ansässige Unternehmen A.
Mit Bescheid vom 25.06.2020 erhob der Antragsgegner von der Antragstellerin Antidumpingzoll in Höhe von 274.586,60 Euro sowie Verzugszinsen in Höhe von 6.955,00 Euro nach. In der Begründung des Bescheides heißt es: "Im Rahmen einer nachträglichen Prüfung der o.g. Einfuhrvorgänge nach Art. 48 der Verordnung (EU) 952/2013(UZK) wurde festgestellt, dass die mit taiwanesischem Ursprung angemeldeten Fahrräder tatsächlich aus China stammen. Nach Ermittlungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung konnte anhand von Daten aus der Import-und Exportdatenbank des Department of Investigation of Taiwan Customs (DOI) festgestellt werden, dass die betreffenden Fahrräder beim Import bei den taiwanesischen Behörden mit chinesischem Ursprung angemeldet und nur wenige Tage später in die EU weiterversandt wurden (vgl. anliegende Übersicht). Das Ursprungsland wurde daher auf China geändert und die entsprechenden Einfuhrabgaben (Antidumpingzoll)werden hiermit nacherheben ..." Die Anlage zum Bescheid vom 25.06.2020 enthält mehrere Tabellen, die teilweise Beschriftungen der Spalten und Zeilen aufweisen, jedoch durchgängig keine näheren Erläuterungen enthalten.
Die Antragstellerin erhob gegen den Bescheid vom 25.06.2020 Einspruch, über den noch nicht entschieden worden ist. Ihr ebenfalls gestellter Antrag, die Vollziehung des Bescheides vom 25.06.2020 auszusetzen, lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 17.08.2020 ab.
Die Antragstellerin hat am 17.09.2020 um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Sie meint, es bestünde bereits deshalb ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Nacherhebungsbescheids, weil der Antragsgegner die Besteuerungsgrundlagen nicht offengelegt habe. Im Übrigen habe der beweisbelastete Antragsgegner nicht nachgewiesen, dass die Waren ihren Ursprung in China gehabt hätten.
...
II.
Der gemäß § 69 FGO i.V.m. Art. 45 der Verordnung (EU)Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 09.10.2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (ABl. L 269/1, berichtigt durch ABl. 2016 L 267/2, m. spät. Änd. - Unionszollkodex -, im Folgenden: UZK) zulässige Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Bescheides vom 25.06.2020 hat auch in der Sache Erfolg.
Die materiellen Voraussetzungen für die Aussetzung der Vollziehung ergeben sich auch im finanzgerichtlichen Verfahren aus Art. 45 UZK. Nach dessen Abs. 2 setzen die Zollbehörden die Vollziehung einer Entscheidung, gegen die ein Rechtsbehelf eingelegt ist, ganz oder teilweise aus, wenn sie begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung haben oder wenn dem Beteiligten ein unersetzbarer Schaden entstehen könnte. Zwar benennt die Vorschrift als Adressaten lediglich die Zollbehörden, sie ist aber auch von den Gerichten auf dem Gebiet des Zollrechts als materieller Entscheidungsmaßstab anzuwenden. Aufgrund der Verweisung in § 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 FGO auf § 69 Abs. 2 Satz 2 ff. FGO beschränken sich die gerichtlichen Befugnisse auf dasjenige, was die Zollbehörden selbst anordnen können. Werden die Befugnisse der Zollbehörden nach §§ 361 Abs. 2 AO, 69 Abs. 2 FGO durch unionsrechtliche Regelungen überlagert, muss dies auch für das gerichtliche Verfahren gelten (st. Rspr. des BFH zu Art. 244 ZK: Urteil vom 19.04.2011, VII B 234/10, BFH/NV 2011,1202; zu Art. 45 UZK vgl. Schoenfeld, in: Krenzler/Herrmann/Niestedt, EU-Außenwirtschafts- und Zollrecht, Art. 45...