Dr. Hans Joachim Herrmann
Rz. 1
§ 23 UmwStG i. d. F. des Gesetzes zur Änderung des Umwandlungssteuerrechts v. 28.10.1994 ist im wesentlichen inhaltsgleich aus § 20 Abs. 6 und Abs. 8 UmwStG 1992 übernommen worden. Eine Zusammenfassung der Einbringungen in der Europäischen Union in § 23 UmwStG anstelle der bisherigen § 20 Abs. 6 und 8 UmwStG 1992 ist im Laufe der Ausschußberatungen geschehen, um die §§ 20 und 23 UmwStG verständlicher und lesbarer zu gestalten.
Rz. 2
§ 23 UmwStG stellt – ebenso wie zuvor schon § 20 Abs. 6 und 8 UmwStG 1992 – eine Umsetzung der Richtlinie 90/434/EWG des Rates v. 23.7.1990 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, dar. Der deutsche Gesetzgeber hat die Regelungen der Art. 8 bis 10 der Fusionsrichtlinie zur steuerlichen Behandlung des grenzüberschreitenden Austausches von Anteilen an Kapitalgesellschaften und der grenzüberschreitenden Einbringung von Unternehmen und Unternehmensteilen im Wege der Sacheinlage ab 1.1.1992 mit § 23 UmwStG in das deutsche Recht übernommen. Diese Regelung beschränkt sich auf grenzüberschreitende Einbringungen von (Teil-)Betrieben, Betriebsstätten und mehrheitsvermittelnden Anteilen an einer Kapitalgesellschaft. Eine Regelung für grenzüberschreitende Verschmelzungen und Spaltungen von Kapitalgesellschaften fehlt nach wie vor.
Rz. 3
Auch bei der grenzüberschreitenden Einbringung sind die bisherigen Techniken des deutschen Umwandlungssteuerrechts fortgeführt worden, nämlich der Steueraufschub aufgrund der Möglichkeit der steuerneutralen Sacheinlage durch Fortführung der Buchwerte (§ 20 Abs. 2 UmwStG), die Buchwertverknüpfung zwischen den Wertansätzen der übernehmenden Kapitalgesellschaft und den Anschaffungskosten der vom Einbringenden empfangenen Gesellschaftsanteile (§ 20 Abs. 4 UmwStG) sowie die Verdoppelung der stillen Reserven in der hingegebenen Sacheinlage und in den empfangenen Gesellschaftsanteilen (vgl. § 20 Rz. 1 ff.). Damit soll grundsätzlich eine Gleichbehandlung von grenzüberschreitenden und inländischen Einbringungen erreicht werden.
Rz. 4
Ohne § 23 UmwStG wäre die grenzüberschreitende Einbringung von Vermögenskomplexen in eine Kapitalgesellschaft gegen Gewährung von Gesellschaftsanteilen der Übernehmerin als Tausch zu beurteilen, durch den die in den eingebrachten Wirtschaftsgütern enthaltenen stillen Reserven realisiert würden (vgl. § 20 Rz. 1 ff.).
Rz. 5
Die Fusionsrichtlinie steht als Gemeinschaftsrecht neben den zwischen den Mitgliedstaaten abgeschlossenen DBA. Sie gilt nur unter den Mitgliedstaaten, nicht aber im Verhältnis zu Drittstaaten. Sie enthält keinen Steuerverzicht einzelner Mitgliedstaaten zugunsten anderer, sondern nur einen Steueraufschub. Subjektive Rechte können hieraus nur EU-Kapitalgesellschaften herleiten, die in der Anlage zu § 23 UmwStG aufgeführt worden sind, nicht aber Genossenschaften, öffentlich-rechtliche Sparkassen oder körperschaftsteuerpflichtige Personengesellschaften. Eine Erweiterung des Kreises begünstigter Gesellschaften und Körperschaften hat die EU-Kommission in dem Entwurf einer Richtlinie des Rates zur Änderung der Fusionsrichtlinie v. 26.7.1993 vorgeschlagen.
Rz. 6
§ 23 UmwStG regelt im Anschluß an die Fusionsrichtlinie nur grenzüberschreitende Einbringungen von (Teil-)Betrieben, Betriebsstätten und mehrheitsvermittelnden Beteiligungen, an denen EU-Kapitalgesellschaften beteiligt sind. Nur beim grenzüberschreitenden Anteilstausch nach § 23 Abs. 4 UmwStG kann Einbringender auch ein natürliche Person sein. Bisher fehlt eine entsprechende Regelung für eine grenzüberschreitende Einbringung von Einzelunternehmen und Mitunternehmeranteilen.
Rz. 7
Eine grenzüberschreitende Verbringung einzelner Wirtschaftsgüter ist nach wie vor ein die stillen Reserven realisierender Vorgang. Die Finanzverwaltung gewährt dem Steuerpflichtigen insoweit ein Wahlrecht, die stillen Reserven entweder sofort oder aufgeschoben bei einer im Ausland stattfindenden Veräußerung oder Entnahme zu versteuern.
Rz. 8
Die Grundlage des § 23 UmwStG im europäischen Gemeinschaftsrecht in Gestalt der Fusionsrichtlinie gebietet den nationalen Gerichten, das nationale Recht richtlinienkonform auszulegen. Bei Zweifeln hinsichtlich der Auslegung der Fusionsrichtlinie können die Gerichte bzw. müssen letztinstanzliche nationale Gerichte die Streitfrage dem EuGH zur Vorabentscheidung nach Art. 177 EGV vorlegen. Die Umsetzung der Fusionsrichtlinie durch den deutschen Gesetzgeber in Form von § 23 UmwStG birgt zahlreiche derartige Zweifelsfragen (vgl. z. B. Rz. 22, 28, 36, 51, 55).