Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldfestsetzung; Korrektur
Leitsatz (redaktionell)
Im Rahmen der Kindergeldfestsetzung eröffnet § 70 Abs. 4 EStG stets eine Berichtigungsmöglichkeit, soweit die abschließende Überprüfung nach Ablauf des Jahres ein Unter- oder Überschreiten des Grenzbetrages abweichend von der Prognoseentscheidung ergibt. Dies gilt auch dann, wenn die Korrektur auf einer geänderten Rechtsauffassung beruht.
Normenkette
EStG § 70 Abs. 4
Nachgehend
Tatbestand
Die 1983 geborene Tochter S der Klägerin befand sich auch im Jahr 2004 in Ausbildung. Ende März 2003 zeigte die Klägerin der Beklagten an, dass die Einkünfte und Bezüge von S, die in den Monaten Januar bis März einer bezahlten Nebentätigkeit nachging, den Jahresgrenzbetrag für 2004 voraussichtlich überschreiten würden. Mit Bescheid vom 31. März 2004 hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für S für die Monate ab April 2004 auf; mit weiterem Bescheid vom 29. April 2004 (Kindergeld-Akte, Bl 178) hob die Beklagte auch die Kindergeldfestsetzung für die Monate ab Januar 2004 auf, weil die Einkünfte und Bezüge von S nach der damaligen Ansicht der Beklagten, nach der die Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung unberücksichtigt blieben, den Jahresgrenzbetrag für das Jahr 2004 (7.680 EUR) überschritten (Kindergeld-Akte, Bl 191); gleichzeitig wurde das für die Monate Januar bis März 2004 gezahlte Kindergeld von 462 EUR zurückgefordert. Der dagegen eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg.
Mit einem am 12. September 2005 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben, welches als Einspruch bezeichnend war, beantragte die Klägerin unter Hinweis auf den im Mai 2005 veröffentlichten Beschluss des BVerfG vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02 sinngemäß erneut Kindergeld für das Jahr 2004, weil der Jahresgrenzbetrag unter Berücksichtigung der Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung nicht überschritten sei. Denn die Einkünfte und Bezüge betrügen in diesem Falle lediglich 7.204 EUR (Einnahmen: 9.961 EUR abzüglich 920 EUR Arbeitnehmerpauschbetrag und 1.837 EUR Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung Kindergeld-Akte, Bl 194).
Die Beklagte bewilligte das Kindergeld mit dem vorliegend streitgegenständlichen Bescheid vom 7. Oktober 2005 jedoch lediglich für die Monate Juni bis Dezember 2004, weil die Beklagte an die bestandskräftige Erst-Ablehnung gebunden sei und das Kindergeld erst ab dem auf die Bekanntgabe des ursprünglichen Bescheids folgenden Monat erneut bewilligen dürfe. Für die Monate Januar bis einschließlich Mai 2004 lehnte die Beklagte die Kindergeldfestsetzung ab (Kindergeld-Akte, Bl 202).
Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Zur Begründung führte die Beklagte in der Einspruchsentscheidung vom 4. November 2005 aus: Der bestandskräftige Ablehnungsbescheid entfalte Bindungswirkung bis zum Ende des Monats seiner Bekanntgabe. Auch eine Korrektur nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 bzw. § 70 Abs. 4 EStG scheide aus, weil es sich bei der geänderten Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Sozialversicherungsabgaben nicht um einen nachträglich bekannt gewordenen Sachverhalt handle.
Die Klägerin bezieht sich zunächst auf ihre Begründung im Einspruchsverfahren und trägt ergänzend vor, der Ablehnungsbescheid vom 29. April 2004 habe zwar nicht in der Formulierung aber zumindest der Sache nach unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gestanden, weil in diesen Bescheid der Hinweis aufgenommen worden sei: „Falls nach Ablauf des Jahres feststeht, dass die Einkünfte und Bezüge Ihres Kindes den Grenzbetrag nicht überschritten haben, können Sie einen erneuten Antrag auf Festsetzung des Kindergeld stellen” (GA Bl. 21). Im Übrigen würden auch die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 vorliegen, weil die Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung der Beklagten im Zeitpunkt der Erstablehnung noch nicht bekannt und zur damaligen Zeit auch nicht relevant gewesen seien.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung der Aufhebungs- bzw. Ablehnungsbescheide vom 31. März 2004 bzw. 29. April 2004 und der Einspruchsentscheidung vom 4. November 2005 zu verpflichten, das Kindergeld für S für die Monate Januar bis Mai 2004 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des BFH in der Sache III R 13/06 anzuordnen, hilfsweise die Klage abzuweisen.
Eine Korrektur der bestandskräftigen Ablehnung nach § 70 Abs. 4 EStG allein wegen der nach Rechtsprechungsänderung des BVerfG zu erfassenden Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung sei ausgeschlossen, weil die Änderung der Rechtsprechung nicht zu einem nachträglichen Bekanntwerden i.S. des § 70 Abs. 4 EStG führe.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
1. Eine Verfahrensaussetzung bis zum Abschluss des beim BFH anhängigen Verfahrens III R 13/06 kommt nicht in Betracht.
a) Nach § 74 FGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eine...