Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz gegen Vollstreckungsmaßnahmen
Leitsatz (redaktionell)
1) Der Erlass einer Steuer aus sachlichen Billigkeitsgründen aufgrund einer offensichtlich rechtswidrigen Steuerfestsetzung kommt nicht in Betracht, wenn es für den Steuerpflichtigen möglich und zumutbar war, sich gegen die Steuerfestsetzung zur Wehr zu setzen.
2) Der Erlass einer Steuer aus persönlichen Billigkeitsgründen setzt voraus, dass sich die Billigkeitsmaßnahme auf die wirtschaftliche Existenz des Steuerpflichtigen konkret auswirken kann.
3) Eine dauerhafte Vollstreckungseinstellung ist durch eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 258 AO nicht zu erreichen.
Normenkette
AO §§ 227, 258; FGO § 114
Tatbestand
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Vollstreckungsschutz hinsichtlich Einkommensteuer, Umsatzsteuer, Solidaritätszuschlag, Verspätungszuschlägen zur Einkommensteuer und Umsatzsteuer sowie Säumniszuschlägen zur Einkommensteuer und Umsatzsteuer für die Jahre 2007 bis 2011. Darüber hinaus begehrt er neben einer vorläufigen Einstellung der Zwangsvollstreckung zudem vorläufigen Rechtsschutz hinsichtlich zweier Pfändungsmaßnahmen (Pfändung des Anspruchs aus einer Gebäudeversicherung und Pfändung eines Nießbrauchsrechts).
Im Rahmen einer am ….2011 durchgeführten Durchsuchung des Wohnhauses des Antragstellers und seiner damaligen Ehefrau durch das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung stellte sich nach Auswertung der beschlagnahmten Gegenstände heraus, dass der Antragsteller unter dem Namen „D” unter anderem im Zeitraum von 2007 bis 2011 in der A-Straße … in … B ein Bordell betrieben und in den dortigen Räumen viele Jahre etwa dreimal in der Woche – unter anderem im Zeitraum von 2007 bis 2011 – entgeltlich so genannte „Swinger-Partys” veranstaltet hatte. Da die Partys von Paaren teilweise nicht sehr gut besucht wurden, gewährte der Antragsteller auch einzelnen Herren Eintritt und bezahlte zum Ausgleich einzelne Damen dafür, dass diese an den jeweiligen Veranstaltungen teilnahmen.
Das Grundstück A-Straße … stand bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Antragstellers im Jahr 2005 in dessen Eigentum und wurde von seiner damaligen Ehefrau im Rahmen einer Zwangsversteigerung erworben. Die damalige Ehefrau stellte dem Antragsteller das Objekt jedenfalls ab dem Jahr 2007 zur Nutzung zur Verfügung. Der Antragsteller betrieb seinen Club in der Folgezeit ohne Zustimmung des Insolvenzverwalters und veranstaltete dort unter anderem weiterhin entgeltliche „Swinger-Partys”.
Das Grundstück A-Straße … wird seit … 2016 … nicht mehr genutzt. Das Grundstück war nicht als gewerbliches Grundstück versichert. Vor diesem Hintergrund verweigert der Versicherer eine Versicherungsleistung. Für das Grundstück existierte keine Erlaubnis der Stadt B zum Betrieb eines Gewerbes. Zudem lag auch keine Gewerbean- bzw. -abmeldung vor.
Der Antragsteller hatte für die Streitjahre keine Steuererklärungen zur Umsatzsteuer und Gewerbesteuer eingereicht. Hinsichtlich der Einkommensteuer liegen dem Finanzamt jedenfalls für die Jahre 2009 bis 2011 keine Steuererklärungen vor.
Mit Datum vom 12.12.2011 ordnete der Antragsgegner beim Antragsteller eine Betriebsprüfung für die Jahre 2007 bis 2010 für die Einkommen-, Umsatz- und Gewerbesteuer an. Trotz mehrfacher Aufforderungen legte der Antragsteller für den „D” weder Gewinnermittlungen noch Buchführungsunterlagen vor. Im Rahmen seiner Ermittlungen stellte der Antragsgegner unter anderem fest, dass der Antragsteller im Zeitraum von 2007 bis 2011 jährlich ca. 9000 Kondome von einem Lieferanten erworben hatte. Darüber hinaus stellte er fest, dass der Antragsteller auf der von ihm betriebenen Internetseite www… „… Herren” und „… Damen” zu Partys eingeladen hatte, wobei sich der Eintritt für „… Herren” auf 100 Euro und der für Paare auf 25 Euro belief; „… Damen” erhielten freien Eintritt. …. Die beschlagnahmten Unterlagen umfassen zudem umfangreichen im Internet geführten Schriftverkehr des Antragstellers mit männlichen Kunden …, in dem den männlichen Kunden auf Nachfrage die Anwesenheit von 10 bis 12 „…Damen” … garantiert wurde. Vor diesem Hintergrund schätzte der Antragsgegner die jährlichen Bruttoeinnahmen aus dem Betrieb des … auf 400.000 Euro und zog von diesem Betrag geschätzte Betriebsausgaben in Höhe von jährlich 200.000 Euro ab. Dabei unterstellte er, dass für jeden männlichen Gast zwei Kondome pro Eintritt benötigt wurden (9.000 Kondome geteilt durch 2 multipliziert mit 100 Euro Eintritt). Von den sich für die Streitjahre auf Grundlage dieser Berechnung jeweils ergebenden Einnahmen in Höhe von 450.000 Euro nahm der Antragsgegner zu Gunsten des Antragstellers jeweils einen Sicherheitsabschlag von 50.000 Euro vor.
Der Antragsgegner wertete die Berichte über die Betriebsprüfung aus und änderte die Steuerfestsetzungen für die Jahre 2007 bis 2010 entsprechend bzw. erließ erstmalige Steuerbeschei...