Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldanspruch auch für wohnsitzlose Kinder in der Obhut der Mutter in einem Wohnmobil mit wechselnden Aufenthalten innerhalb der EU
Leitsatz (redaktionell)
1. Für Kinder, die keinen Wohnsitz haben und mit ihrer Mutter in einem Wohnmobil durch Deutschland, Dänemark, Belgien, Frankreich, Italien und Österreich reisen, besteht Anspruch auf Kindergeld, wenn der Kindesvater – als Antragsteller – seinen Wohnsitz in Deutschland hat.
2. Im Anwendungsbereich des § 63 EStG ist es ausreichend, wenn die Kinder ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, dem Gebiet der EU, des EWR oder der Schweiz haben.
3. Der gewöhnliche Aufenthalt muss nicht an einem konkreten Ort oder in einem bestimmten Gebiet liegen; vielmehr reicht es aus, wenn der Aufenthalt für eine gewisse Dauer im genannten Territorium (EU, EWR, Schweiz) besteht, solange die Kinder sich – entsprechend der gesetzgeberischen Intention – nicht in Drittstaaten aufhalten.
Normenkette
AO § 9; EStG § 32 Abs. 1, § 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 6; AO § 8
Tatbestand
Streitig ist, ob der Aufenthalt der Kinder des Klägers im Streitzeitraum Juni 2022 bis Februar 2023 im Gebiet der EU für die Gewährung von Kindergeld ausreicht.
Der Kläger ist der Vater der Kinder B Y (geboren am xx.xx.2015), C Y (geboren am xx.xx.2018) und D Y (geboren am xx.xx.2020). Die Kindesmutter bezog bis Mai 2022 das Kindergeld für die drei Kinder und zeigte Ende Mai 2022 gegenüber der Familienkasse Q an, dass sie sich und die drei Kinder aus Deutschland abgemeldet und keine neue Adresse angegeben habe. Der Wohnsitz des Klägers bleibe weiterhin die …-Straße … in R. Das Kindergeld solle auf das Konto des Klägers überwiesen werden.
Mit Bescheid vom 07.06.2022 lehnte die Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes ab Juni 2022 gegenüber dem Kläger ab. Zur Begründung führte sie aus, dass die Kinder nicht mehr berücksichtigt werden könnten, da sie weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland oder in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) Anwendung findet, hätten.
Mit von beiden Elternteilen am 21.06.2022 unterschriebenem Antrag beantragte der Kläger die Festsetzung von Kindergeld für seine drei Söhne ab Juni 2022 an sich. Für die Kinder gab er keinen festen Wohnsitz an.
Mit Schreiben vom 12.07.2022 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er die angeforderten Unterlagen vollständig eingereicht habe. Die Prüfung der Familienkasse habe ergeben, „dass die Anspruchsvoraussetzungen für Kindergeld vorgelegen haben. Der Bescheid vom 07.06.2022 hat weiterhin Bestand.”
Mit E-Mail vom 18.07.2022 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er in Deutschland einen Wohnsitz habe und unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sei. Seine Frau und die drei Kinder befänden sich auf Reisen innerhalb der Europäischen Union.
Die Beklagte legte den am 21.06.2022 eingereichten Antrag als Einspruch gegen den Bescheid vom 07.06.2022 aus. Auf Nachfrage erklärte der Kläger, dass für die Kinder die territorialen Voraussetzungen des § 63 Abs. 1 Satz 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vorlägen, da sich die Kinder mit der Kindesmutter zwar in wechselnden Ländern aufhielten, bei denen es sich jedoch ausschließlich um Staaten der EU, des EWR oder der Schweiz handele. In den Monaten Juni bis Oktober 2022 hätten sich die Kinder mit der Mutter in Deutschland – Dänemark – Deutschland – Belgien – Holland – Belgien – Frankreich – Italien – Österreich – Deutschland – Dänemark aufgehalten. Der Kläger reichte entsprechende Zahlungsbelege betreffend die Monate Juli 2022 bis Oktober 2022 ein. Derzeit halte sich die Familie in Deutschland auf. Es sei auch geplant, als nächstes Spanien zu bereisen. Die Auslandsreisen erfolgten in einem Wohnmobil.
Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 08.02.2023 als unbegründet zurückgewiesen. Die Beklagte führte zur Begründung aus, dass gemäß § 63 Abs. 1 Satz 6 EStG Kinder nicht berücksichtigt werden, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat auf den das Abkommen über den europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, haben. Es sei denn, sie lebten im Haushalt eines Berechtigten i. S. des § 62 Abs. 1 Nr. 2 a EStG, deren Voraussetzung der Kläger aber nicht erfülle. Es komme daher allein auf den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt der Kinder in den genannten Gebieten an. Nach Würdigung der Beklagten hätten die Kinder B, C und D keinen Wohnsitz in einem begünstigten Gebiet.
Die Beklagte versteht den Begriff des „gewöhnlichen” Aufenthaltes gleichbedeutend mit „dauernd”. Den „gewöhnlichen” Aufenthalt habe jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen ließen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Als gewöhnlicher Aufenthalt sei stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sech...