Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Ausschluss bei Sozialhilfe eines behinderten, volljährigen Kindes
Leitsatz (redaktionell)
Der Grenzwert für Bezüge eines volljährigen nicht behinderten Kindes nach § 32 Abs. 4 S. 2 EStG, ab dem der Kindergeldanspruch entfällt, ist auch auf volljährige behinderte Kinder anzuwenden. Bei der Berechnung dieses Grenzwerts sind Sozialhilfeleistungen nicht zu berücksichtigen, da sie keine "Bezüge" i.S. dieser Norm darstellen. Dies folgt u.a. aus der Systematik des EStG.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 2, § 63 Abs. 1, 1 S. 2, § 32 Abs. 4 Sätze 1, 1 Nr. 3; BSHG § 2; EStG § 32 Abs. 4
Nachgehend
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob Leistungen der Sozialhilfe, die ein behindertes, volljähriges Kind erhielt, den vom Sozialhilfeträger geltend gemachten Kindergeldanspruch ausschließen.
Die Klägerin (Klin.) ist eine Gebietskörperschaft. Sie gewährte dem am 23.02.1961 geborenen E., dessen Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit 80 % betrug und der bei seinem Vater H. lebte, Sozialhilfe nach einem Bedarf von 1.290,62 DM monatlich, wovon bei Festsetzung der Leistung ein Unterhaltsbeitrag des Vaters in Höhe von monatlich 18,14 DM und für die Monate Januar bis Mai 1998 auch ein monatlicher Kindergeldbetrag von 220 DM in Abzug gebracht wurden. Zusätzlich erhielt E. eine vierteljährliche Bekleidungspauschale in Höhe von 150 DM.
Am 05.06.1998 beantragte H. Kindergeld für seinen Sohn. Diesen Antrag lehnte der Beklagte (Bekl.) mit Bescheid vom 09.06.1998 ab. Mit Schriftsätzen vom 15.06.1998 meldete die Klin. beim Bekl. Erstattungsansprüche an und legte gegen den ablehnenden Kindergeldbescheid vom 09.06.1998 Einspruch ein. Diesen Einspruch wies der Bekl. gegenüber der Klin. als unbegründet zurück (Einspruchsentscheidung – EE – vom 22.07.1998).
Dagegen richtet sich die Klage.
Während des Klageverfahrens, am 22.09.1998, verstarb H. Ein Erbscheinverfahren wurde nicht durchgeführt. Die dem Nachlassgericht am Wohnort des H. bekannten Kinder des H. haben das Erbe ausgeschlagen. H. soll nach Auskunft des Nachlassgerichts ein nichteheliches Kind gehabt haben, dessen Aufenthalt aber nicht bekannt ist. Mit an den Bekl. gerichtetem Bescheid vom 26.02.1999 leitete die Klin. die Kindergeldansprüche des H. auf sich über.
Die Klin. meint, sie sei in ihren Rechten verletzt und somit klagebefugt. Die von ihr an E. gewährte Hilfe zum Lebensunterhalt sei kein das Kindergeld ausschließender Bezug im Sinne von § 32 Abs. 4 Satz 1 Satz 3 EStG.
Sie beantragt,
den Bekl. unter Aufhebung des Bescheids vom 09.06.1998 und der EE vom 22.07.1998 zu verpflichten, Kindergeld für den Zeitraum Juni 1998 bis September 1998 in Höhe von insgesamt 880 DM zu bewilligen und an die Klin. auszuzahlen.
Der Bekl. beantragt,
- die Klage abzuweisen.
- hilfsweise für den Unterliegensfall die Revision zuzulassen.
Er meint, die Klin. sei nicht klagebefugt. Auch sei die Klage unbegründet. Die Sozialhilfe sei ein anrechenbarer Bezug im Sinne von § 32 Abs. 4 Nr. 3 EStG. Sie decke den notwendigen Lebensbedarf des Kindes, daher bestehe für eine steuerliche Entlastung des Kindergeldberechtigten kein Bedürfnis. Die kindergeldschädliche Grenze des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG (im Streitjahr 12.360 DM) sei auch unter Berücksichtigung des behinderungsbedingten Mehrbedarfs des E. überschritten. Die Arbeitsverwaltung habe das der Klage stattgebende Urteil des Finanzgerichts Münster vom 06. Mai 1998 4 K 3534/97 Kg, EFG 1998, 1209 trotz Zulassung der Revision rechtskräftig werden lassen, weil es im dortigen Fall um den Sozialhilfebezug eines nichtbehinderten Kindes gegangen sei, während im vorliegenden Fall das Kind behindert sei.
Entscheidungsgründe
II.
1. Der Senat sieht es als sachgerecht an, gemäß § 94 a FGO ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden. Der Streitwert beträgt entgegen der Auffassung des Bekl. nur 450 EUR. Die Klin. und nicht der Bekl. bestimmt den Umfang des Verfahrensgegenstands. Die Klin. hat mit Schriftsatz vom 22.01.2002 klargestellt, dass das Kindergeld nur für Juni 1998 bis September 1998 begehrt wird. Für den Zeitraum davor wäre die Klin. auch gar nicht beschwert, weil sie das Kindergeld bei der Auszahlung der Sozialhilfe gegengerechnet hat.
2. Eine Beiladung des H. gemäß § 60 Abs. 3 FGO ist nicht mehr möglich, da er verstorben ist (sh. zur Frage der Beiladung: BFH-Beschluss vom 12. Januar 2001 VI R 49/98, BStBl II 2001, 246). Das Gericht sieht aus prozessökonomischen Gründen davon ab, zwecks Beiladung weitere Ermittlungen zur Bestimmung des Aufenthalts des namentlich nicht bekannten Erben des H. durchzuführen oder eine Beiladung des (unbekannten) Erben über einen Abwesenheitspfleger vorzunehmen. Da die Klin. den streitigen Kindergeldanspruch des H. auf sich übergeleitet hat, ist nämlich kein wirtschaftliches Interesse des Erben an einer Beiladung erkennbar. Auch ist nicht einmal sicher, ob überhaupt ein nichteheliches Kindes des H. lebt und ob dieses, falls es vom Erbfall Kenntnis erlangt, nicht ebenfalls das E...