Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Änderung gemäß § 129 bzw. § 173 AO nach mehrfacher Schätzung des Bestands des steuerlichen Einlagekontos gemäß § 27 Abs. 2 KStG in Höhe von 0 EUR unter Nichtbeachtung in den Akten befindlicher Mitteilungen über die Einzahlung in die Kapitalrücklage einer GmbH. Anwendbarkeit von § 181 Abs. 5 Satz 1 AO auf geänderte Feststellungsbescheide nach § 27 Abs. 2 KStG
Leitsatz (redaktionell)
1. Befinden sich zwar in den Akten des Finanzamts über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen einer GmbH Schreiben des Geschäftsführers, in denen Einzahlungen in die Kapitalrücklage der GmbH nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB ohne Vereinbarung einer Gegenleistung mitgeteilt worden sind, hat das Finanzamt jedoch den Bestand des steuerlichen Einlagekontos nach § 27 Abs. 2 KStG infolge der Nichtabgabe von Feststellungserklärungen mehrmals in Höhe von 0 EUR geschätzt und bei den Schätzungen den Akteninhalt samt der darin enthaltenen Schreiben des Geschäftsführers nicht beachtet, so kann nicht von einer ohne weitere Prüfung erkennbaren und auf Flüchtigkeitsfehler zurückzuführenden Nichtbeachtung feststehender Tatsachen gesprochen werden, die eine Korrektur der bestandskräftig gewordenen Feststellungsbescheide im Sinne des § 27 Abs. 2 Satz 1 KStG nach § 129 AO ermöglichen würde. Hat das Finanzamt bei der Veranlagung für mehrere Jahre die Einzahlungen in die Kapitalrücklage nicht beachtet, muss davon ausgegangen werden, dass der Inhalt der Akten nicht aus Unachtsamkeit, sondern routinegemäß und damit bewusst nicht berücksichtigt wurde (vgl. Rechtsprechung zur offenbaren Unrichtigkeit im Sinne des § 129 AO).
2. Ist gegen die geschätzten Feststellungsbescheide im Sinne des § 27 Abs. 2 Satz 1 KStG (siehe 1.) nicht innerhalb der Einspruchsfrist Einspruch eingelegt und sind die gesetzlich vorgesehenen Feststellungserklärungen (§ 27 Abs. 2 Satz 4 KStG) nicht abgegeben worden, ist von einem die Änderung der bestandskräftig gewordenen Bescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ausschließenden groben Verschulden auszugehen, wenn für die GmbH eine Diplom-Kauffrau und damit eine qualifizierte Bearbeiterin steuerlich tätig war.
3. § 181 Abs. 5 Satz 1 AO gilt über seinen Wortlaut hinaus nicht nur für die erstmalige Feststellung, sondern seinem Sinn und Zweck nach auch für die Änderung und Berichtigung von Feststellungsbescheiden (hier: nach § 27 Abs. 2 Satz 1 KStG). Die Vorschrift ist keine eigenständige Änderungsvorschrift, sondern nur anwendbar, wenn zusätzlich die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Korrekturvorschrift erfüllt sind.
Normenkette
AO § 129 S. 1, § 173 Abs. 1 Nr. 2, § 182 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1, § 162 Abs. 1; KStG § 27 Abs. 2 Sätze 1-2, 4; HGB § 272 Abs. 2 Nr. 4
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über die Änderungsmöglichkeit der gesonderten Feststellung des Bestands des steuerlichen Einlagekontos nach § 27 Abs. 2 Körperschaftsteuergesetz (KStG; Feststellung des steuerlichen Einlagekontos) zum 31.12. der Jahre 2006-2014 (Streitjahre).
Die Klägerin ist eine GmbH. Sie wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 16. August 2001 gegründet. In den Streitjahren firmierte sie als O GmbH. Geschäftsführer war in den Streitjahren der Gesellschafter KS, ab 10.01.2008 daneben FS. Gegenstand des Unternehmens der Klägerin lag u.a. im Bereich ….
In den Bilanzen bildete die Klägerin eine Kapitalrücklage, die sich wie folgt entwickelte:
Bilanzstichtag |
Kapitalrücklage in Euro |
31.12.2005 |
30.000 |
31.12.2006 |
55.000 |
31.12.2007 |
105.000 |
31.12.2008 |
5.792.967 |
Zu den Stichtagen 31.12.2009 bis 31.12.2014 blieb die Kapitalrücklage unverändert. Der Anstieg der Kapitalrücklage basierte – nach Angaben der Klägerin – auf folgenden Umständen:
2006: |
Einzahlung des Gesellschafters KS in Höhe von 25.000 EUR |
2007: |
Einzahlungen des Gesellschafters KS in Höhe von insgesamt 50.000 EUR |
2008: |
Übertragung von Wertpapieren durch den Gesellschafter KS im Wert von 5.687.967 EUR |
Für die Streitjahre 2006-2008 reichte die Klägerin keine Feststellungserklärungen nach § 27 Abs. 2 Satz 4 KStG ein. Das Finanzamt stellte daraufhin das steuerliche Einlagekonto zum 31.12.2006/2007/2008 jeweils mit 0 EUR fest. Gegen die Feststellungsbescheide, zuletzt vom 20.5.2008 (zum 31.12.2006), vom 16.9.2009 (zum 31.12.2007) und vom 5.8.2010 (zum 31.12.2008), wurde kein Einspruch eingelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten hinsichtlich der Bescheidlage wird auf die Darstellung in der Einspruchsentscheidung vom 5. Juli 2018 verwiesen.
Für die Streitjahre 2009-2012 ergingen ebenfalls Bescheide über die gesonderte Feststellung des steuerlichen Einlagekontos, in denen dieses zum 31.12. jeweils mit 0 EUR festgestellt wurde. Auch nach Durchführung einer Betriebsprüfung für diese Jahre kam es in den in diesem Zusammenhang erlassenen Bescheiden vom 15. Juni 2016, die den Vorbehalt der Nachprüfung aufhoben, zu keinen geänderten Feststellungen des steuerlichen Einlagekontos. Auch diese Feststellungsbesch...