Karlheinz Konrad, Dr. Armin Pahlke
Rz. 14
Die vom BVerfG in seinem Urteil vom 17.12.2014 erwartete Neuregelung ist nicht bis zum 30.6.2016, sondern erst durch das am 9.11.2016 veröffentlichte Gesetz
erfolgt. Nachdem die Bundesregierung zunächst einen Gesetzentwurf zur Anpassung des ErbStG an die Rspr. des BVerfG vorgelegt hatte, kam es nach Einwänden der Bayerischen Staatsregierung auf der Grundlage eines Berichts des Finanzausschusses zu einem vom Bundestag am 24.6.2016 beschlossenen Gesetz. Der Bundesrat hat am 8.7.2016 zu dem vom Bundestag am 24.6.2016 verabschiedeten Gesetz die Einberufung des Vermittlungsausschusses "mit dem Ziel der grundlegenden Überarbeitung" beschlossen. Erst nach dieser Einigung konnte das Gesetz in Kraft treten; zu der vom 1. Senat des BVerfG angekündigten erneuten Befassung mit dieser Sache ist es nicht gekommen.
Rz. 14a
Damit stellt sich derzeit die Frage nach den Rechtsfolgen, die sich nach § 37 Abs. 12 S. 1 ErbStG aus der verzögerten ErbStG-Reform für Steuerentstehungszeitpunkte nach dem 30.6.2016 bis zum 9.11.2016 ergeben. Kontrovers beurteilt wird insbesondere, ob das ErbStG nach dem 30.6.2016
- bis zum 9.11.2016 weitergilt oder
- insgesamt nicht mehr anwendbar ist oder
- nur partiell ohne die Verschonungsregelungen nach § 13a und 13b ErbStG weitergilt.
Rz. 14b
Das BFH hat die Rechtsfrage mit eingehender Begründung bejaht. Für die Beantwortung dieser Frage ist vom Tenor des BVerfG-Urteils vom 17.12.2014 auszugehen, der unter Nr. 2 ausführt: "Das bisherige Recht ist bis zu einer Neuregelung weiter anwendbar. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, eine Neuregelung spätestens bis zum 30.6.2016 zu treffen." Eine zeitliche Befristung der Weitergeltung des ErbStG über Nr. 2 S. 1 ist weder dem Tenor dieser Entscheidung noch den sonstigen Gründen des BVerfG-Urteils zu entnehmen. Darin liegt ein bedeutsamer Unterschied zu dem seinerzeit zur Vermögensteuer ergangenen Beschluss vom 22.6.1995, dessen Tenor die Frist zur Neuregelung mit der Nichtanwendbarkeit des bisherigen verfassungswidrigen Gesetzes verknüpfte. Im BVerfG-Urteil vom 17.12.2014 fehlt hingegen eine ausdrückliche Bestimmung darüber, bis zu welchem Zeitpunkt das bisherige Recht längstens anwendbar bleibt. Insbesondere kann keine Parallele zu der das Auslaufen der Vermögensteuer bestimmenden Rechtslage gezogen werden. Wegen der unbefristeten Weitergeltungsanordnung des ErbStG ist dieses bei fehlender Neuregelung durch den Gesetzgeber grundsätzlich auch über den Ablauf des 30.6.2016 hinaus anzuwenden.
Rz. 14c
Damit ist die von der Literatur angenommene "automatische" Unanwendbarkeit der Erbschaft- und Schenkungsteuer für Besteuerungsstichtage nach dem 30.6.2016 bzw. die Gewährung eines Wahlrechts zur Anwendung des alten oder des neuen Rechts für eine Interimsperiode, nicht vereinbar.
Diese Sichtweise stützt sich insbesondere auf die "Gesamtbegründung" des BVerfG-Urteils und auf eine andernfalls mögliche dauerhafte Perpetuierung eines als verfassungswidrig eingestuften Gesetzes. Diese Gesichtspunkte reichen indes nicht aus, die im BVerfG-Urteil ersichtlich bewusst gewählte Tenorierung als "nicht intendiert" zu verwerfen.
Davon geht die FinVerw aus, die das bisherige Recht auch für Erwerbe, für die die Steuer nach dem 30.6.2016 entsteht, bis zu einer gesetzlichen Neuregelung "in vollem Umfang" für weiter anwendbar hält. Die Fortgeltungsanordnung dürfte sich auch auf die vom BVerfG als verfassungswidrig beurteilten §§ 13a und 13b ErbStG sowie auf die Tarifregelung des § 19 Abs. 1 ErbStG erstrecken.
Rz. 14d
Ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot liegt ebenfalls nicht vor, weil die Stpfl. mit Ablauf des 30.6.2016 mit der gesetzlichen Neuregelung rechnen konnten und mussten. In diesem Sinne hat auch das FG München entschieden Die Hoffnung, es könne zu einer Fortgeltung der vom BVerfG als verfassungswidrig beurteilten §§ 13a und 13b ErbStG auch für die Zeit bis zum 4.11.2016 kommen, dürfte freilich einer tragfähigen Grundlage entbehren.
Rz. 14e
Angesichts der aufgezeigten Rechtsunsicherheiten steht die Praxis im Umgang mit Erwerben, für die Steuer nach dem 30.6.2016 und vor dem 9.11.2016 entsteht bzw. entstanden ist, vor erheblichen Problemen. Für Erwerbe von Todes wegen sollten entsprechende Steuerbescheide bis zur endgültigen Klärung der Weitergeltung des bisherigen ErbStG offen gehalten werden.
Rz. 14f
Die Weitergeltung des ErbStG über den 30.6.2016 hinaus ist aufgrund des EU-Rechts mit einigen Unwägbarkeiten behaftet. Erst in jüngster Zeit ist die Vereinbarkeit der Verschonungsregelungen für unternehmerisches Vermögen mit dem Beihilfeverbot in die Diskussion geraten. Stellt man allerdings nur auf die Niederlassungsfreiheit ab, ist die Regelung nicht zu beanstanden.
Es spricht eigentlich nichts dafür, dass steuerliche Maßnahmen nach Art der §§ 13a–13d ErbStG als staatliche Beihilfe zu beurteilen sein könnten.
Richtiger Auffassung nach ist schon die Selektivität der Maßnahme zu verneinen