Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld. Praktikum als Berufsausbildungsmaßnahme. Bemühen um Ausbildungsplatz. Außerstandesein zum Selbstunterhalt. Darlegungs- und Beweislastumkehr
Leitsatz (redaktionell)
1. Auch bei einem behinderten Kind erfordert die Anerkennung eines Praktikums als Berufsausbildungsmaßnahme den Nachweis, dass bei dem Praktikum der Ausbildungscharakter im Vordergrund steht.
2. Dass ein Kind nur dann beim Kindergeld zu berücksichtigen ist, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird (§ 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG), begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
3. Die Diagnose des Vorliegens von frühkindlichem Autismus ersetzt nicht den Nachweis, dass das Kind außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.
4. Aus der RL 2000/78/EG folgt keine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast im Kindergeldrecht.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3; EstG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a; EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. c; GG Art. 3 Abs. 3 S. 2; FGO § 76 Abs. 1 S. 2; RL 2000/78/EG Art. 10, 3
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob die Klägerin im Zeitraum September 2010 bis November 2011 (Streitzeitraum) Anspruch auf Kindergeld für ihre Tochter L, geboren am 5. Februar 1992, hat.
L besuchte bis Juli 2008 die neunte Klasse an der X-Schule in S. Von der Berufsschulpflicht wurde L befreit, ein Berufsvorbereitungsjahr leistete sie nicht ab.
Nach Angaben der Klägerin strebt L den Beruf der FN-geprüften (d. h. durch die Deutsche Reiterliche Vereinigung e. V. [FN], den Bundesverband für Pferdesport und Pferdezucht, geprüften) Pferdepflegerin an. Nach der Ausbildungs- und Prüfungsordnung (APO) der FN ist Voraussetzung für einen Antrag auf Zulassung zum Vorbereitungslehrgang und zur Prüfung u. a. der Nachweis einer ca. zweijährigen hauptberuflichen Tätigkeit im Umgang und mit der Pflege von Pferden in einem Reitbetrieb oder Zuchtbetrieb oder der Nachweis einer mindestens dreijährigen nebenberuflichen Tätigkeit. Die Prüfung umfasst die Prüfungsfächer Pflege/Fütterung des Pferdes, Stallarbeiten, -hygiene, und -einrichtung, Sattelzeugpflege, Sattelung und Zäumung, Longieren, Veterinärkunde, Beschlaglehre, Verladen und Transportieren von Pferden sowie berufsständisches Wissen (Arbeitsrecht, Versicherungswesen, Unfallverhütung). Ein vom Bayerischen Reit- und Fahrverband e. V. (BRFV) vom 21. bis 30. November 2011 geplanter Vorbereitungslehrgang mit Prüfung wurde aufgrund zu geringer Teilnehmerzahl abgesagt. In den Jahren 2012 und 2013 wurde vom BRFV weder ein Vorbereitungslehrgang noch eine Prüfung angeboten.
Im Streitzeitraum war L bei der zuständigen Stelle der Bundesagentur für Arbeit weder als Arbeit suchend noch als Ausbildungsplatz suchend gemeldet. Mit Schreiben vom 21. Februar 2008 teilte die Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit M, der Klägerin mit, dass ein einjähriges Praktikum zur Vorbereitung einer beruflichen Tätigkeit als Tierpfleger oder Tierwirt in der von der Klägerin geplanten Art und Weise nicht von der Bundesagentur für Arbeit gefördert werden könne. Seit 1. September 2008 ist L unentgeltlich als Praktikantin auf einem Reiterhof in Tg. tätig. Nach dem Praktikumsvertrag vom 3. August 2008 erfolgt das Praktikum zum Zweck des Erwerbs von Fähigkeiten und Kenntnissen im Bereich Pferdepflege und Pferdehaltung.
Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig, dass L im Streitzeitraum über keinerlei Einnahmen verfügte.
Ausweislich der Bescheinigung eines Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie u. a. vom 18. April 2013 ist L wegen einer Autismus-Spektrum-Störung (ICD-10:F84.0) seit dem Jahr 1996 in fachärztlicher Behandlung. Der Grad der Behinderung (GdB) liegt bei 50 bis 80. Aus Bestätigungen einer Psychologin vom 8. Januar 2009 und 3. September 2010 in Zusammenhang mit der Befreiung von der Schulpflicht ist zu entnehmen, dass L auf dem Reiterhof im Gegensatz zur Schule in der Lage ist, mit allen Personen zu sprechen, gezielt Auskunft zu geben oder Gegebenheiten zu berichten.
Mit Bescheid vom 31. Mai 2011 lehnte die vormals zuständige Familienkasse D die Festsetzung von Kindergeld für L ab März 2010 mit der Begründung ab, dass das Praktikum auf dem Reiterhof nicht als Berufsausbildung anerkannt werden könne. L könne auch nicht nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) berücksichtigt werden, da mangels Zustimmung zu einer Untersuchung durch den Amtsarzt der Agentur für Arbeit nicht festgestellt werden könne, dass sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung außerstande sei, sich selbst zu unterhalten. Im Einspruchsverfahren änderte die Familienkasse D den Bescheid vom 31. März 2011 mit Änderungsbescheid vom 24. November 2011 insoweit, als sie nunmehr Kindergeld für den Zeitraum März bis August 2010 festsetzte, weil nachgewiesen sei, dass für die Ausbildung zur Pferdepfleger...