Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlassanspruch bei Sanierungsgewinnen
Leitsatz (redaktionell)
Liegen die Voraussetzungen eines steuerfreien Sanierungsgewinns i.S.d. § 3 Nr. 66 EStG a.F. vor und verbleibt nach Ausschöpfung der ertragsteuerlichen Verlustverrechnungsmöglichkeiten ein Sanierungsgewinn, hat der Steuerpflichtige einen Anspruch auf Erlass der auf den verbleibenden Sanierungsgewinn entfallenden Steuern.
Normenkette
EStG §§ 3, 3 Nr. 66, § 10d; AO 1977 § 227
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beklagte (Bekl.) zu Recht einen Antrag auf Erlass der Einkommensteuer (ESt) 1998 einschließlich steuerlicher Nebenabgaben abgelehnt hat.
Die Klägerin (Klin.) hatte im Kalenderjahr 1996 ein Grundstück zum Betrieb eines Lebensmittelmarktes von der F Handelsgesellschaft … GmbH … (nachfolgend: F) gepachtet. Die in Aussicht gestellte Umsatzentwicklung erfüllte sich jedoch nicht, da sich die Standortbedingungen verschlechtert hatten sowie gegebene Zusagen nicht eingehalten worden waren. Schließlich kam es zur Beendigung des Pachtvertrages durch Vereinbarung vom 28.02.1998 unter Übernahme aller Vermögenswerte und Verbindlichkeiten des Marktes durch die Verpächterin.
Der Bekl. sah in dem Forderungsverzicht der Verpächterin eine Erhöhung des Betriebsvermögens der Klin. und ging im ESt-Bescheid 1998 vom 17.11.2000 von einem Aufgabegewinn in Höhe von 612.298 DM aus. Die verbleibende ESt betrug danach bei Einkünften des Ehemannes der Klin. von insgesamt 5.251 DM und unter Berücksichtigung eines laufenden Verlustes der Klin. von 43.927 DM aus Gewerbebetrieb 113.727 DM.
Mit Schreiben vom 19.03.2001 an den Bekl. beantragte die Klin. den Erlass der ESt 1998 einschließlich steuerlicher Nebenabgaben. Durch die Einziehung der Steuerforderung werde ihre Existenz gefährdet. Der Bekl. sei der einzige verbleibende Gläubiger. Der Schuldenerlass der F sei zum Zwecke der Sanierung der Betriebsinhaberin erfolgt. Es seien danach sämtliche Schulden erlassen worden. Zur Zeit erziele sie als Mitarbeiterin in einem Drogeriemarkt in … Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit mit einem Nettolohn von ca. 2.600 DM. Sie lebe getrennt von ihrem Ehemann und habe für ihre Tochter zu sorgen. Die Einnahmen deckten gerade die Kosten der Lebensführung.
Mit Bescheid vom 05.04.2001 wies der Bekl. den Erlassantrag zurück. Auch der Einspruch der Klin. blieb ohne Erfolg.
Mit Einspruchsentscheidung (EE) vom 22.02.2002 sah der Bekl. die Voraussetzungen für einen Erlass der Steuerschulden aus persönlichen Billigkeitsgründen nicht als vorliegend an. Auch ein Erlass der verwirkten Säumniszuschläge komme nicht in Betracht. Nur in Ausnahmefällen könnten Säumniszuschläge wegen sachlicher Unbilligkeit erlassen werden, wenn z.B. im Säumniszeitraum die Voraussetzungen für einen Erlass der Hauptschuld erfüllt gewesen seien.
Mit der vorliegenden Klage verfolgt die Klin. ihr Begehren weiter. Sie macht geltend, der unstreitig in Sanierungsabsicht erfolgte Verzicht der Gläubigerin habe im Streitfall lediglich zu einem Buchgewinn geführt. Damit gehe aber kein individueller Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit einher, der allein eine Steuererhebung rechtfertigen könne. Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit zwinge deshalb zu einem Billigkeitserlass, weil nur so das Nettoprinzip gewahrt werde. Ein Erlass der ESt auf den Sanierungsgewinn im Streitfall wegen sachlicher Unbilligkeit folge auch aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH). Danach genüge es im Hinblick auf den ehemaligen § 3 Nr. 66 Einkommensteuergesetz (EStG) für das Vorliegen der Sanierungseignung, wenn der Forderungserlass dem Einzelunternehmen ermögliche, das von ihm betriebene Unternehmen aufzugeben, ohne von weiter bestehenden Schulden beeinträchtigt zu sein (BFH-Urteile vom 14.03.1990 I R 64/85, BStBl. II 1990, 810 sowie I R 106/85, BStBl. II 1990, 813). Im Übrigen habe die Klin. bereits im Vorverfahren mitgeteilt, dass in der Zeit zwischen dem Vergleich mit der F und dem Erlassantrag beim Bekl. keine anderen außersteuerlichen Schulden bestanden hätten, die vorab getilgt worden seien.
Die Klin. beantragt,
den Bekl. zu verpflichten, die streitige Steuerschuld einschließlich steuerlicher Nebenabgaben – so wie in der EE vom 22.02.2002 betragsmäßig wiedergegeben – mit Ausnahme der Kirchensteuer zu erlassen.
Der Bekl. beantragt,
die Klage abzuweisen.
Ein Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen komme nicht in Betracht, weil es an der Erlassbedürftigkeit fehle. Denn ein Erlass sei nur dann gerechtfertigt, wenn die wirtschaftliche Notlage durch die steuerliche Inanspruchnahme selbst verursacht werde. Dies scheide im Streitfall aus, weil der Bekl. nach den derzeitigen wirtschaftlichen Verhältnissen der Klin. seine Steueransprüche ohnehin nicht durchsetzen könne. Auch ein Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen scheide aus, weil nach dem BMF-Erlass vom 27.03.2003 IV A 6-S-2140-8/03 (BStBl. I 2003, 240 ff.) eine begünstigte Sanierung nicht vorliege, soweit Schulden erlassen würd...