Entscheidungsstichwort (Thema)
Differenzkindergeld
Leitsatz (redaktionell)
Werden im Ausland Leistungen gewährt, die dem Kindergeld vergleichbar sind, ist der Kindergeldanspruch gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nicht vollumfänglich ausgeschlossen, sondern in Anwendung der EuGH-Urteile v. 12.6.2012 - C-611/10 und 612/10 (Abl. EU 2012, Nr. C 227, 4) um den im anderen Staat gezahlten Betrag zu kürzen.
Normenkette
EStG §§ 63, 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; AEUV Art. 45, 48; EStG § 62 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Kläger für die Kinder A, B, C und D berechtigt ist, Kindergeld zu beziehen.
Der Kläger ist niederländischer Staatsangehöriger. Er ist der leibliche Vater von A, geboren am 14.11.1987, und B, geboren am 21.09.1992, die bei der Mutter, der geschiedenen Ehefrau des Klägers, in den Niederlanden leben. A hat im November 2005 das 18. Lebensjahr vollendet und befand sich bis Juni 2007 weiterhin in der Schulausbildung (s. Schulbescheinigung vom 31.03.2006, Bl. 11 und Bescheinigung der Sociale Verzekeringsbank – SVB – vom 04.12.2006, Bl. 24 jeweils d. KG-Akte). Die geschiedene Ehefrau des Klägers ist in den Niederlanden nicht beschäftigt und bezieht dort eine Sozialhilfeleistung von der Gemeinde E (s. Bl. 24 d. KG-Akte).
Im August 2003 heiratete der Kläger Frau F, die die leibliche Mutter der beiden Kinder C, geboren am 02.10.1994, und D, geboren am 14.04.1998, ist. Die in den Niederlanden nichtselbständig beschäftigte und dort sozialversicherungspflichtige Ehefrau des Klägers (s. Kindergeldantrag, Bl. 3 der Kindergeldakte der Beklagten) lebt mit den beiden Kindern in der gemeinsamen Wohnung in E / Niederlande.
Der Kläger ist von Beruf Musiker. Er ist sowohl nichtselbständig und sozialversicherungspflichtig beim „Musiekcentrum G” in den Niederlanden beschäftigt als auch beim H in M. In M verfügt er über einen zweiten Wohnsitz in der J-Straße …, was zwischen den Beteiligten inzwischen unstreitig ist (s. Bl. 87 d. FG-Akte), und wird steuerlich beim Finanzamt M geführt (a).
Mit Bescheid vom 29.01.2007 setzte die Beklagte auf Antrag des Klägers vom 12.05.2006 rückwirkend ab Januar 2002 Kindergeld in Höhe der Differenz zwischen deutschem und niederländischem Kindergeld fest (Bl. 26 ff. d. KG-Akte). Ab Januar 2007 wurde das Kindergeld für A und B in einem weiteren Festsetzungsbescheid in voller Höhe ausgezahlt und für C und D in Höhe der Differenz zwischen den niederländischen Leistungen und dem deutschen Kindergeldanspruch. Diese Festsetzung erfolgte zunächst vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung – AO – (s. Bl. 34 ff. d. Kindergeldakte der Beklagten).
Mit Ablauf des August 2007 stellte die Beklagte die Kindergeldzahlungen ein. Für das Kind A hatte sie bereits mit Ablauf des Juli 2007 wegen der Beendigung der Schulausbildung die Kindergeldzahlung eingestellt. Auf Nachfrage der SVB vom 08.03.2007 teilte der Kläger der Beklagten am 22.10.2007 erstmals mit, dass er auch in den Niederlanden im Muziekcentrum G tätig sei (Bl. 45 d. Kindergeldakte der Beklagten). Nach dem die SVB daraufhin die Ansicht vertrat, dass der Kläger wegen seiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung sowohl in den Niederlanden als auch in Deutschland vorrangig ausschließlich Anspruch auf niederländisches Kindergeld habe, hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung mit Bescheid vom 28.02.2008 gemäß § 70 Abs. 2 EStG auf und forderte das Kindergeld für die Monate April 2002 bis August 2007 in Höhe von 28.750,33 EUR zurück. Sie begründete ihre Entscheidung damit, dass der Kindergeldanspruch des Klägers in den Niederlanden wegen seiner Beschäftigung und Sozialversicherung in den Niederlanden vorrangig gemäß Art. 13 der EG-Verordnung über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige – VO 1408/71 – sei.
Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein und wies die Beklagte darauf hin, dass er auch in Deutschland als Angestellter des H der Sozialversicherungspflicht unterliege. Die Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 03.06.2009 als unbegründet zurück. Auf der Grundlage der Vorschriften des Art. 13 Abs. 2 Buchst. a VO 1408/71 seien alleine die Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaates anwendbar, da der Kläger in den Niederlanden gewohnt und dort beschäftigt gewesen sei. Dies habe zur Folge, dass insgesamt auf die Vorschriften dieses Mitgliedstaates verwiesen werde, unabhängig davon, ob dort niedrigere Beträge gezahlt werden würden. Dies habe der Europäische Gerichtshof – EuGH – im Urteil RS van Ljuten gegen Rad van Arbeit am 10.07.1986 (60/85) entschieden, ebenso der Bundesfinanzhof – BFH – in seinem Urteil vom 13.08.2002 (VIII R 61/00).
Mit der gegen die Einspruchsentscheidung am 24.06.2009 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren auf Zahlung des Differenzkindergeldes weiter. Zur Begründung trägt der Kläger vor, dass bereits die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 EStG nicht gegeben seien. Eine Änderung der persönlichen Verhältnisse sei nicht eingetreten. Zudem s...