Karlheinz Konrad, Dr. Armin Pahlke
Rz. 22
Die Erbschaft- und Schenkungsteuer steht seit jeher im Blickpunkt ganz unterschiedlicher (steuer-)politischer Zielvorstellungen. Die Skala reicht hier von der gänzlichen Infragestellung der Erbschaftsteuer bis hin zu Vorschlägen, die Erbschaftsteuer offensiv als Instrument zur Auflösung der Vermögenskonzentration zu nutzen. Die (steuer-)politische Diskussion ist ständig im Fluss.
Rz. 23
Großen Anklang im Schrifttum findet nach wie vor der Vorschlag einer völligen Neukonzeption des ErbStG in Richtung einer sog. flat-tax. Im Grundansatz setzt dieses Modell auf den weitestgehenden Verzicht auf Verschonungsregelungen, was auf der Grundlage eher geringer Freibeträge eine breite Bemessungsgrundlage mit einem maßvoll-niedrigen Steuertarif von etwa 5–15 % für sämtliche Erwerbe ermöglichen soll. Der Gesetzgeber wäre zwar im Grundsätzlichen an einer solchen Neuausrichtung des ErbStG nicht gehindert. Allerdings müsste auch ein solches Modell die aufgezeigten (vgl. Rz. 8c und d) verfassungsrechtlichen Bindungen aus Art. 14 und Art. 6 GG beachten. Dies schließt nicht nur eine massive Absenkung der Freibeträge aus, sondern dürfte bei einem Verzicht auf Verschonungsregelungen für den Übergang unternehmerischen Vermögens auch nicht mit den Vorgaben des BVerfG übereinstimmen. Schon deshalb stößt eine Vermehrung der Zahl der Steuerfälle, wie sie mit dem flat-tax-Konzept angestrebt wird, auf der Grundlage der jetzigen BVerfG-Rspr. auf kaum überwindbare verfassungsrechtliche Hürden. In seinem Urteil vom 17.12.2014 hat das BVerfG zudem deutlich gemacht, dass Ausnahmen, Befreiungen und Verschonungen – ihre sachliche Rechtfertigung und gleichheitsgerechte Ausgestaltung vorausgesetzt – nicht deshalb zu einem Gleichheitsverstoß führen, weil damit eine Steuer in großem Umfang nicht greift.
Rz. 24
Schon deshalb entbehrt auch die am gegenwärtigen Rechtszustand geübte Kritik jeglicher Grundlage, es liege wegen der hohen Freibeträge und der zahlreichen Verschonungsregelungen ein Verstoß gegen das Verfassungsgebot der Allgemeinheit des Gesetzes, besser: gegen die im Steuerbegriff angelegte Ausgestaltung der Erbschaft- und Schenkungsteuer als "allen" auferlegte Gemeinlast (§ 3 Abs. 1 Halbs. 1 AO), vor. Ob der Befund zutrifft, es würden überhaupt nur ca. 5 % aller Erwerbsfälle erbschaftsteuerlich erfasst, mag offen bleiben. Selbst wenn dies zuträfe, läge darin schon wegen der Vorgaben des BVerfG zur Beschränkung des erbschaftsteuerlichen Zugriffs kein Verfassungsverstoß. Bedenkt man die grundrechtlichen Bindungen des Gesetzgebers aufgrund der vom BVerfG geforderten Freistellung des Nachlasswerts in Höhe des persönlichen Gebrauchsvermögens, des "Familienprinzips" sowie der Erwerber von Betriebsvermögen und stellt man ferner die vom BVerfG ausdrücklich bejahte Befugnis des Gesetzgebers zur Schaffung von Verschonungsregelungen in Rechnung, kommt die Erhebung von Erbschaft- und Schenkungsteuer zwangsläufig nur bei einem relativ kleinen Teil der gem. § 1 ErbStG steuerbaren Erwerbe in Betracht.
Rz. 25
Insgesamt lässt sich festhalten, dass die ErbStG nach dem gegenwärtigen Stand sowohl verfassungsrechtlich als auch europarechtlich im Wesentlichen nicht mehr angreifbar erscheint. Die strittigen Fragen ergeben sich in erster Linie aus Fragen der richtigen Anwendbarkeit des gegenwärtigen Rechts.
Rz. 26–29
einstweilen frei