Entscheidungsstichwort (Thema)
Zugang eines Steuerbescheides, inländischer Wohnsitz bei Schulbesuch und Mit-Aufenthalts der Kindesmutter im Ausland
Leitsatz (redaktionell)
1) Bestreitet ein Steuerpflichtiger, einen Verwaltungsakt bekommen zu haben, obliegt der Behörde der volle Beweis über den Zugang. Ein Anscheinsbeweis greift nicht; der Zugang muss mittels allgemeiner Beweisregeln, insbesondere durch einen Indizienbeweis, nachgewiesen werden.
2) Ein Kind kann seinen Wohnsitz im Inland auch nach Aufnahme des Schulbesuchs in der Türkei beibehalten. Die familiäre Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft bleibt auch im Fall des Mit-Aufenthalts der Kindesmutter grenzüberschreitend erhalten.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; AO § 122 Abs. 2 Hs. 2
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für ein Kind, das im Streitzeitraum nur in den Ferienzeiten in der Wohnung des Klägers und ansonsten mit seiner Mutter in der Türkei lebte und dort die Schule besuchte.
Der Kläger ist Vater der Kinder F. (geboren am …03.204), T1. (geboren am …07.2007), P1. (geboren am …09.2008) und T2. (geboren am …09.2011) P. Der Kläger stammt gebürtig aus Y. in der Türkei. Seine Eltern sind bereits verstorben; seine Geschwister leben – wie er – in X. Der Kläger ist in X. Inhaber eines Betriebs. Die Kindesmutter ist bulgarische Staatsangehörige und war dort Teil der türkischstämmigen Minderheit. Ihre Eltern leben in Bulgarien. Die Kinder lebten seit ihrer Geburt mit ihren Eltern in X.
Im September 2014 entschieden der Kläger und die Kindesmutter, dass die Kinder in Y. die Grundschule besuchen sollten. Die Kinder sollten zweisprachig aufwachsen und auch die türkische Sprache lernen. Der Kläger mietete in Y. eine Wohnung für die Kindesmutter und die Kinder. Der Kläger und die Kindesmutter hatten auch die Unterbringung in einem Internat in Erwägung gezogen; die Kinder waren dafür aber zu jung. Die Familienwohnung in X. kündigte der Kläger und zog innerhalb X.s in eine kleinere und günstigere Wohnung um. In der Wohnung waren für Aufenthalte der Kinder Etagenbetten aufgestellt. Das Ehebett stand in einem auch als Büro genutzten Zimmer.
In den folgenden Sommerferien kehrten die Kindesmutter und die Kinder nach X. zurück. Im Sommer 2015 holte der Kläger die Kindesmutter und die Kinder mit dem Auto zu Beginn der Sommerferien ab und brachte sie gegen Ende der Sommerferien wieder zurück. In den Folgejahren erfolgte die Hin- und Rückreise mit dem Flugzeug: Die Kindesmutter und die Kinder flogen im Jahr 2016 am 09.06. nach Deutschland und am 09.09 in die Türkei, im Jahr 2017 am 13.06. nach Deutschland und am 01.09. in die Türkei und im Jahr 2018 am 11.06. nach Deutschland und am 19.08. in die Türkei.
Im Jahr 2017 kündigte der Kläger diese Wohnung und mietete ab Oktober eine andere Wohnung mit mehr Zimmern in X. an.
Aus den Auszügen aus dem Melderegister der Stadt X., die sich in den Kindergeldakten befinden, ergeben sich folgende Daten:
[…]
Im Rahmen eines Datenabgleichs mit der Meldebehörde stellte die Beklagte fest, dass die Kinder F., T1., P1. und T2. im Zeitraum September 2014 bis September 2015 nicht behördlich gemeldet waren, F. seit Februar 2017 nach unbekannt abgemeldet wurde und T1., T2. und P1. von März bis August 2017 nicht unter der Adresse des Klägers gemeldet waren.
Mit Schreiben vom 10.10.2017 und vom 06.02.2018 forderte die Beklagte den Kläger zur Stellungnahme auf. Nachdem dieser nicht reagierte, hob sie mit Bescheid vom 19.04.2018 die Kindergeldfestsetzung für das Kind F. für den Zeitraum Oktober 2014 bis Juni 2015 und von März 2017 bis September 2017 auf und forderte die Erstattung der überzahlten Beträge. Der Bescheid wurde damit begründet, dass das Kind nicht im Haushalt des Klägers gelebt hätte. Für die anderen Kinder erging am Tag darauf ebenfalls ein Aufhebungsbescheid.
Mit Schreiben vom 08.05.2018 teilte die Straf- und Bußgeldstelle der Beklagten dem Kläger mit, es werde ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet; das Schreiben nahm auf die Bescheide vom 19. und 20.04.2018 Bezug. Mit Schreiben vom 24.05.2018 teilte der Kläger mit, er habe das Schreiben vom 08.05.2018, nicht aber die Bescheide vom 19. und 20.04.2018 erhalten.
Die Bescheide wurden mit Schreiben vom 01.06.2018 erneut übersandt, nachdem vorsorglich eingelegte Einsprüche als unzulässig zurückgewiesen worden waren, weil die Bescheide nicht bekannt gegeben worden seien. Der Kläger legte am 11.06.2018 erneut Einspruch gegen den Bescheid vom 19.04.2018 ein. Der Einspruch wurde nicht begründet, nachdem ein Antrag auf Akteneinsicht abgelehnt worden war. Mit Einspruchsentscheidung vom 09.10.2018 wurde der Einspruch mangels Begründung als unbegründet zurückgewiesen.
Im Rahmen des Verfahrens des Klägers hinsichtlich der Kinder T1., P1. und T2. fiel den Beteiligten aufgrund eines richterlichen Hinweises auf, dass keine Klage wegen des Kindes F. anhängig war. Der Kläger teilte mit, wegen des Kindes F...