Entscheidungsstichwort (Thema)
Telefoninterviewer, Arbeitnehmer, Haftung
Leitsatz (redaktionell)
1) Telefoninterviewer, die nach Inhalt, Ort und zeitlichem Rahmen ihrer Tätigkeit organisatorisch in einen Betrieb eingebunden und weitgehend weisungsgebunden sind, sind steuerlich als Arbeitnehmer anzusehen.
2) Ein die Lohnsteuerhaftung des Arbeitgebers ausschließender Rechtsirrtum zur lohnsteuerlichen Behandlung von Dienstverhältnissen liegt regelmäßig nicht vor, wenn der Arbeitgeber von der Möglichkeit der Anrufungsauskunft nach § 42e EStG keinen Gebrauch macht.
3) Zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen im Lohnsteuerhaftungsverfahren durch das Gericht.
Normenkette
EStG § 38 Abs. 3, § 41a Abs. 1, § 42d Abs. 1 Nr. 1; LStDV § 1 Abs. 1 S. 1, Abs. 2; FGO § 96 Abs. 1 S. 1; AO § 162; EStG § 19
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Zusammenhang mit der Haftungsinanspruchnahme der Klägerin für Lohnsteuer und Nebenabgaben insbesondere darum, ob die für die Klägerin als Interviewer tätigen Personen eine lohnsteuerpflichtige Tätigkeit ausgeübt haben.
Die Klägerin betreibt ein Unternehmen im Bereich der Markt- und Meinungsforschung. In den Streitjahren führte sie Meinungsumfragen per Telefon und durch persönliche Befragungen durch. Hierbei wurden für die Klägerin zwischen rund 450 (in den Jahren 1998 und 2002) und rund 620 (im Jahre 1999) sogenannte Telefoninterviewer tätig, welche Befragungen per Telefon mittels eines am Bildschirm angezeigten Fragebogens durchführten. Daneben beschäftigte die Klägerin eine ähnliche Anzahl von Personen, die verteilt im Bundesgebiet persönliche Befragungen von Zielpersonen durchführten (sog. Face to Face-Interviewer). Zudem wurden für die Klägerin weitere Personen tätig, welche die Schlüsselung der von den Face to Face-Interviewern aufgenommenen Antworten auf offene Fragen nach einem vorgeschriebenen Kennzahlenplan vornahmen (sog. Codierer).
Die Klägerin verfügte im Streitzeitraum über zwei Büroräume in A und in B mit 60 bzw. 40 Computerarbeitsplätzen für die Telefoninterviewer. An diesen Arbeitsplätzen riefen die Telefoninterviewer die von der Klägerin bzw. deren Auftraggebern zuvor erstellten Fragebögen auf, arbeiteten den am Bildschirm angezeigten Fragenkatalog zur jeweiligen Studie in den Telefonaten mit den befragten Personen, deren Telefonnummern den Interviewern ebenfalls von der Klägerin vorgegeben wurden, ab und trugen die Antworten in das entsprechende Computersystem ein. Je nach Art der Befragung dauerte ein Interview zwischen 5 und 25 Minuten (vgl. Bl. 60, 133 der Gerichtsakte – GA – sowie den seitens der Klägerin beispielhaft vorgelegten Fragebogen, Bl. 159 ff. der GA). Um eine ordnungsgemäße Durchführung der Interviews sicherzustellen, wurden Interviews teilweise mitgehört bzw. von einem sog. Supervisor überwacht, der den Telefoninterviewern auch als Ansprechpartner zur Verfügung stand. Die Interviewer wurden zumeist in Zeitblöcken von je vier Stunden (inklusive Pausenzeiten) tätig.
Vertragliche Grundlage für die Tätigkeit der Interviewer war jeweils eine mit den Interviewern abgeschlossene sog. Rahmenvereinbarung, wovon nach Aktenlage zwei teilweise abweichende Versionen vorliegen (vgl. hierzu das der Lohnsteuer-Außenprüfung vorgelegte, in der Lohnsteueraußenprüfungsakte abgeheftete Muster, sowie das von der Klägerin im Klageverfahren vorgelegte Muster mit – nachfolgend unterstrichen dargestellten – Ergänzungen, Bl. 146 ff. der GA) mit folgendem wesentlichen Inhalt:
„§ 1 Gegenstand der Vereinbarung
Der Interviewer wird für das Institut als freier Mitarbeiter tätig. Die Tätigkeit als freier Mitarbeiter richtet sich nach den nachfolgenden Bestimmungen und dem Inhalt des jeweiligen Einzelauftrages.
Der Einzelauftrag erfolgt jeweils mündlich oder schriftlich und umfaßt Honorarhöhe, Arbeitsumfang und Ablieferungstermin.
§ 2 Rechtsform der Zusammenarbeit
Bei der Interviewertätigkeit handelt es sich um eine freiberufliche Nebentätigkeit für das Institut.
Die Einsatzzeit wird für jede Studie kurzfristig zwischen dem freien Mitarbeiter und dem Institut frei vereinbart, wobei der freie Mitarbeiter das Recht hat, durch das Institut vorgeschlagene Interviewzeiten abzulehnen. Der freie Mitarbeiter unterliegt somit keinen zeitlichen Bindungen.
Dem freien Mitarbeiter steht es während der Dauer dieses Vertrages frei, Aufträge abzulehnen. Das Institut ist verpflichtet, den Wünschen des freien Mitarbeiters auf Beschäftigung soweit entgegenzukommen, wie es dem Institut möglich ist.
Der Interviewer muß sich nicht für die Annahme von Aufträgen bereithalten. Es gibt keine Einsatzpläne, in denen im vorhinein Einsätze des Interviewers festgelegt werden. Dem Interviewer ist es auch sonst freigestellt, wann er tätig werden will. Diese Freiheiten gelten auch dann, wenn das Institut dem Interviewer eine Telefonanlage in einem Institutsraum zur Verfügung hält. Der Interviewer kann während der Öffnungszeiten kommen und gehen, wann er will. Kernarbeitsz...