Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerstreitende Steuerfestsetzung bei bewusster Erfassung eines Sachverhalts durch das Finanzamt in einem unzutreffenden Veranlagungszeitraum
Leitsatz (amtlich)
Ein Fall widerstreitender Steuerfestsetzung liegt dann nicht vor, wenn das Finanzamt aus Vereinfachungsgründen erstattete Sonderausgaben (Kirchensteuer), die mehrere Veranlagungszeiträume betreffen, in einem einzigen Veranlagungszeitraum berücksichtigt. Wird der Einkommensteuerbescheid für diesen Veranlagungszeitraum auf die Klage des Steuerpflichtigen hin durch Urteil geändert, so kann das Finanzamt die erstatteten Sonderausgaben dann nicht mehr in den zutreffenden Veranlagungszeiträumen erfassen, wenn für diese Festsetzungsverjährung eingetreten ist. Ein Fall des § 174 Abs. 4 AO liegt nicht vor, wenn es an der irrigen Beurteilung des Sachverhaltes fehlt, das Finanzamt vielmehr bewusst einen falschen Steuerbescheid erlässt.
Normenkette
AO § 174 Abs. 4
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob die Einkommensteuerbescheide 2000-2003 noch nach § 174 Abs. 4 AO zu Ungunsten der Klägerin geändert werden konnten.
Auslöser des vorliegenden Rechtsstreites ist eine Entscheidung des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. August 2011 (2 K 1270/10). Ausgangspunkt dieses Rechtsstreits war ein am 14. September 2009 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nummer 2 AO geänderter Einkommensteuerbescheid 2004. Damit hat der Beklagte im Jahre 2005 der Klägerin zugeflossene Kirchensteuerübererstattungen, welche aus Kirchensteuerzahlungen für die Veranlagungszeiträume 2000-2003 resultierten, in den Veranlagungszeitraum 2004 zurück übertragen. Im genannten gerichtlichen Verfahren befand das Gericht, dass Kirchensteuernübererstattungen nicht aus Vereinfachungsgründen in das jüngste Zahlungsjahr zurückgetragen werden könnten, sondern dem jeweiligen Zahlungsjahr zuzuordnen seien. Danach durften in 2004 nur noch Übererstattungen von 11.199,24 € als die Sonderausgaben mindernd zurückgetragen werden. Dies führte dazu, dass die Übererstattungen für 2000 bis 2003 bei der Berechnung der Sonderausgaben unberücksichtigt blieben. Der Einkommensteuerbescheid 2004 wurde nach den Vorgaben des Urteils am 13. Dezember 2011 geändert. Alle dadurch nicht berücksichtigten Übererstattungen übertrug der Beklagte nunmehr auf die entsprechenden Zahlungsjahre 2000 bis 2003 und änderte die entsprechenden Einkommensteuerbescheide am 5. April 2012 nach § 174 Abs. 4 AO zu Ungunsten der Klägerin.
Mit ihrem Einspruch hiergegen trug die Klägerin vor, beim Erlass des geänderten Einkommensteuerbescheides 2004 am 14. September 2009 sei für 2000 bis 2003 bereits Festsetzungsverjährung eingetreten gewesen. Die Einkommensteuerbescheide 2000 bis 2003 könnten deshalb nur dann nach § 174 Abs. 4 AO geändert werden, wenn die Voraussetzungen des § 174 Abs. 3 Satz 1 AO vorlägen. Dazu müsse ein bestimmter Sachverhalt in den Einkommensteuerbescheiden 2000 bis 2003 erkennbar in der Annahme nicht berücksichtigt worden sein, weil er in dem Bescheid für 2004 zu berücksichtigen sei. Stelle sich die Annahme als unrichtig heraus, könne die Festsetzung, bei der die Berücksichtigung unterblieben sei, hier in 2000 bis 2003 geändert werden. Diese Voraussetzungen dürften nicht vorliegen. Überdies sei § 174 Abs. 3 Satz 2 AO zu beachten, wonach die Änderung für 2000 bis 2003 nur bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist 2004 zulässig sei. Diese sei jedoch mit der Rechtskraft des Urteils für 2004 abgelaufen. § 174 Abs. 4 AO sei nur anwendbar, wenn aus dem Sachverhalt, der der irrigen Beurteilung des Finanzamts zu Grunde gelegen habe, andere steuerliche Folgen gezogen werden müssten. Der Beklagte trage die Beweislast dafür, dass die fehlerhafte Erfassung des Sachverhaltes auf einer irrigen Beurteilung beruhe. Er müsse beweisen, aufgrund welcher noch nachvollziehbaren Erwägungen er den Sachverhalt im falschen Bescheid erfasst habe. Das Gericht habe eindeutig darauf hingewiesen, dass die Handhabe des Beklagten der Rechtsprechung und Verwaltungsmeinung widerspreche. Ein Hinausschieben der durch das rückwirkende Ereignis geänderten Festsetzungsfrist durch Bezug auf § 174 AO sei damit nicht möglich. Der Einkommensteuerbescheid 2003 vom 14. September 2009 sei zudem bereits nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nummer 2 AO geändert und wegen § 173 Abs. 2 AO nicht mehr änderbar.
Mit Einspruchsentscheidung vom 25. Juni 2012 wurden die Einsprüche gegen die Einkommensteuerbescheide 2000 bis 2003 als unbegründet zurückgewiesen. Hierzu trug der Beklagte vor, § 174 Abs. 4 AO wirke erstrittenen Vorteilen des Steuerpflichtigen durch folgerichtige Korrektur an anderer Stelle entgegen. Würden fehlerhafte Steuerfestsetzungen aufgrund irriger Beurteilung auf Initiative des Steuerpflichtigen geändert, könne der Beklagte Fehler bezüglich desselben Sachverhaltes in anderen Festsetzungen zu Ungunsten des Steuerpflichtigen korrigieren. Eine fehlerhafte Beurteilung des Sachverhaltes im Tatsächlichen oder Rechtlichen od...