Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerfreie Kostenpauschale für Abgeordnete, Verfahren beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), Ruhen des Verfahrens
Leitsatz (redaktionell)
1) Einem Steuerpflichtigen, der die einfachgesetzlichen Voraussetzungen des § 3 Nr. 12 EStG nicht erfüllt, können auch aus Gleichbehandlungsgründen keine pauschalen Werbungskosten oder Betriebsausgaben in Höhe der steuerfreien Aufwandsentschädigung nach § 12 AbgG gewährt werden (Anschluss an BFH v. 11.9.2008 - VI R 13/06, BStBl. II 2008, 928 und VI R 63/04, BFH/NV 2008, 2018 sowie BVerfG v. 26.7.2010 - 2 BvR 2227/08 und 2 BvR 2228/08, BVerfGK 17, 438).
2) Europäischer Gerichtshof i.S.v. § 363 Abs. 2 Satz 2 AO ist nicht der EGMR mit Sitz in Straßburg, sondern nur der EuGH mit Sitz in Luxemburg (Abschluss an BFH v. 10.5.2012 - X B 183/11, BFH/NV 2012, 1570). Ein Einbezug des EGMR in den Anwendungsbereich der Vorschrift aufgrund erweiternder Auslegung oder Analogie kommt nicht in Betracht.
Normenkette
AO § 363 Abs. 2 S. 2; EStG § 3 Nr. 12
Tatbestand
Der Kläger ist verheiratet und wurde im Streitjahr 2010 getrennt zur Einkommensteuer veranlagt. Er erzielte Einkünfte aus Gewerbebetrieb sowie aus nichtselbständiger Arbeit.
Nach Abgabe der Einkommensteuererklärung setzte der Beklagte die Einkommensteuer gegen den Kläger mit Bescheid vom 12.09.2011 auf 57.654 Euro fest.
Hiergegen wandte sich der Kläger mit seinem Einspruch vom 16.09.2011 mit dem Hinweis, dass wegen der Nichtberücksichtigung pauschaler Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben in Höhe der steuerfreien Aufwandsentschädigung nach § 12 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages (AbgG) beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zwei Verfahren anhängig seien (Az. 7258/11 und 7227/11). Es bestünden Rechtmäßigkeitsbedenken, weil „normale” Steuerpflichtige diese nicht erhielten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) (Urteil vom 14.10.2004 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307, NJW 2004, 3407) und nach Art. 46 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) bestehe die Pflicht der deutschen Gerichtsbarkeit und der Behörden zur Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR. Damit seien die anhängigen Verfahren für alle gleichgelagerten Fälle von Bedeutung. Der Kläger erklärte sich mit dem Ruhen des Verfahrens aus Zweckmäßigkeitsgründen nach § 363 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) einverstanden. Hinsichtlich der Zweckmäßigkeit verwies er auf einen Beitrag von Nebe, Stbg 2010, 293.
Nach Ergehen eines Änderungsbescheides vom 21.09.2011 wegen hier nicht mehr streitgegenständlicher Punkte wies der Beklagte den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 23.09.2011 als unbegründet zurück.
Die Voraussetzungen des § 3 Nr. 12 des Einkommensteuergesetzes (EStG) lägen beim Kläger nicht vor. Er gehöre nicht zum begünstigten Personenkreis nach § 12 AbgG. Im Übrigen scheitere die Erweiterung der steuerfreien Kostenpauschale auf andere Berufsgruppen daran, dass die beruflich veranlassten Aufwendungen anderer Berufsgruppen als Abgeordneten im Gegensatz zu den besonderen, mandatsbezogenen Aufwendungen der Abgeordneten nicht durch eine Einheitspauschale mit Abgeltungswirkung erfasst würden.
Eine Ausweitung der Regelung durch den Gesetzgeber käme allenfalls auf vergleichbare Berufsgruppen in Betracht, sodass weder verfassungsrechtliche Bedenken in Bezug auf die Besteuerung des Klägers bestünden noch Entscheidungserheblichkeit gegeben sei. Auch der Bundesfinanzhof (BFH) habe entschieden, dass eine Ausdehnung auf andere Berufsgruppen nicht in Betracht komme (Urteile vom 11.09.2008 VI R 13/06, BStBl II 2008, 928 und VI R 63/04, BFH/NV 2008, 2018). Das BVerfG habe die hiergegen gerichteten Verfassungsbeschwerden wegen fehlender Erfolgsaussichten nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom 26.07.2010 2 BvR 2227/08 und 2 BvR 2228/08, BVerfGK 17, 438), da eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht erkennbar sei.
Das Ruhen des Verfahrens sei abzulehnen. Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 363 Abs. 2 Satz 2 AO seien nicht erfüllt. Die sog. Zwangsruhe trete nur ein, wenn ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), BVerfG oder einem obersten Bundesgericht anhängig sei. Der EGMR werde nicht genannt.
Auch ein Ruhen aus Zweckmäßigkeitsgründen nach § 363 Abs. 2 Satz 1 AO scheide nach pflichtgemäßem Ermessen des Beklagten aus, weil keine gewichtigen Gründe vorlägen, die ein Ruhen rechtfertigen würden. Es würden weder Arbeitsaufwand noch eine widersprüchliche Entscheidung vermieden. Das bloße Interesse des Klägers, die Festsetzung offenzuhalten, rechtfertige ein Ruhen nicht. Aus seiner Sicht sei die Rechtslage aufgrund der genannten Rechtsprechung des BFH und des BVerfG eindeutig geklärt.
Mit der am 21.10.2011 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er verweist hierzu auf die Einspruchsbegründung und stellt den Antrag, das Verfahren nach § 363 Abs. 2 Satz 1 AO aus Zweckmäßigkeitsgründen zum Ruhen zu bring...