Dr. Nils Häck, Dr. Julian Böhmer
Rz. 215
Grundüberlegung. Die o.g. Maßnahmen zur Vermeidung der Wegzugsbesteuerung nach § 6 erfordern regelmäßig eine tiefergreifende Veränderung der bestehenden Strukturen und sind mglw. aufgrund unterschiedlicher Interessen von Mitgesellschaftern nicht durchführbar. Dies führt zu der Frage, ob die gewünschten Gestaltungsfolgen nicht auch bzw. für bestimmte Fälle durch die Vereinbarung einer (kleinen) atypisch stillen Beteiligung am Unternehmen der Kapitalgesellschaft erzielt werden können. Die Maßnahme kann probates Mittel sein, wenn beim Wegzug weder eine Anwendung von § 6 (dazu Rz. 216) noch § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bzw. § 16 Abs. 3a EStG (Rz. 217) droht.
Rz. 216
Vermeidung einer Wegzugsbesteuerung i.S.v. § 6. Beteiligt sich ein Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft als stiller Gesellschafter an dieser nämlichen Kapitalgesellschaft, entsteht zivilrechtlich eine Innengesellschaft, bei der weiterhin nur der Inhaber des Handelsgeschäfts auftritt (§ 230 ff. HGB). Übernimmt der still Beteiligte abweichend vom gesetzlichen Leitbild der stillen Beteiligung Mitunternehmerinitiative und -risiko am Unternehmen der Kapitalgesellschaft, entsteht steuerrechtlich eine Mitunternehmerschaft (atypisch stille Gesellschaft). Die Begründung einer atypisch stillen Gesellschaft führt dazu, dass der Inhaber des Handelsgewerbes (die nämliche Kapitalgesellschaft) seinen Geschäftsbetrieb oder -bereich, an dem sich der still Beteiligte beteiligt, steuerrechtlich in die neue Mitunternehmerschaft einbringt. Diese Einbringung ist steuerneutral möglich, sowohl bei Beteiligung an einem steuerrechtlichen Betrieb oder Teilbetrieb (§ 24 Abs. 2 Satz 2 UmwStG) als auch – aus steuerrechtlicher Sicht – an einzelnen Wirtschaftsgütern (§ 6 Abs. 5 Satz 3 EStG). Im Rahmen der atypisch stillen Gesellschaft erzielt der Mitunternehmer Einkünfte aus Gewerbebetrieb und zwar unabhängig davon, ob die Kapitalgesellschaft originär gewerblich oder ggf. nur rein vermögensverwaltend tätig ist. Eine atypisch stille Gesellschaft kann auch i.S.v. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG durch den gewerblich tätigen Gesellschafter gewerblich geprägt sein. Der Anteil des atypisch stillen Gesellschafters an der Kapitalgesellschaft gehört zu seinem notwendigen Sonderbetriebsvermögen II bei der Mitunternehmerschaft, sofern nicht die GmbH noch einer anderen Geschäftstätigkeit von nicht ganz untergeordneter Bedeutung nachgeht. Insoweit behandelt der BFH den Anteil des Kommanditisten einer GmbH & Co. KG an der Komplementär-GmbH und den Anteil des stillen Gesellschafters einer Kapitalgesellschaft bei atypisch stiller Gesellschaft hinsichtlich der Eigenschaft als Sonderbetriebsvermögen gleich. Die Zurechnung der Kapitalgesellschaftsbeteiligung zu einem Sonderbetriebsvermögen des Gesellschafters führt dazu, dass bei einem Wegzug § 6 nicht mehr Anwendung finden kann. Hierdurch wäre aber dann nichts gewonnen, wenn der spätere Wegzug des Gesellschafters seinerseits eine fiktive Entnahme i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bzw. fiktive Betriebsaufgabe i.S.v. § 16 Abs. 3a EStG auslöste (dazu Rz. 217).
Rz. 217
Vermeidung einer fiktiven Entnahme i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG. Bleibt auch nach einem Wegzug des atypisch still Beteiligten das deutsche Besteuerungsrecht an den Gewinnen aus der Veräußerung der Kapitalgesellschaftsbeteiligung sowie deren Nutzung uneingeschränkt erhalten, kommt (auch) eine Wegzugsbesteuerung über § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG nicht in Betracht. Verzieht der atypisch still Beteiligte in einen Nicht-DBA-Staat, werden Einkünfte im Zusammenhang mit der Kapitalgesellschaft (Veräußerungsgewinne, Gewinnausschüttung) grds. im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht erfasst. Eine von der Kapitalgesellschaft im Inland unterhaltene Betriebsstätte wird dem atypisch stillen Gesellschafter auch für Zwecke des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG zugerechnet. Bei einem Wegzug des atypisch still Beteiligten in einen DBA-Staat gelten die Ausführungen zum Wegzug eines Mitunternehmers einer GmbH & Co. KG mit Kapitalgesellschaftsanteilen im Betriebsvermögen (s. Rz. 203 ff. und 211 ff.) grds. entsprechend. Hierbei sind folgende Besonderheiten zu beachten: Das deutsche Besteuerungsrecht an den Einkünften aus der Kapitalgesellschaft (Veräußerungsgewinne, Gewinnausschüttungen) bleibt auch hier nur dann uneingeschränkt erhalten, wenn die Beteiligung einer im Inland belegenen abkommensrechtlichen Betriebsstätte (Art. 5 OECD-MA) des atypisch still Beteiligten "tatsächlich funktional" i.S.d. Betriebsstättenvorbehalte zugerechnet werden kann (s. dazu Rz. 209 f.). Das Unternehmen, an dem die atypisch stille Beteiligung besteht, muss seinerseits eine inländische Betriebsstätte unterhalten, die den Anforderungen i.S.v. Art. 5 OECD-MA genügt. Hierzu darf das Unternehmen, an dem die atypisch stille Beteiligung besteht, nicht lediglich vermögensverwaltend, sondern muss seinerseits originär gewerblich tätig sein. Andernfalls kommt es i...