Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufwendungen für Fahrten zur Betreuung und Versorgung eines Elternteils
Leitsatz (redaktionell)
Aufwendungen für Fahrten zur Betreuung und Versorgung eines verwitweten Elternteils können auch dann als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden, wenn sie nicht aufgrund einer akuten Krankheit oder Schwerbehinderung, sondern aufgrund altersbedingter Gebrechen entstehen.
Normenkette
EStG § 33 Abs. 1
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob Aufwendungen des Klägers für Fahrten zur Betreuung und Versorgung seines Vaters als außergewöhnliche Belastungen (§ 33 EStG) zu berücksichtigen sind.
Der Kläger ist das einzige Kind seines 1917 geborenen – mittlerweile verstorbenen – Vaters, der seit dem Tod der Mutter des Klägers im April 1997 allein in einer 120 km von dessen Wohnort entfernt gelegenen Wohnung lebt. Der Vater des Klägers war seit Jahren körperbehindert. Der Grad seiner Behinderung betrug ab September 1988 100 v.H.; außerdem waren seit diesem Zeitpunkt die Merkzeichen „G” und „RF” in seinem Schwerbehindertenausweis eingetragen.
Sein Hausarzt Dr. … hatte ihm durch ärztliches Attest vom 9. März 1999, auf dessen weiteren Inhalt Bezug genommen wird, unter anderem bescheinigt, dass er an psychischer Instabilität und depressiver Verstimmung leide, sehr negativ zu seiner gesamten Lebensführung und Umwelt eingestellt sowie nicht zugänglich sei. Da er außerdem unkontrolliert überproportionale Psychopharmaka einnehme, sei – was die Medikamenteneinnahme und die Lebensführung betreffe – fast rund um die Uhr eine Betreuung notwendig. Nach einer von dem behandelnden Lungenfacharzt Dr. … ausgestellten weiteren Bescheinigung vom März 2000 litt der Vater des Klägers außerdem an einer äußerst schweren Lungenerkrankung mit respiratorischer Insuffizienz (Lungenenphysem).
Aus einem fachärztlichen Gutachten, das der Internist und Sozialmediziner Dr. … zur Frage der Pflegebedürftigkeit des Vaters des Klägers in einem bei dem Sozialgericht … geführten Verfahren erstellt hat, ergeben sich im wesentlichen folgende „gesundheitlichen Defizite”:
I. degenerativ bedingte Funktionsstörung des Achsenskeletts mit der Folge eines deutlich gestörten Gangbilds sowie erhöhter Sturzgefährdung und der Notwendigkeit zusätzlichen Abstützens an einem Gehstock
II. schmerzhaft eingeschränkte Beweglichkeit im Bereich beider Schultergelenke mit der Folge, dass ein adäquates Erreichen der Intimregion zwecks Reinigungsmaßnahmen nach dem Stuhlgang nicht durchführbar sei
III. deutliche Einschränkung der motorischen Geschicklichkeit für die Ausführung feinmotorischer Verrichtungen wie etwa das Öffnen und Schließen von Reißverschlüssen oder Hemdknopfleisten infolge eines beidhändigen Ruhe- und Aktionstremors
IV. schwere chronische obstruktive Atemwegserkrankung mit Angina-Pectoris-Smptomatik
V. Magenausgangsstenose nach Magenoperation 1986, weswegen unter zusätzlicher Berücksichtigung der psychischen Konstellation die Präsenz einer Person, die ihn zur regelmäßigen Nahrungsaufnahme motiviert, essentiell sei
VI. Schaufensterkrankheit
VII. inkomplette Harninkontinenz
VIII. depressives Syndrom mit somatoformer Ausprägung, Angststörung und latenter Suizidalität mit der Folge, dass der Vater des Klägers sich aus Furcht vor Stürzen im Wohnbereich auf allen Vieren fortbewege und regelmäßiger Motivation zur Körperflege und Nahrungszufuhr bedürfe
Aufgrund des vorab festgestellten Gesundheitszustands gelangte der Gutachter zu dem Ergebnis, dass der Vater des Klägers bei Vornahme der alltäglichen Verrichtungen, wie z.B. bei der Körperpflege, der Essenszubereitung und Nahrungsaufnahme, beim An- und Auskleiden, beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung sowie im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung pflegerischer Hilfe bedürfe.
Der Vater des Klägers hat gegenüber dem Gutachter angegeben, dass sein Sohn – der Kläger – ein- bis zweimal wöchentlich komme, um ihn pflegerisch zu versorgen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des fachärztlichen Befunds wird auf den Inhalt des Sachverständigengutachtens des Herrn Dr. … vom 5. Juni 2000 Bezug genommen.
In seinen im November 2000 eingereichten Einkommensteuererklärungen für die Veranlagungszeiträume 1998 und 1999 machte der Kläger – wie bereits im Vorjahr – Aufwendungen i.H. von 6.988, 80 DM (1998) bzw. 6.739, 20 DM (1999) für 56 (1998) bzw. 54 (1999) Fahrten (a' 240 km × 0,52 DM) zur Betreuung seines Vaters als außergewöhnliche Belastungen geltend. Hierzu gab er die Daten der einzelnen Besuchstermine (ohne „normale Verwandtenbesuche”) an und erklärte unter ergänzender Bezugnahme auf sein Vorbringen in dem das Vorjahr betreffenden – inzwischen abgeschlossenen – Klageverfahren 9 K 7221/00, dass die Betreuung seines Vaters in Form ein- bis zweimaliger Besuche pro Woche zum Wäschewechseln, zur Medikamentenversorgung und zur Hilfe bei der Körperpflege sowie zur Erledigung sonstiger Besorgungen erfolgt sei...