Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung
Leitsatz (redaktionell)
Die öffentliche Zustellung in Fällen eines unbekannten Aufenthaltsorts des Empfängers ist erst als letztes Mittel zulässig, wenn alle Möglichkeiten erschöpft sind, das Schriftstück dem Empfänger in anderer Weise zu übermitteln. Es sind über die routinemäßigen Anfragen bei der Meldebehörde hinaus keine weiteren Nachforschungen bei anderen Einrichtungen oder Personen anzustellen, wenn die konkrete Sachverhaltsgestaltung dies nahelegt.
Normenkette
VwZG § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit von Schätzungsbescheiden betreffend die Einkommensteuer, Umsatzsteuer und den Gewerbesteuermessbetrag für die Streitjahre 1998 bis 2002.
Der Kläger war wegen vielfachen Betrugs strafgerichtlich zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden, die er von November 2003 bis April 2006 in der Justizvollzugsanstalt – seit November 2004 mit Ausgang – verbüßte.
Im September 2006 erhielt die Steuerfahndungsstelle des Finanzamts durch die Kriminalpolizei das im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren sichergestellte umfangreiche Beweismaterial zur steuerlichen Auswertung. Mit Schreiben vom 13. August 2007 versuchte die Steuerfahndung dem Kläger das Ergebnis der Ermittlungen zur Wahrung rechtlichen Gehörs an seine zuletzt bekannte Adresse in der S-Straße in W zur Stellungnahme zu übermitteln (Bl. 36 der Steuerfahndungsakte – Steufa-Akte –). Nachdem das Schreiben durch die Post als unzustellbar zurückgeschickt worden war (Bl. 40, 43 Steufa-Akte) bediente sich die Steuerfahndung im Wege der Amtshilfe des Finanzamts W. Letzteres führte eine Ortsbesichtigung an der vorstehend genannten Adresse durch, ohne dass sich Hinweise auf die Person des Klägers ergaben. Eine Anfrage beim Einwohnermeldeamt der Stadt W ergab, dass der Kläger seit dem 1. Januar 2006 unter der Adresse S-Straße in W gemeldet gewesen war und selbst eine Abmeldung nicht vorgenommen hatte. Schließlich hatte die Stadtverwaltung W im Juli 2006 melderechtlich eine Zwangsabmeldung vorgenommen, weil der Kläger dort nicht (mehr) wohnhaft gewesen war (vgl. Bl. 45, 46 Steufa-Akte Mainz-Süd).
In ihrem Bericht vom 14. Januar 2008 ging die Steuerfahndungsstelle deshalb davon aus, dass der Kläger unbekannten Aufenthalts sei (Bl. 23 – 25 der Steuerfahndungsakte des beklagten Finanzamts – Steufa-Akte FA –).
Auf der Grundlage dieses Berichts erließ der Beklagte jeweils unter dem 13. März 2008 geänderte Einkommensteuerbescheide, Umsatzsteuerbescheide sowie geänderte Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag für die Streitjahre 1998 bis 2002, wobei eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen erfolgte (Bl. 1 ff. Steufa-Akte FA).
Die Änderungsbescheide wurden durch Aushang in der Zeit vom 27. März bis 11. April 2008 öffentlich zugestellt, da der derzeitige Aufenthaltsort des Klägers unbekannt und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich sei.
Nachdem die Vollstreckungsstelle des Beklagten mit Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 7. Juli 2008 auf das Konto des Klägers bei der Bank für Investments und Wertpapiere (BIW) sowie auf dessen Depot mit Wertpapieren zugegriffen hatte, legte der Kläger, der von der BIW über die Pfändungs- und Einziehungsverfügung und nachfolgend im Rahmen eines Telefonats von dem Beklagten über die öffentliche Zustellung in Kenntnis gesetzt worden war, Einspruch gegen die Änderungsbescheide vom 13. März 2008 ein (Bl. 13 Steufa-Akte FA). Zur Begründung machte er im Kern geltend, dass die öffentliche Zustellung der angefochtenen Bescheide unwirksam sei, da das Finanzamt es unterlassen habe, seine Adresse in Erfahrung zu bringen, obwohl dies möglich gewesen wäre. Hilfsweise begehrte er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Bl. 42 Steufa-Akte FA). Im Übrigen seien die Schätzungen des Finanzamts erkennbar überhöht (Bl. 57 Steufa-Akte FA).
Den Antrag des Klägers auf Aussetzung der Vollziehung (Bl. 56 Steufa-Akte FA) lehnte der Beklagte ab, da die geforderten Sicherheitsleistungen bis zu dem vom Finanzamt bestimmten Termin nicht erbracht worden seien (Bl. 67 Steufa-Akte FA).
Mit Einspruchsentscheidung vom 8. Oktober 2008 wurden die Einsprüche des Klägers gegen die Änderungsbescheide vom 13. März 2008 als unzulässig verworfen, da die öffentliche Bekanntgabe wirksam sei und daher die angefochtenen Bescheide in formelle Bestandskraft erwachsen seien (Bl. 146 ff. Steufa-Akte FA).
Der Kläger hat am 10. November 2008 Klage erhoben (Blatt 3 der Prozessakten – PA –) und am gleichen Tage einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (AZ: 3 V 2541/08) gestellt.
Den Eilantrag hat der Senat mit Beschluss vom 7. Dezember 2009 abgelehnt (vgl. Blatt 69 ff. der Verfahrensakte 3 V 2541/08).
Im Rahmen des Eilverfahrens hatte der Kläger zur Begründung seines Aussetzungsantrags im Wesentlichen vorgetragen:
Mangels ordnungsgemäßer Bekanntgabe seien die a...