Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
Rz. 1209
Neuaufnahme der Einkaufsfunktion. Wird eine Einkaufsfunktion erstmalig durch ein ausländisches verbundenes Unternehmen ausgeübt, kann es nicht zu einer Funktionsverlagerung i.S.d. § 1 Abs. 3b Satz 1 i.V.m. der FVerlV kommen. Denn in diesem Fall fehlt es an der Einschränkung der Funktion im Inland bzw. an der Verlagerung; mithin ist davon auszugehen, dass keine immateriellen Wirtschaftsgüter oder sonstigen Vorteile eines inländischen Unternehmens auf die ausländische Einkaufsgesellschaft übertragen oder zur Nutzung überlassen werden. Für den Fall, dass die Einkaufstätigkeit durch eine ausländische Einkaufsgesellschaft neu in der Unternehmensgruppe installiert wird, scheidet daher eine Funktionsverlagerungsbesteuerung sowohl im Agenten- und Kommissionärs- als auch im Eigenhändlermodell aus. Dies gilt auch dann, wenn die Einkaufsfunktion vor Installierung der Einkaufsgesellschaft durch ein konzernexternes Unternehmen (z.B. externe Einkaufsagenten) ausgeübt wurde.
Rz. 1210
Keine Funktionsverlagerung bei einem Einkaufsagenten. Wird die Einkaufsfunktion auf eine als Einkaufsagent organisierte ausländische Einkaufsgesellschaft übertragen, liegt grundsätzlich eine Funktionsabspaltung vor (Rz. 1156). Im Rahmen dieser wird zwar die Einkaufsfunktion auf die ausländische Einkaufsgesellschaft übertragen, es kommt indessen nicht zu einer Verlagerung von Gewinnpotential ins Ausland. Damit gehen mit der Einkaufsfunktion auch keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile über, sodass eine Anwendung der Regelungen der Funktionsverlagerungsbesteuerung ausscheidet (Rz. 1276). Dies ist auch insoweit sachgerecht, als es sich bei der Funktionsausübung eines Einkaufsagenten um sog. Routinefunktionen handelt, welche nicht Gegenstand einer Funktionsverlagerungsbesteuerung sein können. Dies gilt unabhängig davon, ob die Vergütung der als Einkaufsagent organisierten Einkaufsgesellschaft auf Basis der Preisvergleichsmethode (d.h. anhand einer umsatzbezogenen Provision) oder anhand der Kostenaufschlagsmethode bestimmt wird. Eine Funktionsverlagerung kann auch dann nicht angenommen werden, wenn die Einkaufsgesellschaft als Einkaufsagent ihre Einkaufsdienstleistungen gegenüber mehreren verbundenen Unternehmen erbringt.
Rz. 1211
Keine Funktionsverlagerung bei einem Einkaufskommissionär. Auch im Hinblick auf die Verlagerung der Einkaufsfunktion auf eine als Kommissionär organisierte ausländische Einkaufsgesellschaft liegt eine Funktionsabspaltung vor, welche nicht zu einer Funktionsverlagerungsbesteuerung führt (Rz. 1276). Insoweit gelten die Ausführungen zum Einkaufsagenten (Rz. 1210) für den Einkaufskommissionär entsprechend.
Rz. 1212
Mögliche Funktionsverlagerung bei einem Eigenhändler. Die Finanzverwaltung geht davon aus, dass bei der Übertragung der Einkaufsfunktion auf eine als Eigenhändler organisierte Einkaufsgesellschaft eine Funktionsverlagerung vorliegen kann, wenn der Einkaufsgesellschaft wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter oder sonstige Vorteile (z.B. in Form von Lieferantenkontakten und Marktkenntnissen) übertragen oder zur Nutzung überlassen werden. Dies könne z.B. dann der Fall sein, wenn das für den Einkauf zuständige Personal in die ausländische Einkaufsgesellschaft versetzt wird. Insoweit verkennt die Finanzverwaltung, dass auch bei einer Verlagerung der Einkaufsfunktion die allgemeinen Voraussetzungen der Funktionsverlagerung erfüllt sein müssen. Zwar ist der Einkauf unstreitig eine Funktion i.S.d. § 1 Abs. 1 FVerlV 2008/2022; allerdings setzt dies voraus, dass ein organischer Teil des Unternehmens, der für den Einkauf verantwortlich ist, vom inländischen Unternehmen auf die ausländische Einkaufsgesellschaft übertragen wird. Dieser organischen Einheit muss (eindeutig) ein Geschäfts- oder Firmenwert zugeordnet werden können. Diese Voraussetzungen werden indessen im Rahmen der Gründung einer als Eigenhändler organisierten Einkaufsgesellschaft nur in seltenen Ausnahmefällen erfüllt sein. Allerdings kann in diesen Fällen eine sog. Funktionsverdopplung vorliegen (Rz. 1179).
Rz. 1213
Keine Funktionsverlagerung bei dem "Low-Risk"-Einkaufsmodell. Wird die ausländische Einkaufsgesellschaft als Eigenhändler im Rahmen eines sog. "Low-Risk"-Einkaufsmodells tätig, scheidet die Besteuerung einer Funktionsverlagerung aus. Denn auch in diesem Fall greift die in § 1 Abs. 3b Sätze 2, 3 (bisher: § 2 Abs. 2 FVerlV 2008) vorgesehene Ausnahmeregel, wonach Funktionsverlagerungen auf Routineunternehmen keiner Besteuerung unterliegen.