Prof. Dr. Michael Fischer
Rz. 104
Die gesetzliche Erbfolge tritt ein, wenn keine wirksame Verfügung von Todes wegen vorliegt oder der Erblasser in einer wirksamen Verfügung von Todes wegen nicht vollständig über seinen Nachlass verfügt hat. Der Gesetzgeber folgt dem Konzept eines Familienerbrechts, indem er Verwandte und Ehegatten zu gesetzlichen Erben bestimmt. Voraussetzung für das gesetzliche Verwandtenerbrecht ist das Bestehen eines entsprechenden Verwandtschaftsverhältnisses, das dann vorliegt, wenn 2 Personen voneinander oder von derselben dritten Person abstammen. Ein Verwandtschaftsverhältnis kann auch durch Adoption begründet werden. Die Adoption eines Minderjährigen führt zu vollen verwandtschaftlichen Beziehungen nicht nur zu den Adoptiveltern, sondern auch zu deren Verwandten, während sogleich die bisherigen Verwandtschaftsverhältnisse des Adoptierten erlöschen, soweit nicht die Adoptiveltern mit dem Minderjährigen im 2. oder 3. Grad – etwa bei der Adoption eines Enkels durch die Großeltern – verwandt sind. Demgegenüber entsteht bei der Adoption volljähriger Personen grundsätzlich kein Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Adoptierten und den Verwandten der Adoptiveltern, sodass die bisherigen verwandtschaftlichen Beziehungen fortbestehen.
Rz. 105
Das deutsche Verwandtenerbrecht wird von 3 wesentlichen Leitprinzipien geprägt, dem Ordnungsprinzip (oder Parentelprinzip), dem Linienprinzip und – praktisch weniger relevant – dem Gradualprinzip. Grundlegend ist zunächst die Erbfolge nach Ordnungen. Zu einer Ordnung gehören jeweils die Personen, die von dem Erblasser selbst bzw. dessen Vorfahren auf einer bestimmten Stufe abstammen. Die Abkömmlinge des Erblassers selbst, also seine Kinder, Enkel, Urenkel usw., bilden die 1. Ordnung. Die 2. Ordnung nimmt ihren Ausgangspunkt bei den Eltern des Erblassers und umfasst diese sowie sämtliche Abkömmlinge der Eltern des Erblassers, also Geschwister, Neffen und Nichten, usf. des Erblassers. Die 3. Ordnung geht eine weitere Stufe zurück und umfasst die Großeltern des Erblassers und deren Abkömmlinge, also Onkel, Tante, Cousin, Cousine, usf. Innerhalb des Ordnungsprinzips gelten das Rangfolge- und Repräsentationsprinzip. Aus dem Rangfolgeprinzip folgt, dass Verwandte einer höheren Ordnung nicht zu Erben berufen sind, wenn zur Zeit des Erbfalls auch nur ein einziger Verwandter einer niedrigeren Ordnung vorhanden ist. Besitzt der Erblasser also z. B. eine einzige Enkelin (Erbin 1. Ordnung), dann sind Eltern, Großeltern, Geschwister, Onkel, Tanten und deren sämtliche Abkömmlinge als Erben 2. und 3. Ordnung von der gesetzlichen Verwandtenerbfolge ausgeschlossen. Innerhalb derselben Ordnung gilt das Repräsentationsprinzip. Danach repräsentiert der mit dem Erblasser nächstverwandte Abkömmling die durch ihn mit dem Erblasser verwandten weiteren Abkömmlinge (seinen Stamm) und schließt sie dadurch von der Erbfolge aus. Z. B. sind beim Tod des Großvaters dessen Enkel – Kinder seines Sohnes – durch seinen Sohn "repräsentiert" und damit von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen. Das sog. Linienprinzip kommt beim gesetzlichen Erbrecht der 2. und 3. Ordnung zum Zuge und bedeutet, dass etwa die Erben 2. Ordnung der väterlichen Linie (Vater und Abkömmlinge des Vaters) und der mütterlichen Linie (Mutter und Abkömmlinge der Mutter) zu unterscheiden sind. Ab der praktisch seltenen Erbfolge der 4. Ordnung – Urgroßeltern und deren Abkömmlinge – gilt nicht mehr das Linienprinzip, sondern das sog. Gradualsystem, d. h. die Urgroßeltern erben zu gleichen Teilen und allein. Sind alle Urgroßeltern bereits vorverstorben, so erbt der Abkömmling eines beliebigen Urgroßelternteils, der mit dem Erblasser dem Grad nach am nächsten verwandt ist. Der Verwandtschaftsgrad lässt sich dadurch ermitteln, dass man die Zahl der Geburten ermittelt, die "die Verwandtschaft vermitteln". Völlig verdrängt werden im Übrigen Erben der 4. Ordnung vom Ehegatten des Erblassers, wie vom eingetragenen Lebenspartner des Erblassers.
Rz. 106
Neben das gesetzliche Verwandtenerbrecht tritt das gesetzliche Erbrecht des Ehegatten oder des eingetragenen Lebenspartners. Ausgeschlossen ist es mangels statusrechtlicher Voraussetzungen, wenn zum Zeitpunkt des Erbfalls die Ehe/Lebenspartnerschaft mit dem Erblasser bereits rechtskräftig geschieden ist oder aufgehoben wurde. Darüber hinaus entfällt das Erbrecht gem. § 1933 BGB bzw. § 10 Abs. 3 LPartG, wenn zur Zeit des Erbfalls die materiellen Voraussetzungen für eine Eheaufhebung oder Ehescheidung vorlagen und der Erblasser die Eheaufhebung oder -scheidung beantragt hatte. Zum Schutz des anderen Ehegatten soll es auf die Rechtshängigkeit des Aufhebungs- oder Scheidungsantrags ankommen. Ausgeschlossen ist das gesetzliche Erbrecht schließlich, wenn ein Scheidungsantrag des anderen Ehegatten vorlag und der Erblasser seine Zustimmung erklärt hatte.
Rz. 107
Der Umfang des Ehegattenerbrechts hängt von 2 Faktoren...